Efeu - Die Kulturrundschau

Debütantinnenblut

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23.08.2014. In der SZ ist Regisseur Ridley Scott froh, dass sein Filmbild nicht mehr davon abhängt, wann es ins Chemiebad getaucht wird. In der Welt überlegt Clemens Meyer, was eine gute Kurzgeschichte ausmacht. Außerdem erklärt die Welt am Beispiel von Frank Castorf, warum die Ossis kein klassisches europäisches Musik- und Sprechtheater können. Die NZZ geht in der JVA Tegel ins Theater. Die SZ flaniert über ein Kiesbett von Ólafur Elíasson.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.08.2014 finden Sie hier

Literatur

Christopher Schmidt ärgert sich in der SZ über die Kritik am Deutschen Buchpreis und den geringen Frauenanteil auf der Longlist. Eine Quote will er trotzdem nicht. Klar: "Hinter jeder Säule des Musentempels versteckt sich ja womöglich ein mit Debütantinnenblut befleckter Sexist. Allerdings gilt das Argument auch umgekehrt. ... Am Ende könnte auch damit niemand zufrieden sein, da man nie wüsste, hat das Sieger-Buch den Preis nun aus soziologischen oder aus literarischen Gründen davongetragen." (Das hätte ein VW-Manager auch nicht schöner sagen können)

Ob Alice Munro, William Faulkner oder Ernest Hemingway - Meister der Short Story gibt es viele und doch bleibt die Kurzgeschichte geheimnisvoll, schreibt der Schriftsteller Clemens Meyer in der Literarischen Welt und versucht dem Phänomen auf den Grund zu gehen: "Eine gute Kurzgeschichte löst eine Emotion aus, eine Bewegung, die anders, als beim Roman, eine Interruption sein kann, ein verhallender Schuss, ein Stein, der aufs Wasser trifft, wir spüren mehr, als wir wissen. Wir durchschreiten einen kleinen Raum, in dem, wie durch Magie, so viel und so wenig zugleich enthalten sein kann."

Weitere Artikel: Die FAZ dokumentiert ein Gespräch zwischen dem Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt und Kafka-Experte Reiner Stach über Franz Kafka. Außerdem dokumentiert sie Salman Rushdies Dankesrede zur Auszeichnung mit dem dänischen Hans-Christian-Andersen-Preis, in der sich der Schriftsteller mit dem Verhältnis zwischen Roman und mündlicher Erzählung befasst. Und Hannes Hintermeier schreibt über Sidonie Nádherný, Karl Kraus" Muse und große Liebe, die er auf dem Schloss Janowitz kennenlernte. Michi Strausfeld schreibt in der NZZ zum 100. Geburstagt von Julio Cortázar. In Zeit online verneigt sich Alexander Cammann ganz tief vor Henry James: "Ein Leben ohne Henry James ist möglich, aber sinnlos." In der FR erklärt Andreas Rötzer vom Berliner Verlag Matthes & Seitz Arno Widmann, wie man einen anspruchsvollen Verlag auf Basis von Mischkalkulationen führt.Im Short-Story-Spezial der Welt preisen Autoren ihre liebsten Kurzgeschichten. Abgedruckt sind drei Kurzgeschichten von Jens Eisel. Hannes Stein unterhält sich mit dem New Yorker Autor Joshua Cohen über dessen Erzählband "Vier neue Nachrichten".

Besprochen werden unter anderem Eduardo Halfons Roman "Der polnische Boxer" (NZZ), eine Neuübersetzung der Gedichte von Wallace Stevens (NZZ), Manuel Limas Geschichte der Infografik (Welt), Alexanders Solschenizyns 6000-Seiten-Erzählung "Das Rote Rad" (Welt), Michael Kleebergs "Vaterjahre" (taz), Sven Marquardts Autobiografie "Die Nacht ist Leben" (taz)Olga Grjasnowas "Die juristische Unschärfe einer Ehe" (Tagesspiegel), Swetlana Alexijewitschs "Die letzten Zeugen" (SZ) und Michael Pollans "Meine zweite Natur" (FAZ).

