Spätaffäre

Dekonstruktion führt zu nichts Substanziellem

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
18.03.2014. Hamed Abdel-Samad spricht im Fernsehen über sein neues Buch "Der islamische Faschismus". Was ist Stille? Und wann ist Stille? Fragt man im Radio. Die dänische Köchin Kamilla Seidler erzählt in El Pais, wie sie bolivianischen Jugendlichen Kochen und Respekt vor Frauen beibringt. Und im New Yorker denkt Louis Menand über Paul de Mans Methode des Lesens nach.

Für die Augen

Die Islam-Debatte ist im Moment etwas eingeschlafen und wird überdeckt durch die Debatten um die Geheimdienstenthüllungen und die Ukraine-Debatte. Allein der Titel von Hamed Abdel-Samads neuem Buch, "Der islamische Faschismus", hätte vor einigen Jahren zu einem Aufschrei geführt. Der offizielle Erscheinungstermin ist der 1. April (mehr hier). Mal sehen, ob es zu Debatten kommt. "Diese Auserwähltheit, das Gefühl, anderen Rassen oder Religionen überlegen zu seien, verbindet Islamismus und Faschismus", sagt Abdel-Samad in einem Gespräch, das er dem Ersten auf der Leipziger Buchmesse gegeben hat. (30 Min.)

Manuel H. Martins Dokumentation "Ein halbes Leben im Versteck" ist recht anders als das, was man zur Zeit so als Geschichtsfernsehen sieht: Hier gibt es keine schulfunkhaft nachgespielten historischen Szenen, illustriert werden die Erzählungen der Zeugen von animierten Zeichnungen. Es geht um "Maulwürfe", gesuchte politische Gegner des Franco-Regimes, die zum Teil über dreißig Jahre in Vertecken überlebten. Die WDR-Seite zum Film ist recht informativ. Hier die englischsprachige Website des Films. (55 Min.)

Und dies ist, was uns meistens passiert, wenn wir in unserer Eigenschaft als Demokratieabgabenzahler die Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen durchsuchen:


Archiv: Für die Augen

Für die Ohren

Der Wagenbach Verlag feiert seinen 50. und alle feiern mit. Der "Verlag für wilde Leser" wurde 1964 in Berlin von Klaus Wagenbach gegründet. Heute leitet seine Ehefrau Susanne Schüssler die Geschäfte - Katja Weise führte auf NDR Kultur mit beiden ein längeres Gespräch. (41 Min.)

1948 legte der Mathematiker und Philosoph Norbert Wiener den Grundstein der Kybernetik. Michael Reitz stellt dessen Theorien und ihren Folgen für die Gegenwart in einem Feature für den SWR vor: Hier zum Nachhören. (27 Min.)

In ihrem Deutschlandradio-Kultur-Feature "Vom ewigen Augenblick der Stille" versuchen Susanne Burkhardt und Robert Brammer sich durch Gespräche, Gedanken, akustische Reflexionen und Assoziationen dem Phänomen der Stille zu nähren: Was ist Stille? Und wann ist Stille? Eine Grenzerfahrung, Voraussetzung von Musik, von Einsamkeit, von Kreativität und von Selbstfindung, aber auch Bestandteil von besonderen Augenblicken des Lebens ... (53 Min.)
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Für Sinn und Verstand

"Wir glauben, dass wir durch Essen die Welt verändern können." Pablo León stellt in El Pais Semanal die Dänin Kamilla Seidler vor, die vor einem Jahr im bolivianischen La Paz ihr Restaurant Gustu samt angeschlossener Kochschule eröffnet hat: "'Es soll nicht nach Angeberei klingen, aber wir wollten einfach etwas Anderes, Sinvolleres versuchen: Mit Jugendlichen arbeiten, die sonst keine Chance hätten, Haute cuisine zu lernen.' Das Konzept der Schule sieht vor, Jugendliche von der Straße in die Küche zu holen. Die Küchenchefinnen von Gustu sind zwei junge Frauen, nicht nur, um dem tief verwurzelten Machismo im Lande etwas entgegenzusetzen: 'Ich möchte zeigen, dass es gut ist, wenn Frauen Verantwortung übernehmen, und dass es gut ist, wenn Frauen recht haben', erklärt Kamilla Seidler." Restaurant und Kochschule sind Teil des Projektes Fundación Melting Pot Bolivia, in das der dänische Starkoch Claus Meyer, Mitbegründer des weltberühmten Kopenhagener Restaurants Noma, fast eine Million Euro investiert hat. Hier erklärt Seidler ihr Konzept auf Englisch:



Der Literaturtheoretiker Paul de Man ein Antisemit, narzisstischer Soziopath und Lügner? Für den New Yorker liest Louis Menand darüber schwarz auf weiß in Evelyn Barishs neuer Biografie über den 1983 verstorbenen streitbaren Yale-Komparatisten. Die interessante Frage (die Barish übrigens gar nicht stellt), ob sich de Mans an Derridas Dekonstruktivismus anlehnende Arbeit aus seiner Vergangenheit erklären lässt, in der sich de Man offensichtlich nicht zu schade war, in belgischen Kollaborationsorganen gegen jüdische Literatur zu hetzen, sich Jobs zu erschleichen, und seinen eigenen Sohn zu verleugnen, beantwortet Menand so: "De Man mag ein Schurke gewesen sein, der mit einer bestimmten Methode des Lesens Karriere machte, doch diese Methode macht nicht jeden notwendigerweise zum Schurken. Wenn de Mans Lehre eine moralische Erkenntis in sich trägt, dann heißt sie Selbstzweifel … Woran hat de Man geglaubt? Das ist das Rätsel. Dekonstruktion führt zu nichts Substanziellem, weil alles Substanzielle wiederum nur Subjekt der dekonstruktiven Arbeit wäre … Dekonstruktion ist kein Zug, von dem man an der nächstbesten Station abspringen kann. De Man hat diesen Zug bis zur Endstation genommen. Vielleicht war es ihm ja nur möglich, einerseits Erbärmliches und andererseits Anregendes zu verfassen, weil er an nichts glaubte."

Ferner im Heft: Anthony Lane porträtiert Scarlett Johansson, deren Karierre gerade richtig abhebt. Und David Denby untersucht Lars von Triers "Nymphomaniac" auf seine philosophischen Implikationen.