Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
25.11.2002. Durfte John F. Kennedy seine Krankheiten geheimhalten? Ein erfolgreicher Präsident darf das, meint Robert Dallek in Atlantic Monthly. Der Nouvel Obs plädiert für eine Vermischung der Völker und Rassen. Outlook India empfiehlt Indern, im Moment besser nicht in die USA zu reisen. Imre Kertesz erklärt in Literaturen, warum die Diktatur infantilisiert. In L'Espresso malt Umberto Eco die Wirkung von 30 Heckenschützen an die Wand. Das TLS macht sich Gedanken über Marcel Prousts Tunten-Theorie. Der Spiegel war bei den Troglodyten der New Economy: Pixelpark. Der Economist beschreibt den Kampf der Giganten Nokia und Microsoft um die digitale Vorherrschaft.

The Atlantic (USA), 01.12.2002

Ob JFKs Krankenakte oder das Recycling-Prorgramm für Langzeit-Diktatoren, Atlantic Monthly hat diesen Monat eine Menge Lesenwertes zu bieten!

Der Präsidenten-Historiker Robert Dallek (homepage) hat Einsicht erhalten in die medizinischen Akten von John F. Kennedy. Aus den Akten geht hervor, dass Kennedy erhebliche gesundheitliche Probleme hatte, deren medikamentöse Behandlung weitere schwere Leiden hervorriefen - und von denen kaum jemand wusste. In einem äußerst interessanten Telefon-Interview mit Sage Stossel denkt Dallek nach über die Vereinbarkeit einer solchen Geheimhaltung mit den praktischen und ethischen Verpflichtungen eines Präsidenten. "Bevor ich mich mit diesen medizinischen Aufzeichnungen beschäftigt habe, war ich der Meinung: Ja, Präsidenten haben die Pflicht, uns von ihren gesundheitlichen Problemen in Kenntnis zu setzen. Jetzt, nachdem ich mir all dies angesehen habe, muss ich sagen: Ja, ich glaube, dass Präsidenten mit offenen Karten spielen sollten und uns aufrichtig erklären sollten, welche gesundheitlichen Schwierigkeiten sie haben. Doch auf der anderen Seite ist es so gut wie sicher, dass Kennedy, hätte er das getan, nicht zum Präsidenten gewählt worden wäre. Und ich denke, er war, alles in allem, ein sehr wirkungsvoller und erfolgreicher Präsident."
Leider nur im Print zu lesen ist der dazugehörige Artikel "The Medical Ordeals of JFK", in dem Dallek John F. Kennedys Krankenakte analysiert.

Langzeit-Diktatoren sind ein Problem, stellt Cullen Murphy bekümmert fest. "Das Verwaltungs-Dilemma, das die Diktatoren dieser Welt darstellen, ist akut. Viele unter ihnen wollen einfach nicht aus dem Amt scheiden, und die, die dazu bereit wären, haben oft keinen Ort, an dem sie sicher wären vor rechtlichen Unannehmlichkeiten und körperlichen Repressalien." Schlimm! Um diesem Problem zu begegnen, hat die Boston University das "Lloyd G. Balfour African Presidents in Residence Program" ausgearbeitet, bei dem Langzeit-Diktatoren mit einer Universitäts-Sinekure in den USA zum Ausstieg verlockt werden sollen. Murphy findet diese Idee so ausgezeichnet, dass er sie weiterspinnt. Immerhin könnten diese Leute noch viel Gutes tun: General Assad, zum Beispiel, wäre die ideale Antwort auf die Bedürfnisse des von andauerndem Zwist geplagten English Department der Columbia University: "Solche Spaltungen würden natürlich als eine Kleinigkeit angesehen werden von jemandem wie dem zum Augenarzt gewordenen starken Mann Bashar al-Assad. Drei Jahrzehnte lang hat die Assad-Familie auf brutale Weise die zentrifugalen Kräfte (Drusen, Christen, alawitische Moslems, sunnitische Moslem, Kurden, Armenen, Palästinenser) in Schach gehalten, die sonst Syrien - ein mentales Konstrukt, das nicht minder lächerlich ist, als 'English Departments' manchmal sein können - auseinander gerissen hätten. Assad wäre geradezu ein Glückstreffer für eine jede Intrige zwischen Post-Strukturalisten und Semiotikern."

