Spätaffäre

Vom Körper seiner Schwester

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
04.04.2014. Ohne meinen Lektor gäbe es meine Bücher nicht, verrät Karl Ove Knausgård in einem grandiosen Essay auf Eurozine. Truman Capote besucht Marlon Brando in Tokio. Marguerite Duras, die heute vor hundert Jahren geboren wurde, analogisiert in "Agatha et Les Lectures illimitées" inzestuöse Liebe mit dem Akt des Lesens. In der BBC ist der Frühling ausgebrochen.

Für die Augen



Heute vor hundert Jahren wurde Marguerite Duras in Saigon geboren - eine der wichtigsten Autoren und Autorenfilmer im Frankreich des 20. Jahrhunderts. Die NZZ würdigte sie am Samstag mit einem ausführlichen Artikel. Wir haben auf Youtube einen Film von ihr gefunden: "Agatha et Les Lectures illimitées" von 1981, mit Bulle Ogier, Yann Andréa und der Stimme von Duras. Das Münchner Haus der Kunst beschrieb den Inhalt anlässlich einer Vorführung so: "Inspiriert von Robert Musils 'Mann ohne Eigenschaften' schreibt Marguerite Duras einen Dialog zwischen einem Bruder und einer Schwester, die sich endgültig trennen werden. Die inzestuöse Liebe ist für Duras das Wesentliche: eine Liebe, die nie enden, aber auch nicht ausgelebt werden kann. Sie ist verdammt und erhält sich in der Geborgenheit dieser Verdammung. Duras analogisiert die inzestuöse Liebe mit dem Akt des Lesens, der Auflösung der Grenzen zwischen Autor und Leser, einer ekstatischen Verschmelzung ihrer Körper mit dem Text. Dennoch, so Duras: 'Wenn er vom Körper seiner Schwester spricht, spricht er vom Unberührbaren.' Die Kamera fährt immer wieder über die gedruckten Seiten des 'Agatha'-Buchs." Hier zum Ansehen (Unter dem Icon "Captions" kann man englische Untertitel einblenden, 82 Minuten).

Bei diesem Film muss man nichts vom Inhalt erzählen: Rita Hayworth wirft die Mähne zurück und treibt Glenn Ford in den Wahnsinn. "Gilda" (1946), in seiner ganzen gloriosen Pracht, hier zum Ansehen (im Original, 106 Minuten).
Archiv: Für die Augen

Für die Ohren

"Spring is sprung", meldet Laura Barton im Guardian und verweist auf eine Reihe kleiner Schriftsteller-Essays bei BBC 3 über den Frühling: "Was mich am meisten beeindruckte war, wie schön es war, die Essays zu hören. Jeder Autor spricht in der Sprache der Landschaft, die er beschreibt, es scheint als würde das Vokabular des Frühjahrs so wie die Erde selbst erblühen." Hier der Essay von Michele Roberts über den Frühling in Posen. Hier der Überblick über vier weitere Essays von Ross Raisin (in den Yorkshire Wolds), John Walsh (ein Dorf namens Steep), Kirsty Gunn (Sutherland) und Philip Hoare (Sholing). Jeder der Essays dauert etwa 15 Minuten.

Schauriger Grusel aus dem WDR-Hörspielangebot: In Klaus-Peter Wolfs und Thomas Leutzbachs Hörspiel "Der Flüsterer" stellt ein Anrufer einer Lehrerin nach und droht mit schlimmen Konsequenzen, wenn sie seinen Anweisungen nicht folgt. Hier - wie auch einige andere aktuelle Hörspielproduktionen des WDR - zum Nachhören (54 Minuten).
Archiv: Für die Ohren
Stichwörter: Hörspiel, WDR

Für Sinn und Verstand

Wie schreibt man? Welche Rolle spielen Freunde/Autoren, Verlag und Lektor bei der Entstehung eines Buchs? Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård beschreibt das in einem großartigen, ganz dicht an den eigenen Erfahrungen entlang geschriebenen Essay für Samtiden, den Eurozine ins Englische übersetzt hat. Er beginnt mit zwei der berühmtesten Lektoren der jüngeren Literaturgeschichte, Maxwell Perkins und Gordon Lish. Sind die beiden zu weit gegangen, als sie quasi den Ton schufen, für den ihre Autoren berühmt werden sollten? "Um zu begreifen, was sich im Schatten dieser dunklen Zone abspielt, hilft es, ein Gedankenexperiment vorzunehmen: Wie wären diese Bücher ohne Lektoren geworden? In meinem Fall ist die Antwort einfach: Es gäbe keine Bücher. Ich wäre kein Autor geworden. Das heißt nicht, dass mein Lektor [Geir Gulliksen] meine Bücher für mich schreibt, sondern dass seine Gedanken, Ideen und Einsichten für mein Schreiben wesentlich sind. Diese Gedanken, Ideen und Einsichten sind sein Beitrag zu meiner Arbeit, und daher auch zu mir. Wenn er andere Autoren lektoriert, gibt er ihnen andere Dinge. Idealerweise ist der Job eines Lektors undefiniert und offen genug, um den Forderungen, Erwartungen, dem Talent und der Integrität jedes individuellen Autors genau angepasst werden zu können. Über allem beruht er auf Vertrauen und ist viel abhängiger von persönlichen Eigenschaften und einem Verständnis für andere als von formalen literarischen Kompetenzen."

Gestern hätte Marlon Brando seinen Neunzigsten gefeiert. Der New Yorker gratuliert, indem er Truman Capotes wunderbar stimmungsvollen Bericht von seinem Besuch in Brandos Hotelzimmer in Tokio online stellt, wo sich der Schauspieler 1957 für den Dreh des Melodramas "Sayonara" aufhielt: "Brando gähnte; es musste Viertel nach eins sein. In weniger als fünf Stunden musste er geduscht, rasiert und gefrühstückt am Set sein, damit der Maskenbildner sein blasses Gesicht in dem Mulattenton anmalen konnte, der für Technicolor erforderlich ist. 'Lass uns noch eine Zigarette rauchen', sagte er, als ich Anstalten machte, mir den Mantel anzuziehen. 'Möchtest du etwas trinken?' Draußen hatten sich die Sterne verdunkelt und es hatte zu nieseln begonnen, die Aussicht auf einen Schlummertrunk war also verlockend, zumal ich zu Fuß zu meinem eine Meile entfernten Hotel zurückkehren musste. Ich schenkte mir Wodka ein, Brando lehnte ab. Doch dann griff er nach meinem Glas, nippte daran, setzte es zwischen uns ab und sagte unvermittelt, aber nicht ohne Gefühl: 'Meine Mutter. Sie zerbrach wie ein Stück Porzellan.'"