Post aus der Walachei

Rumänien auf der Berlinale 2006 und Coppola in Bukarest

Von Hilke Gerdes
06.02.2006. Die Berlinale kommt - und mit ihr einige rumänische Filme. Währenddessen verprasst Francis Ford Coppola die Erträge seiner Weinproduktion, um in Bukarest einen Film mit Bruno Ganz zu drehen.
Romania la Berlin

Es ist wieder Berlinale. Aus allen Ecken der Welt, präziser gesagt aus 56 Produktionsländern, kommen Filme nach Berlin. Auch aus Rumänien. Ein an diesem Land interessierter Mensch kann beispielsweise am Valentinstag "Tertium non datur" vom rumänischen Altmeister Lucian Pintilie sehen. Dieser in der Forum-Reihe laufende Film ist eine politische Parabel nach der Novelle "Capul de zimbru" (Kopf des Auerochsen) von Vasile Voiculescu (französischsprachige Informationen zum Drehbuch hier).

Da der Film nur ein mittellanges Format hat (39 Minuten), wird er zusammen mit "Visul lui Liviu " (Livius Traum) von Corneliu Porumboiu gezeigt. Porumboius Kurzfilm handelt von einem jungen Mann, der wie viele seiner Generation aufgrund des rigiden Abtreibungsverbots zu den so genannten unerwünschten Kindern gehört. Jeden Morgen wacht er über einen bösen Traum auf, und jedesmal hört er seinen Zimmergenossen im Schlaf lachen. Er hängt mit seinen Freunden herum, seine Freundin wird schwanger und will mit ihm den klassischen Traum vom Familienleben mit Häuschen im Grünen verwirklichen. Er hat andere Vorstellungen.

Der dreißigjährige Porumboiu gehört zu den jüngeren Regisseuren Rumäniens, die in den letzten Jahren auch international hervorgetreten sind. Sein Kurzfilm "Calatorie la oras" (Reise in die Stadt), der in seiner Skurrilität an Kusturica erinnert, wurde 2003 in Cannes prämiert. Im letzten Jahr ist ihm die Förderung für seinen ersten Spielfilm zugesprochen worden.


Opfer und Täter

Lucian Pintilie war zuletzt vor vier Jahren auf der Berlinale vertreten, in der Retrospektive mit seinem vielleicht besten Film, "Reconstituirea" (Rekonstruktion, 1968). Wer ihn heute zum ersten Mal sieht, ist verblüfft ob seiner Qualität. In nichts steht er einem Godard, einem Antonioni nach.

Der Plot ist denkbar einfach: Zwei wegen leichter Körperverletzung angeklagte Jugendliche müssen den Tathergang für einen erzieherischen Lehrfilm rekonstruieren. Pintilies Film begleitet die Filmaufnahmen irgendwo in den Bergen, an einem Fluss mit einem kleinen Strand. Es ist heiß, man kommt mit dem Filmen nur mühsam voran, eine quälerische Agonie liegt über der gesamten Szenerie. Bis zum tödlichen Ende.

Es sind großartige Szenen - zum Beispiel wie die ländliche Bevölkerung aus dem nahe gelegenen Stadion strömt und in langen Schlangen über eine schmale Brücke geht, oder wie das weiße Taschentuch über dem Gesicht des staatlichen Anklägers im weißen Anzug sich im Rhythmus des Atems bewegt - voller Anspielungen politischer und filmtheoretischer Art. Film schafft seine eigene Wirklichkeit.

"Reconstituirea" wurde kurz nach seinem Erscheinen verboten, Pintilie erhielt wenige Jahre später Berufsverbot und verließ das Land. Wie viele Künstler und Intellektuelle vor und nach ihm, ging er nach Paris, wo er vor allem als Theaterregisseur arbeitete. 1990 ist er nach Rumänien zurückgekommen.


Liebe und Karriere

Wer jüngeren rumänischen Film kennen lernen möchte, der auch noch mit neuerer rumänischer Literatur zu tun hat, sollte das Spielfilm-Debüt von Tudor Giurgiu in der Panorama-Reihe nicht verpassen: "Legaturi bolnavicioase" (Love sick). Es ist die Verfilmung der gleichnamigen Erzählung von Cecilia Stefanescu über eine in ihren Emotionen verstrickte jugendliche Frau (siehe auch Post aus der Walachei vom 12. Oktober 2005).

Tudor Giurgiu, der mit einem surrealen Krimi-Kurzfilm vor fünf Jahren auf der Berlinale war, bisher aber hauptsächlich Videoclips gedreht hat, verkörpert den Initiativgeist junger rumänischer Cineasten par excellence. Der 33jährige ist Gründer von TIFF, dem Transilvanian International Film Festival, das seit 2002 jährlich in Giurgius Geburtsstadt Cluj (Klausenburg) veranstaltet wird. Ohne staatliche finanzielle Förderung und gegen eine Reihe pessimistischer Stimmen hat er mit einigen Freunden ein Festival aus den Hüften gestemmt, das von Jahr zu Jahr größer und zunehmend international wahrgenommen wird.