Im Rampenlicht des Centerpiece steht diesmal das amerikanische Schach-Genie Bobby Fischer (mehr hier und hier). Von Rene Chun erfahren wir von Fischers unglaublicher und gerade in Zeiten des Kalten Krieges brisanten Schach-Karriere und der Paranoia, die ihn zum ersten polizeilich gesuchten Schach-Großmeister machte.

Weitere Artikel: Der Rechtswissenschaftler Randall Kennedy (mehr hier und hier) berichtet, dass auch wenn die Akzeptanz von "Mischehen" erheblich gestiegen ist, die Ehen zwischen Schwarzen und Weißen nur einen geringen Anteil davon bilden und immer noch für Kontroversen sorgen. Der schlanke Jonathan Rauch schlägt die Erhebung einer Steuer für Fettleibige vor, die die Kassen des amerikanischen Gesundheitssystem nähren soll. Eyal Press und Jennifer Washburn stellen fest, dass die privaten Hilfsprogramme für gefährdete Jugendliche (die sogenannte at-risk-youth) nicht den erhofften Erfolg gebracht haben. Christopher Hitchens beschäftigt sich mit dem verkannten russischen Denker Alexander Herzen, den Tom Stoppard in seiner Theater-Trilogie "The Coast of Utopia" zur beherrschenden Figur gemacht hat. Außerdem lobt Mona Simpson Alice McDermotts neuen Roman "Child of my heart", der so anders ist, als ihre bisherigen Bücher.

Nur im Print: Marjorie Garber macht sich Gedanken über das Genie, eine Idee, die wir angeblich nicht aufgeben wollen. Und Jessica Cohen erzählt die Geschichte eines kinderlosen Ehepaares, das in einer College-Zeitung 25.000 Dollar für die Eier einer Einserabsolventin aus Yale geboten. Es antwortete jedoch eine Studienanfängerin.
Archiv: The Atlantic

Nouvel Observateur (Frankreich), 21.11.2002

Viele Rezensionen in dieser Woche. Der Soziologe Edgar Morin bespricht im Debattenteil "La Decouverte du Monde" von Edwy Plenel über die Reisen von Christoph Kolumbus. Der Text war 1992 anlässlich des 500. Jahrestages der Entdeckung Amerikas im Feuilleton von "le Monde" erschienen. Für den nun als Buch vorliegenden Text (Stock) hat der Autor sein hundertseitiges Vorwort nach dem 11. September überarbeitet und Reflexionen über die "neue Ära" danach eingearbeitet. Darin fordert er weniger über "Globalisierung" als über "Verwestlichung" zu sprechen. Deshalb sei die Leitidee des "l'Homme mele" überschriebenen Textes, so Morin, auch die "Vermischung" der Völker und Rassen, deren "Bedeutung in der Menschheitsgeschichte bisher kaum erkannt worden sei"; sie werde nicht nur als "Unterdrückung von Verschiedenheiten und Verwirrung von Unterschieden begriffen", sondern als das "Erzeugen neuer menschlicher Verschiedenheiten und Fülle". Der Austausch innerhalb sich mischender Kulturen erzeugten "eine transkulturelle Kultur". Die Vermischung, so Morin, sei "die Zukunft der Welt, die einen weltumspannenden Humanismus in sich trage", und der "vermischte Mensch (l'homme mele) die Zukunft des Menschen". Plenels Buch sei deshalb ein Beitrag zu diesem "weltumspannenden Humanismus".