In der "Frankfurter Anthologie" der FAZ stellt die Schriftstellerin Ilma Rakusa ihr "Gedicht gegen die Angst" vor:

"Streichle das Blatt
küsse den Hund
tröste das Holz ..."
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Film

David Steinitz besucht für die SZ den Set von Ridley Scotts neuem Film "Exodus" und erfährt dort, dass der Meisterregisseur die Zelluloid-Nostalgie seiner Berufskollegen nicht teilt: "Für mich fühlen sich die digitalen Bilder echter und lebendiger an. Außerdem ist man bei Filmmaterial von so vielen Zufällen abhängig gewesen. Zum Beispiel vom Chemiebad, in dem es im Kopierwerk entwickelt wurde - wenn du da am Ende des Tages dran warst, sah es einfach furchtbar aus. Das passiert mit den digitalen Dateien nicht mehr."

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek bittet für die Welt den Briten Stephen Horne zu Tisch, den neuen Star unter den Stummfilmpianisten. Auf Zeit online begeistert sich Lars Weisbrod für die mit Maggie Gyllenhaal in der Hauptrolle prominent besetzt Serie "The Honourable Woman", der es gelingt, das einzulösen, was der direkte Konkurrent "Homeland" immer nur verspricht: "echte Verwirrung, echte Unvorhersehbarkeit", also "die kognitive Überforderung des Zuschauers". In Indien wurde ein Film über die Ermordung Indira Ghandis verboten, meldet Arne Perras in der SZ (mehr dazu in einer aufbereiteten Agenturmeldung in der taz). Nordkorea ärgert sich über eine Satire mit James Franco, berichtet Christian Schröder im Tagesspiegel. In der FAZ-Reihe über den Sommer schwärmt Andreas Kilb von den Liebesfilmen Eric Rohmers.

Besprochen werden Lasse Hallströms "Madame Mallory und der Duft von Curry" (Tagesspiegel) und der Dokumentarfilm "Rheingold" (Welt).
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Musik

Anlässlich des neuen Albums von Die Sterne plaudert Carla Baum für die taz mit der ins Alter gekommenen Indie-Band aus Hamburg. In der FR unterhält sich Stefan Schickhaus mit Andrés Orozco-Estrada, dem neuen Dirigenten des HR-Sinfonieorchesters. Felix Mescoli plaudert in der Welt mit Motörhead Lemmy Kilmister über Arztkosten, Kreuzfahrten und Fußball.

Besprochen werden ein Konzert des Flötisten Andreas Blau (Tagesspiegel), ein Auftritt von Grant Hart (taz), die CD "Crystal Palace" von Deine Lakaien (Welt) und eine konzertante, von Daniel Barenboim dirigierte Aufführung von "Tristan und Isolde" in Salzburg (FAZ).
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Bühne

Im Berliner Gefängnis Tegel wird drei Wochen im Jahr Theater gespielt. Sieglinde Geisel hat sich für die NZZ zu den Proben begeben und mit Häftlingen und dem Regisseur Peter Atanassow gesprochen, der ein ganz eigenes Konzept verfolgt: "Für Peter Atanassow ist die Arbeit mit den Gefangenen keine Sozialarbeit. Beim Casting geht es nicht darum, wer von der Theaterarbeit profitiert, sondern wer am besten spielt. "Wäre es Therapie, würde keiner mitmachen." Wer sich nicht an die Regeln hält, fliegt raus, denn die Theaterarbeit hat nur ein Ziel: nach zwei Monaten ein gutes Stück auf die Bühne zu bringen. Dieser Druck eint das heterogene Ensemble. "Die Gefangenen sind uns wichtig - aber nicht, weil wir aus ihnen bessere Menschen machen wollen, sondern weil wir mit ihnen Theater spielen." Die Begegnung auf Augenhöhe sei entscheidend: "Das hebelt die Strafe aus."" (Nächste Vorstellung ist der "Brave Soldat Schweijk" am 10. September, mehr hier.)