Doch nicht der Erfolge genug, ist er seit gut einem halben Jahr auch noch Vorsitzender des Aufsichtsrats und Generaldirektor des öffentlichen Fernsehens. Diese Herausforderung anzunehmen, war mehr als mutig. Oder naiv, wie Giurgiu sagt. Aber ihm gefällt es, für etwas zu kämpfen, von dem alle meinen: das schaffst du nie. Um in diesen Staatbetrieb frischen Wind zu bringen - Giurgiu selbst spricht von einen qualitativ höherwertigen Programm, das sich nicht nur nach Einschaltquoten richtet - ist eine Mammutaufgabe und ohne Allianzen nicht zu schaffen. Vor einiger Zeit wurden überall Anzeigen geschaltet, um über verschiedene öffentliche Wettbewerbe für Fernsehfilmprojekte zu informieren. Ein erster Schritt. (Ein Interview mit Giurgiu auf Rumänisch findet sich hier) .


Perspektiven

Bevor Giurgiu Direktor wurde, gehörte er zu den engagiertesten Kämpfern für eine Reform der rumänischen Filmförderung. Wie Cristian Mungiu, der dieses Jahr auch bei der Berlinale dabei ist. Allerdings nicht mit einem Film wie im letzten Jahr (mehr dazu hier), sondern als Mitglied der Jury, die den Wolfgang-Staudte-Preis für einen Film des Forums verleiht.

Die reformwilligen rumänischen Filmemacher haben eine eigene Interessensvertretung (Associatiei Cineastilor din Romania) gegründet und 2005 durchgesetzt, dass die Bewerbungen für die Filmförderung anonymisiert und die Bewertungsergebnisse öffentlich gemacht werden. Das ist eine Besserung im Vergleich zu den Vorjahren (siehe Post aus der Walachei vom 27. April 2004).

Und so haben sich mehr international positiv hervorgetretene Filmemacher gegen die nicht immer Qualität versprechenden Etablierten im Wettbewerb um die bescheidenen staatliche Filmförderung durchsetzen können als in früheren Jahren (mehr hier).

Cristian Mungi ist unter ihnen. Vielleicht schafft er es mit "Tales from the Golden Age" bis auf die Berlinale im nächsten Jahr? Das Thema könnte ein ausländisches Publikum interessieren, fragt es doch häufig, wie es mit der Vergangenheitsbewältigung im hiesigen Lande aussieht. Auch wenn der Film nicht den Ton haben wird, den man vom dunklen Ceausescu-Land erwartet: Laut Mungiu kreisen die "Geschichten vom Goldenen Zeitalter" um Begebenheiten und Zustände, die von der tragisch-komischen Seite der kommunistischen Zeit zeugen.

Angedacht hat Mungiu auch ein Film über die Beziehungen zwischen der Republik Moldova und Rumänien. Für den Westen wäre ein solcher Film ein interessantes Lehrstück über Perspektiven auf Südosteuropa: Aus der Sicht Moldovas, dieses im Westen wenig bekannten Landes, ist Rumänien nahezu reich.


Independent in Bukarest

Während sich bekannte und unbekannte Filmmenschen auf der Berlinale tummeln, ist einer der berühmtesten in Rumänien: Francis Ford Coppola dreht zur Zeit in Bukarest "Youth without Youth". Der Film basiert auf einer Erzählung des aus Rumänien stammenden Religionsphilosophen und Schriftstellers Mircea Eliade ("Tinerete fara Tinerete", neu erschienen 2004 bei Humanitas): Ein 70jähriger Professor wird nach einem Blitzschlag jünger statt älter. Dies interessiert den Geheimdienst. Eine Flucht beginnt. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.

In den Hauptrolle spielen Tim Roth und Marcel Iures, der zuletzt im Thriller "The Cave" von Bruce Hunt zu sehen war und in Bukarest ein wichtiges Theater führt (deutschsprachiges Interview mit ihm hier). Seit Coppola den oscarprämierten Film "Der Untergang" von Oliver Hirschbiegel gesehen hat, stand für ihn fest, wer in weiteren Hauptrollen spielen sollte: Bruno Ganz und Annamaria Lara. Letztere hat fast genau vor einem Jahr auch schon in Bukarest gedreht (siehe Post aus der Walachei vom 4. Mai 2005 ).

Auf einem Treffen mit Filmstudenten in Bukarest lässt Coppola kein gutes Haar an der amerikanischen Filmwirtschaft: die Übermacht einiger weniger Produktionsfirmen und Filmverleihe mache es immer schwerer, gute Filme durchzuboxen. Das sei auch der Grund, warum er selbst seit 1997 nicht mehr gedreht habe. Der fast 66-Jährige gesteht dem jungen Publikum, dass er es müde sei, der berühmte Regisseur zu sein. Er wolle zu den Ambitionen seiner Studentenzeit zurückfinden. Coppola selbst hat Eliades Erzählung für den Film adaptiert und sich auf die Reise nach den originalen Schauplätzen gemacht. Eliades Werk fasziniere ihn, in der Geschichte von "Jugend ohne Jugend" seien es die Themen "Zeit, Bewusstsein und die traumähnliche Basis von Realität". Er habe den großen Wunsch verspürt, das Land zu sehen, aus dem Eliade kommt.

Die Crew ist zu 90 Prozent rumänisch, für die Independent-Produktion ist das günstig. Coppola zahlt selbst, wie er sagt, aus dem Gewinn seiner Weinproduktion und anderen Unternehmungen.