Besprochen werden außerdem eine Biografie des berühmten französischen Kunsthändlers Paul Durand-Ruel (Plon), der die Impressionisten entdeckte, und eine Studie zur Theorie archaischer und moderner Mythen von Rene Girard (Grasset). Zu lesen ist des weiteren ein leider etwas unergiebiges Porträt von Günter Grass, dessen Buch "Im Krebsgang" jetzt in Frankreich erscheint (Seuil). Außerdem unterhalten sich die beiden Schauspieler Daniel Auteuil und Bernard Giraudeau über eine gemeinsame "geheime Leidenschaft": das Schreiben. Auteuil veröffentlichte jetzt einen von Sempe illustrierten Band mit Erzählungen (Seuil), Giraudeau seine Märchen für Kinder (Metailie-Seuil).

Outlook India (Indien), 02.12.2002

Zwei ausführliche Porträts bietet Indiens führendes englischsprachiges Nachrichtenmagazin diese Woche. Das eine, die Titelgeschichte, ist dem Ministerpräsidenten Atal Behari Vajpayee gewidmet, der alle Hände voll zu tun hat, seine 24-Parteien-Koalition zusammenzuhalten und dessen Ruf längst unter seiner enormen politischen Wendigkeit leidet. Das andere Porträt gilt dem Musiker A.R. Rahman (hier eine Website), dessen Ruhm längst über die Grenzen Indiens dringt. Berühmt geworden ist Rahman als Bollywood-Komponist (u.a. auch der Musik zum bei uns gelaufenen "Lagaan"), seit dem Erfolg des gemeinsam mit Andrew Lloyd Webber in London auf die Bühne gebrachten Musicals "Bombay Dreams" hat er aber auch jede Menge Angebote aus dem Rest der Welt. 18 Stunden am Tag arbeitet er jetzt schon, stets an mehreren Produktionen gleichzeitig - sein Traum sieht freilich anders aus: "Ausspannen, rumhängen, nichts tun, meine Lieblingsmusik hören - Bach, Mozart, Beethoven, die Carpenters, Carnatic, rock and fusion".

Einigermaßen bitter berichtet ein weiterer Artikel davon, dass es sich derzeit nicht empfiehlt, als Inder in den USA unterwegs zu sein. Die Kontrollen an den Flughäfen sind gnadenlos, weder Ruhm noch höchst offizielle Einladungen helfen da weiter. Übel ergangen ist es etwa dem US-Bürger und US-Armee-Arzt Bob Rajkumar: "Er wurde letzten Monat von US Marshals in Handschellen abrupt aus der Ersten Klasse seines Delta Flugs nach Philadelphia entfernt. Danach sperrte man ihn in eine Polizeizelle, die so schmutzig war, dass er nicht mal 'seinen Hund' dort eingesperrt hätte, wie er später erzählte. Während dieses dreistündigen Alptraums wurde Rajkumar weder nach seinem Namen noch nach seiner Adresse oder Sozialversicherungsnummer gefragt. Als er den Grund für seine Verhaftung erfahren wollte, erklärten ihm die Marshals dem Sinn nach, 'es hat uns nicht gefallen, wie Sie uns angesehen haben'." Kein Einzelfall, sondern nur das Opfer des seit dem 11. September verstärkten "racial profiling".

Archiv: Outlook India

Literaturen (Deutschland), 01.12.2002

Eine äußerst geizige Internetausgabe. Der einzige längere Artikel, den wir im Netz lesen dürfen, ist Manfred Schneiders Pisa-Nachlese.

Nur im Print: Sigrid Löffler liefert ein Porträt des Nobelpreisträgers Imre Kertesz (mehr hier), der ihr bei einem Besuch erklärt hat, warum sein Auschwitz-Buch "Roman eines Schicksallosen" 1975 in Ungarn kein Erfolg werden konnte - oder vielmehr durfte: "Dass mein Held ein Kind ist, war als Kritik am System zu verstehen: Die Diktatur infantilisiert den Menschen. Der unfreie Mensch ist kein ganzer Mensch. Die literarischen Behörden haben das sofort entdeckt. Deshalb wollten sie dieses Buch nicht haben. Hätte ich die Befreiung aus den Lagern in den Mittelpunkt gerückt, hätten sie das Buch tolerieren können. Dass ich aber die Befreiung nicht als Befreiung beschrieben habe, das konnten sie nicht ertragen."