Frank Castorf ist am "Ring" gescheitert. Und das ist überhaupt kein Wunder, denn Castorf ist ein Ossi, erklärt Tilman Krause in der Welt, und deren ganze linke Dekonstruktionsthesen verfangen bei Wagner nicht. Das macht der Meister alles schon selbst. "Nur - und das macht eben den himmelweiten Unterschied zwischen seiner "Ring"-Kosmologie und den Einseitigkeiten des Frank Castorf aus - es gibt eben bei Wagner noch unendlich viel mehr. ... Was Castorf bietet, ist ein Wagner-Torso, lebensverhindernd amputiert. Und diese Vergröberung ist der Skandal. Er bezeichnet aber nicht nur ein punktuelles Verfehlen des "Ring"-Zyklus, dem Castorf geistig und emotional keineswegs zufällig nicht gewachsen ist. Er bezeichnet etwas viel Umfänglicheres, nämlich die Beschränktheiten einer Kunstwahrnehmung, die sich in provinzieller Fixierung auf Erfahrungen mit der DDR, wo ja nun in der Tat alles jämmerlich und kleinkariert war, anmaßt, den gescheiterten real existiert habenden Sozialismus wie ein Passepartout über andere künstlerische Weltentwürfe zu stülpen."

Besprochen werden die beim Berliner Festival "Tanz im August" aufgeführten Choreografien von Michael Clark (Berliner Zeitung) und Alessandro Sciarroni (Freitag) sowie eine der Tänzerin Simone Forti gewidmete Werkschau im Museum der Moderne in Salzburg (FAZ).
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Kunst

Die häufig in sympathischen Ländern auf der arabischen Halbinsel bauende Architektin Zaha Hadid hat Klage gegen die New York Review of Books und ihren Architekturautor Martin Filler erhoben, weil er ihre angebliche Gleichgültigkeit gegenüber der Ausbeutung von Gastarbeitern in diesen Ländern angeprangert hatte, meldet das Designblog Dezeen: "Hadid filed the complaint with the New York State Supreme Court in Manhattan yesterday, claiming that Martin Filler had falsely implied that she did not care about the working conditions of migrant workers on her projects in the Middle East."



Catrin Lorch wandert für die SZ durch Ólafur Elíassons Ausstellung "Riverbed" im dänischen Louisiana Museum, in dem der Künstler zwischen Unmengen von aufgeschüttetem Geröll Pfade und Bachläufe eingerichtet hat: "Kann man ein Museum mit Geröll fluten, ohne dass ein Spektakel daraus wird? Tatsächlich genießen die Besucher brav das Flanieren im Kiesbett, versenken den Blick beiläufig im Nassdunkel des Bachlaufs. Das "Riverbed" ist kein Objekt. Es ist Elíasson, der vor mehr als zehn Jahren in Bregenz ganze Etagen theatralisch mit Tümpelwasser flutete oder mit Erde verstampfte, gelungen, hier ein Habitat einzurichten, die Natur nicht zum Objekt zu machen, wie Walter de Marias Klassiker, den "Earth Room" in New York." Außerdem hat sich Lorch für ein beistehendes Interview mit dem Künstler unterhalten.

Außerdem: Für die SZ unterhält sich Astrid Mania mit Brigitte Franzen über die lange Zeit in der Kunstgeschichte eingemotteten "Neuen Wilden" und die Marktmechanismen der Kunstwelt.

Besprochen werden die Ausstellung "Wild - Tiere in zeitgenössischer Fotografie" in der Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin (taz) und eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst "On the Road" zum 800-Jahre-Jubiläum der Pilgerfahrt Franz von Assisis zum Grab des Apostels Jakobus Zebedäus in Santiago de Compostela (NZZ).

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