Uwe Kolbe

Vinetas Archive

Annäherungen an Gründe
Cover: Vinetas Archive
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
ISBN 9783835308824
Gebunden, 224 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Erzählende Essays - essayistische Erzählungen: über den Stoff des Lebens und Schreibens. Ob Uwe Kolbe mit Hölderlin von Bad Homburg nach Frankfurt wandert, ob er Vater und Sohn ein Bratkartoffelgericht zubereiten lässt, in Rheinsberg oder Arkadien unterwegs ist - immer spürt er mit großer Intensität dem geschichtlichen Prozess und der eigenen Identität nach. Beobachtung und Abstraktion, Erzählung und Essay, Nachdenkliches, Poetisches und Polemisches finden zusammen. Was ist der Stoff des Lebens? Wo haben die Erfahrungen, Kontinuitäten und Brüche ihren Grund? Wo verstellen (Selbst-)Täuschungen die klare Sicht auf die Wirklichkeit? Dem Autor sind die Utopien fragwürdig geworden, die einmal auch die eigenen waren. Lange vor 89 verließ er den sich sozialistisch nennenden deutschen Staat; den Mauerfall erlebte er in Texas am Fernseher. Enttäuschungen positiv zu begreifen, ihnen Produktivität abzugewinnen, das ist seit langem sein Credo. Dass Schriftsteller wie Fühmann, Hilbig, Christa Wolf und Robert Walser, bildende Künstler wie Hans Scheib und Annette Schröter für ihn immer wieder Identifikations- und Anstoß- oder Abstoßpunkte sind, verwundert wenig. Im Nachdenken über sie thematisiert Kolbe auch das Eigene, stellt sich den großen Fragen, nach Glück, Scheitern, Tod und deren Widerschein im Poetischen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.2012

Keine Intention, sondern ein Auf und Ab das zum Schreiben führt. Dieser Bewegung wohnt Anja Hirsch offenbar sehr gerne und mit Gewinn bei. Uwe Kolbes Essays aus sieben Jahren, Texte über Hölderin, die Rolling Stones, Christa Wolf, überarbeitet und locker auf eine Lebenskurve hindeutend, führen Hirsch zu für den Autor Kolbe prägenden Momenten zwischen Ost und West, zu lohnenden Ambivalenzen beim Denken und Schreiben, zu einer Art Poetik des Schriftstellers Uwe Kolbe, gerade, indem dieser sich nicht festlegt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.03.2012

Dass Uwe Kolbe den Heinrich-Mann-Preis bekommt, findet Rezensentin goldrichtig, ihrer Meinung nach hätte er ihn schon allein für seine Essaysammlung "Vinetas Archive" verdient, die sie daher noch einmal nachdrücklich empfiehlt. Darin grabe der Autor seine Erinnerungen an das "Dreibuchstabenland" DDR aus, an den Staatsbesuch Fidel Castros und an die "abgesoffene Hoffnung" der Utopie. Die Rezensentin schildert, wie Kolbe von seiner ersten Begegnung mit Obdachlosen und Huren in Westberlin erzählt, die ihm wider Erwarten gar nichts ausmachte. Der Autor verfalle aber nicht bloßem Ost-West-Denken, sondern lasse sich wirklich auf die unterschiedlichen Regionen ein, findet die Rezensentin. Besonders begeistert sie aber, mit wie vielen Stimmen der Autor in seinen Texten spricht: sie hört Hölderlin und Hamlet aus den Essays heraus und bei lutherischen Tönen fragt sie sich schließlich, ob an Kolbe nicht vielleicht ein Theologe verloren gegangen sei.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.07.2011

Für Jürgen Verdofsky zeugt Uwe Kolbes Essayband mit Reden aus den vergangenen sieben Jahren vom unveränderten Temperament des Autors und von seiner Fähigkeit, die Deutungslinien vom Untergang beziehungsweise Nachleben der DDR auf beeindruckende Weise zu ziehen. Immer wieder stößt Verdofsky auf Pointiertes zur Gegenwart, auf kleine Stücke mit Weitblick; bitte weiterschreiben, denkt er mehr als einmal, so auch bei Kolbes Hommagen an Kollegen wie Christa Wolf oder Wolfgang Hilbig. Insgesamt kann der Rezensent zwar kein Programm erkennen, aber einen wirkungsmächtigen Aufriss von "Kolbes ästhetischer Bestimmtheit".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.05.2011

Lothar Müller erkennt im Titel dieses Bandes mit Essays, Vorträgen und Prosatexten von Uwe Kolbe eine sprechende Metapher sowohl für den "Untergang" wie auch das "Wiederauftauchen". Der Autor, der den Mauerbau als Vierjähriger erlebte und 1987 die DDR verließ, teilt darin sein Erstaunen beim Entdecken der westdeutschen Geografie mit oder erzählt von seinen Erfahrungen bei seiner ersten Lesung in Westdeutschland, erfahren wir. Den eigentlichen Glanzpunkt dieses Bandes stellt in den Augen Müllers "Hölderlins Gewissen" dar, der den Dichter als "Fixstern" in der Biografie des Autors beschreibt. Dass nicht alle Texte im Buch an dieses Stück Rollenprosa heranreichen, in der Hölderlin selbst zu Wort kommt, verstimmt den Rezensenten aber nicht. Völlig "entschädigt" sieht er sich nämlich durch den Brief an eine Eberswalder Schulklasse, in der er ihnen sein Gedicht "Der Glückliche" erläutert.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.04.2011

Als "detailscharfe" Utopiekritik empfiehlt Rezensent Michael Braun Uwe Kolbes Erinnerungsbilder an die DDR. In "Vinetas Archive" verarbeite der heute 53-jährige Dichter die Spannung zwischen Hoffnung und Desillusionierung, die seine Generation in dem sozialistischen Staat erlebte. Mit großer Vergegenwärtigungskraft führe Kolbe auf seinen literarischen Streifzügen durch den Nordosten Berlins - hier symbolisch verlagert auf die mythische Ostseeinsel Vineta - noch einmal die vielen Repressionserlebnisse vor Augen, die die große Verheißung bald ins Gegenteil umschlagen ließen. Vor allem zeichne sich Kolbe dadurch aus, dass er im Gegensatz zu dem "erfahrungsresistenten Beharrungstrotz" anderer Autoren seiner Generation auch immer einen selbstkritischen Unterton mitschwingen lasse, so der Kritiker.