Weiter im Heft: Passend zu Weihnachten gibt es einen Schwerpunkt "Erlesene Völlerei". Besprochen werden Neuerscheinungen zum Thema Antisemitismus, drei Bücher über Lewis Carrolls Alice, Kathrin Schmidts Roman "Koenigs Kinder" und Bernard-Henri Levys Sartre-Biografie, an der Dieter Thomä vor allem eins kritisiert: dass Levy der Auseinandersetzung mit Foucault ausweicht, der Sartre dafür kritisiert hatte, dass er das "souverän heraustretende Subjekt" des 19. Jahrhunderts ins 20. hinüberretten wollte - eine Sache, die Levy nun gerade attraktiv finde.
Archiv: Literaturen

New Yorker (USA), 02.12.2002

Dafür lieben wir den New Yorker: Welche andere Zeitschrift würde eine Brücke porträtieren? In diesem Falle die Verrazano-Narrows Bridge (mehr hier), die Brooklyn mit Staten Island verbindet. Autor Gay Talese erzählt nicht nur die Geschichte dieses Bauwerks und der Menschen, deren gesamtes Leben mit ihr verbunden war und ist, sondern auch von ihrer städtischen Funktion. "Die Verrazano-Narrows Brücke ist ein kommerzieller Koloss, der jeden Tag von zweihunderttausend Autos überquert wird und tägliche Einkünfte von über 630.000 Dollar bringt. Sie ist eine poetische Konstruktion von dauerhafter Schönheit und Nützlichkeit."

Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Shamengwa" von Louise Erdrich (mehr hier) und eine satirische Glosse darüber, wie die USA mittels hausfrauenpsychologischer Tricks irakische Waffenhändler zum Ungehorsam gegenüber Saddam Hussein treiben will.

Besprechungen: In einer Sammelrezension geht es um die Frage, was die Innenansichten aus der erfolgreichen TV-Serie "Saturday Night Life", die Tom Shales und James Andrew Miller in "Live from New York" (Little, Brown) liefern, und das neue Buch von Jenny Uglow "The Lunar Men" (Farrar, Straus & Giroux) mit deutscher Philosophie gemeinsam haben. Rezensiert wird der neue Roman von Michael Crichton, "Prey" (Harper Collins), außerdem gibt es Kurzbesprechungen. Vorgestellt wird eine New Yorker Ausstellung des "vergessenen" Wiener Designers und Raumgestalters Dagobert Peche (mehr hier) in der Neuen Galerie, zu lesen ist ein Porträt des estnischen Komponisten Arvo Pärt (mehr hier) und eine Kritik der Graham-Greene-Verfilmung "The Quiet American" von Phillip Noyce mit Michael Caine in der Hauptrolle.

Nur in der Printausgabe: eine Untersuchung der Frage, ob John Kerry (hompepage) 2004 George W. Bush schlagen kann, ein Bericht über die Broadway-Karriere des Regisseurs Baz Luhrmann ("Moulin Rouge"), Betrachtungen zu einem geheimnisvollen Gemälde von Degas, Szenen eines Thanksgiving-Abends in "Apartment 3-A", sowie Lyrik von Ciaran Carson, David Woo und Richard Wilbur.

