Post aus New York

Von Schlafmützen und Kalten Kriegern

Von Ute Thon
07.04.2000. Das politische Interesse der Amerikaner ist erlahmt. Derweil hat der Historiker Donald Kagan düstere Vorahnungen: "Ich bin ganz sicher, dass in absehbarer Zeit etwas Schreckliches passiert."
Amerika ist das endlose Gezerre um die Präsidentschaft leid. Die anfängliche Empörung hat sich in allgemeine Apathie verwandelt. Wer der nächste "leader of the free world" wird, ist den meisten inzwischen schon wieder ziemlich egal, ergaben jüngste Umfragen der New York Times und von CBS. Zwar berichten die Medien immer noch pflichtschuldig über die verzwickten Rechtsmanöver, über fehlerhafte Stimmzettel und die falschen Wimpern der Staatssekretärin aus Florida. Doch die Amerikaner mit ihren notorisch kurzen Aufmerksamkeitsspanne wenden sich längst anderen Dingen zu. Zum Beispiel dem Eismann aus New York, der sich auf dem Times Square in einen 10-Tonnen-Eisblock hat einfrieren lassen. Oder der Kokainsucht und erneuten Verhaftung Robert Downey Jr.'s in Palm Springs.

Nüchterne Politik fesselt die Leute nur dann über einen längeren Zeitraum, wenn sie mit anzüglichen Sexgeschichten gewürzt ist wie seinerzeit das Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton wegen des Lewinsky-Skandals. Ihre politische Ignoranz könnte die Amerikaner jedoch schon bald den Kopf kosten. Oder doch zumindest ihren Ruf als mächtigste Nation. Während die meisten Leute nur noch Wohlstand und persönliches Vergnügen im Kopf haben, verliert die Welt den Respekt vor Amerika. Das jedenfalls befürchtet Donald Kagan. Der konservative Historiker warnt in seinem gerade erschienenen Buch "While America Sleeps" davor, das die USA schon bald vor einem neuen Weltkrieg stehen könnten und dafür nicht gerüstet sind. Amerika wiege sich in falscher Sicherheit. In den letzten zehn Jahren habe die Regierung ihre Abschreckungsrolle vernachlässigt und zu wenig in militärische Rüstung gesteckt, schreibt der Yale-Professor. Dabei lehre die Geschichte, dass man gerade in Friedenszeiten auf der Hut sein müsse.

Seine düsteren Thesen zieht Kagan aus einen Vergleich zwischen Englands Politik zwischen den Weltkriegen und Amerikas Rolle nach dem Ende des Kalten Kriegs. Die britische Regierung habe es damals verschlafen, die Bedrohung durch Hitler-Deutschland rechtzeitig zu erkennen und die USA mache jetzt denselben Fehler. Schließlich kann niemand voraussehen, ob nicht in Russland schon morgen ein nationalistischer Diktator an die Macht kommt oder China sich die politischen Besserwissereien des Westens nicht mehr gefallen lässt, sagte Kagan letzte Woche auf einer Diskussionsveranstaltung des Carnegie Councils, einer ehrwürdigen New Yorker Institution für Außenpolitik und Ethikfragen. "Ich bin ganz sicher, dass in absehbarer Zeit etwas Schreckliches passiert", orakelte der Historiker. "Wir machen den Eindruck, als seien wir Weichlinge, das macht mir Angst." Die Aussicht, dass schon bald ein rüstungsfreundlicherer Staatschef im Weißen Haus regieren könnte, beruhigt Kagan hingegen nicht. Beide Präsidentschaftskandidaten hätten das Thema internationale Sicherheit im Wahlkampf in kaum zwei Minuten abgehandelt. "Es ist abstoßend, auf welch uninformiertem Niveau darüber gesprochen wurde", empörte sich der Historiker.

Sein Sohn Frederick Kagan, Koautor des Buchs und Professor an der Militärakademie in West Point, erschreckte die Carnegie-Council-Mitglieder mit Insiderjargon. "Wir haben seit 94, 95 keine 2MT-Kapazität mehr", informierte er die militärischisch Unterinformierten. 2MT steht für eine Konfliktstrategie mit "two major theaters", also zwei grossen Kriegsschauplätzen, an denen die Amerikaner gleichzeitig eingreifen müssen. Mit anderen Worten: Wenn es im Nahen Osten und in China gleichzeitig kracht, sind wir verloren. Bei den Durchschnittsamerikanern stoßen Kagans apokalyptische Aufrüstungstheorien bisher noch auf ziemlich taube Ohren. Und auch in Akademikerkreisen werden sie eher mit Skepsis aufgenommen. Schließlich hat Amerika mit einem Rüstungsetat von 281 Milliarden Dollar (für 1999) das mit Abstand höchste Militärbudget der ganzen Welt. Wenn überhaupt ein außenpolitischer Trend in Amerika zu erkennen ist, dann ist es die zunehmende Zögerlichkeit, sich in internationale Konflikte einzumischen. Nicht wegen mangelnder Militärstärke, sondern weil die US-Bürger immer weniger einsehen, warum sie ihr Geld und ihre Jungs in fremden Kriege verheizen sollen. Militärhilfe für Israel findet noch eine Lobby, aber bei Ost-Timor oder Sierra Leone wird die moralische Überzeugungsarbeit schwer.

Doch der Vorwurf der "Schwächlingsnation" wirkt. Ralph Nader, der einzige Kandidat, der die Verringerung des Militärbudgets zum Programm machte, bekam von den Wählern eine herbe Abfuhr. Einen anderen, bedrohlich schrumpfenden Haushaltsposten haben die besorgten Historiker bei ihrer Analyse der internationalen Beziehungen dagegen glatt übersehen. Laut Statistiken des State Department fielen die Ausgaben für Kultur im Ausland seit Anfang der neunziger Jahre um dramatische 72 Prozent. 1993 veranschlagte die US-Regierung für die Verbreitung amerikanischer Hochkultur, sprich Konzerttourneen der New Yorker Philharmoniker oder des Martha Graham-Balletts, noch rund 8 Millionen Dollar. In den letzten Jahren sank diese ohnehin mickerige Summe auf 1,8 Millionen Dollar fürs Jahr 2000. Kein Wunder, wenn der Rest der Welt die Amerikaner für kulturlose Barbaren hält, die nicht einmal richtig wählen können.