Das Cover ist diesmal übrigens von dem wunderbaren deutschen Meister der gutgemalten Seltsamkeiten, Michael Sowa.
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 28.11.2002

"Die Welt ist zu kompliziert geworden, um sie von denjenigen regieren zu lassen, die sie bisher regiert haben", stellt Umberto Eco in seiner neuen Bustina lakonisch fest. Der geringe Aufwand, die neue Leichtigkeit des Terrorismus erschreckt ihn. Wie mühelos man eine ganze Region terrorisieren kann, haben wir bei den Washingtoner Heckenschützen gesehen, schreibt er. Wenn nun aber "eine terroristische Organisation, anstatt Zeit zu verschwenden mit Flugzeugentführungen, einfach über die ganze Nation verteilt etwa 30 Heckenschützen einsetzen würde, könnte sie das ganze Land lahmlegen. Nicht nur das, sie würden auch einen Wettbewerb von Nachahmern auslösen, die sich mit Freude an dem Fest beteiligen würden."

Mit 14 Koranschulen und 28 Moscheen hat Bradford die größte islamische Gemeinde in Großbritannien, informiert uns Dina Nascetti. Und einen hohen Anteil anderer Ethnien. Die Integration der insgesamt 92 verschiedenen Gruppen in das Leben der Stadt mit einer halben Million Einwohnern hat nie funktioniert, resümiert Nascetti, und so ist es in Bradford zu einer explosiven Mischung gekommen. Täglich brechen Unruhen aus. "Jugendbanden aus 'Weißen', wie die Einwohner genannt werden, treffen auf islamische Gangs Jungs: geplünderte und angezündete Geschäfte, in Brand gesteckte Autos."

Außerdem: Ambra Somaschini verrät uns, wo die Kreativen der Zukunft herkommen - aus Afrika. In Kapstadt, Nairobi oder Dakar hat Somaschini Musiker, Künstler und Designer gefunden, die mit ihrer Verbindung von Moderne und Stammestradition die Zukunft der Kunst prägen werden. Antonio Politano spricht den Engländern in seinem Porträt der indischen Eisenbahn ein großes Lob aus. Sie hätten vor 150 Jahren mit der Konstruktion des Tausende von Kilometern umfassenden Schienennetzes dafür gesorgt, dass aus dem riesigen Subkontinent ein Staat werden konnte. Pietro Del Re stellt den Governeur von Herat Ismail Khan (mehr hier) vor, der sich vom Warlord zum Friedensbringer gemausert hat und jetzt angeblich nur noch gegen den Hunger und die Not seiner Landsleute kämpft. Und die Kriegstreiber in den eigenen Reihen.
Archiv: Espresso

Times Literary Supplement (UK), 22.11.2002

Die Internetadresse des TLS funktioniert heute morgen nicht, darum können wir die Artikel nicht verlinken. Vielleicht probieren Sie es später selbst hier.

Bei der Lektüre von Emily Eels' Studie zu Marcel Prousts "Anglophilie" hat Daniel Karlin vor allem das "faszinierende und suggestive Material" beeindruckt, auf das sich Eels beruft. Weniger angetan ist er allerdings von Eels' Tendenz, aus Prousts "Anglomanie" gleich "Anglosexualität" machen zu wollen. Gleichwohl ergeben sich dabei amüsante und beunruhigende Ideen, wenn zum Beispiel Eels, wie auch schon andere vor ihr, darauf aufmerksam macht, dass im französischen Slang "Tee trinken" "schwuler Sex" bedeutete, und sowohl "Tasse" als auch "Teekanne" ein Pissoir bezeichneten. Dies werfe ein völlig anderes Licht auf die berühmte Episode der kleinen in Kräutertee getunkten Madeleine. "Es ist überraschend, wie anders die sinnliche Oralität dieses Moments aussieht, wenn man sie als verhüllte Anspielung auf Sex in öffentlichen Toiletten versteht. (?) Letztendlich, wie Freud vielleicht sagen würde, ist manchmal eine Tasse Tee einfach eine Tasse Tee. Doch selbst wenn diese sprachliche Verbindung nicht existieren sollte, weist sie doch auf eine unverkennbare Wahrheit hin, nämlich die Tunten-Theorie, mit der die Franzosen die Engländer behafteten (und immer noch behaften)."

Weitere Artikel: Paula Byrne beschäftigt sich mit Jean Benedettis Biografie des englischen Schauspielers David Garrick (mehr hier), von dem gesagt wird, er habe das moderne Theater erfunden. E. S. Turner hat den dritten Teil der Tagebücher des britischen Politikers Alan Clark gelesen und glaubt, dass Clarks teilweise "selbstmitleidige Selbstzerfleischung" so manchen seiner Verehrer überraschen werden. Rosemary Righter hat drei Studien über das post-sowjetische Kasachstan gelesen und ärgert sich vor allem über den "dogmatischen Hass auf den Kapitalismus", der Joma Nazparys Analyse verzerre.

Im Print zu lesen sind außerdem E. S. Turners "Last Diaries", "The Welter" von Les Murray und Paul Levys "Feast", eine Geschichte des üppigen Essens.

Spiegel (Deutschland), 25.11.2002

Die Titelgeschichte ist der Himmelsscheibe von Nebra gewidmet (mehr hier). Aus unerfindlichen Gründen sollen sich diese unpolitischen Hefte ja gut verkaufen.

Aus den Ruinen einer Zukunft, die schon wieder Vergangenheit ist, berichtet dagegen eine Reportage über die letzten aufrechten, von der Insolvenz bedrohten Pixelparker, die als eine Art Troglodyten der New Economy durch die leeren Gänge des schnieken Berliner Osram-Hochhauses schlurfen. Ein Stimmungsbild: "Jetzt verlieren sich vielleicht noch rund 100 Mitarbeiter in den weiten Fluren. Oben unter dem Dach ist es besonders trist. Das 'Kathedrale' genannte Kreativzentrum ist fast leer. Auf der einen Seite montiert ein Handwerker schon Tische auseinander, Lampen sind säuberlich nebeneinander gelegt, alle Stühle in eine Ecke geschoben - wie zur Inventur, oder zur Insolvenz." Nur Paulus Neef, der tapfere, strebt noch immer nach neuen Ufern.

Nicht rezensiert, sondern genüsslich referiert wird das neue Buch des durch "Watergate" zu unsterblichem Ruhm gelangten Journalisten Bob Woodward. Er hat intimste Einblicke in das Verhalten des Nationalen Sicherheitsrats der USA nach dem 11. September erhalten und die Leser erfahren jetzt vom Tatendrang der mächtigsten Männer der Welt. Zur Sitzungseröffnung betet etwa Donald Rumsfeld: "Gott möge 'uns Geduld verleihen, um unsere Begierde nach Taten zu zügeln'." Der CIA-Mann Cofer Black will die Köpfe der Taliban "auf Stangen spießen" und freut sich schon darauf, dass die "Fliegen auf ihren Augäpfeln spazieren gehen".

Außerdem: Konstatiert wird in einer beinahe hymnischen Besprechung des Bodo-Kirchhoff-Hannelore-Elsner-Oliver-Hirschbiegel-Films "Mein letzter Film" ein "Stimmungswandel an den Fronten des Geschlechterkampfs". Nur im Print erfährt man, wie schwer die Werbeflaute nun auch den Privatfernsehsendern im Magen liegt. Robbie Williams gibt im Interview gut gelaunt Auskunft über sein Dasein als Star und seinen Umzug nach LA.
Archiv: Spiegel

Economist (UK), 22.11.2002

Der Aufmacher ist einer neuen Art von Computer gewidmet: dem Taschen-PC, der eine Kombination aus Computer und Mobiltelefon sein wird. Zwar ist das alles zur Zeit noch recht teuer, aber "der Zusammenstoß der Computer- und Mobilphone-Industrien wird wahrscheinlich zu einer Innovationsflut führen, und die beiden Lager werden sich gegenseitig darin überbieten, ein wahrhaft individuelles Computer- und Kommunikationsmittelgerät zu schaffen, das einen weit größeren Reiz besitzen wird als der fälschlich so genannte persönliche Computer. Und während die Titanen es miteinander auskämpfen, werden die Konsumenten am Ende die Sieger sein", meint der Economist mit typisch optimistischem Blick auf den neuesten Coup des globalen Marktes. Die Titanen, das sind Nokia und Microsoft, deren Kampf um die digitale Vorherrschaft der Economist einen Special Report gewidmet hat.

Weitere Artikel: warum die britische Industrie keinen Grund hat, sich über die Regierung zu beschweren, ob das neu gegründete Department of Homeland Security den USA wirklich mehr Sicherheit bringt, und wer die größten Exzentriker Englands sind. Vom neuesten Tabubruch in Deutschland, bei dem es um die Aufarbeitung der Leiden der Zivilbevölkerung während des Krieges geht, lesen wir leider nur im Druck.
Archiv: Economist

New York Times (USA), 24.11.2002

Als "unwiderstehlich spannend" preist Jim Holt "Prey" (hier das erste Kapitel) von Michael Crichton (homepage), der sich in seinem neuen Page-Turner der Wunder und Gefahren der Nanotechnologie (mehr dazu auch in unserer FAZ-Zusammenstellung vom Wochenende) bedient, um in gewohnt gekonnter Manier Wissenschaft und Suspense zu verbinden. Wie immer hat Crichton ausführlich recherchiert, bevor er den vierzigjährigen Computerprogrammierer Jack in seinem "bisher vielleicht ambitioniertesten Buch", wie Holt schreibt, in den Kampf gegen die Nano-Firma Xymos und wildgewordene, intelligente und sich selbst reproduzierende fliegende Mini-Roboter schickt. "Man wird unterhalten und lernt gleichzeitig was dabei", meint der Rezensent, "auch wenn die beiden Ebenen schließlich auseinandergehen. Und natürlich war ich dann nicht wirklich überrascht zu lesen, wie der Good-Guy-Erzähler eine hoffnungslose Situation nach der anderen meistert, bis die Nano-Bedrohung inmitten großer Explosionen vernichtet wird. Auch wenn Crichtons Thema die Unvorhersehbarkeit ist, manchmal kommt es doch genau so, wie man es sich gedacht hat."

John B. Judis' and Ruy Teixeiras Prognose, wie die zukünftigen wirtschaftlichen, demographischen und kulturellen Veränderungen die Politik der USA beeinflussen werden, lobt David Kusnet als informatives "intellektuelles Abenteuer". Die Autoren sagen in "The Emerging Democratic Majority" eine langanhaltende Wiedererstarkung der Demokraten voraus, ähnlich der Übermacht der Republikaner während der siebziger und achtziger Jahre. "Judis und Texeira finden diese Zukunft in den urbanen Regionen wie Kaliforniens Silicon Valley und North Carolinas Forschungsdreieck (...). Dort lokalisieren sie die drei Bevölkerungsteile, die mehr und mehr demokratisch werden: rassische und ethnische Minderheiten, gebildete arbeitende Frauen und hochspezialisierte Fachkräfte." (Hier das erste Kapitel)

Weiteres: Laura Miller erinnert an den kalifornischen Schriftsteller Philip Dick (mehr hier), der, obwohl seine besten Arbeiten der Pulp Fiction zugerechnet werden, nach Millers Überzeugung einen unabsehbaren Einfluss auf unser heutiges Alltagsleben ausgeübt hat. Michael Gorra ist ganz angetan von Alice McDermotts Roman "Child of my Heart" (hier das erste Kapitel), in der die 15-jährige Theresa auf dem Long Island der sechziger Jahre die Welt der Erwachsenen entdeckt. Das liegt zum großen Teil an McDermotts sauberem, schlanken Stil, der aber kein Detail vermissen lässt und den Sätzen damit einen "Unterton an Bedeutung" verleiht, wie der Rezensent schreibt. Adam Kirsch hält J. D. Clatchy für den herausragenden Vertreter einer strengen und exakten Tradition in der amerikanischen Poesie und empfiehlt daher auch seine neue Gedichtsammlung "Hazmat" als ansprechende, witzige und elegante Lektüre.
Archiv: New York Times