9punkt - Die Debattenrundschau
Akuter Sauerstoffmangel
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.01.2016. In der NZZ berichtet Mansura Eseddin, wie das ägyptische Regime jeden Hauch von revolutionärem Geist erstickt. In der taz beobachtet Micha Brumlik entsetzt, wie der Antizionismus jetzt Heidegger zu seinem Kronzeugen macht. In der FAZ verteidigt Heiko Maas seine Urheberrechtsreform. In der SZ setzt Constanze Kurz auf künstliche Intelligenz. Und Google ist wieder wertvoller als Apple.
Efeu - Die Kulturrundschau
vom
23.01.2016
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Politik
In einem niederschmetternden Text berichtet die Schriftstellerin Masura Eseddin in der NZZ von der zunehmenden Repression in Ägypten, von Verhaftungen und Razzien gegen Theater und Verlage: "Paradoxerweise scheint es, dass in diesen Tagen ausgerechnet das Regime den Geist der Revolution beschwört - allerdings ex negativo: nämlich als einen Albtraum, der jederzeit wiederkehren kann und der um jeden Preis gebannt werden muss. Dieses Verhalten erinnert an einen psychisch Kranken, der sein Leiden verdrängt und gerade deshalb von ihm eingeholt und paralysiert wird. So sieht man den Staat mit dem Gespenst der Revolution kämpfen - immer panischer, je näher deren fünfter Jahrestag rückt. Das schlägt sich in einer so noch nie da gewesenen Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten nieder. Fast täglich hört man von neuen Repressalien; die Drosselung der Ausdrucksfreiheit macht sich bemerkbar wie ein akuter Sauerstoffmangel."
Urheberrecht
Im FAZ-Interview mit Jan Wiele verteidigt Justizminister Heiko Maas seine Urheberrechtsreform: "Abweichende kollektive Abreden sind zulässig. Und wenn ein Autor meint, er benötige das Rückrufsrecht nicht oder es schade seinem Verleger: Der Entwurf gibt ein Recht, aber keine Pflicht. Das Gesetz zwingt keinen Kreativen, dieses Recht auszuüben."
Geschichte
In Kenia wurden die menschlichen Überreste eines Massakers gefunden, das vor 10.000 stattgefunden hat, berichtet Johannes Dieterich in der FR, bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass der Mensch erst mit der Sesshaftwerdung zum Massenmörder wurde: "Dass sich Menschen zusammenrotten, um gegeneinander Kriege zu führen, hatten Anthropologen bisher außer mit den zu raubenden Vorräten auch mit der Entstehung gesellschaftlicher Hierarchien in Verbindung gebracht: Machtverhältnisse, die sich ebenfalls erst mit dem Sesshaftwerden herausgebildet hatten."
Arno Widmann beschwert sich über die Wucherpreise, mit denen private Händler bei Amazon oder Ebay Mein-Kampf-Exemplare verschachern: "Der billigste Sofortkauf lag bei 179 Euro, der teuerste bei 499 Euro."
Arno Widmann beschwert sich über die Wucherpreise, mit denen private Händler bei Amazon oder Ebay Mein-Kampf-Exemplare verschachern: "Der billigste Sofortkauf lag bei 179 Euro, der teuerste bei 499 Euro."
Internet
In der SZ bricht Constanze Kurz eine Lanze für die künstliche Intelligenz, die zwar nicht so großartig sei wie einst beschworen, aber auch nicht so bedrohlich: "Für simulierte Menschen-Gehirne gibt es eigentlich keinen Bedarf. Wohl aber für Systeme, die Teilaspekte des menschlichen Denkens und Könnens deutlich effizienter und besser erledigen können - schlicht, weil sie mit der Geschwindigkeit moderner Computer weitaus mehr Daten einbeziehen, aus mehr Beispielen lernen können und keine Müdigkeit kennen."
Weiteres: Alissa Walker meldet auf Gizmodo, dass Google ein wirklich tolles Jahr hinter sich hat: "Now Alphabet is very, very close to being named the world's most valuable company - yes, more valuable than Apple." Oliver Jungen stellt in der FAZ das neue Podcast-Label Viertausendhertz.de vor, das sich mit aufwendig produzierten Serien zu bisherigen Websites wie hoersuppe.de und podcast.de gesellt.
Weiteres: Alissa Walker meldet auf Gizmodo, dass Google ein wirklich tolles Jahr hinter sich hat: "Now Alphabet is very, very close to being named the world's most valuable company - yes, more valuable than Apple." Oliver Jungen stellt in der FAZ das neue Podcast-Label Viertausendhertz.de vor, das sich mit aufwendig produzierten Serien zu bisherigen Websites wie hoersuppe.de und podcast.de gesellt.
Ideen
Micha Brumlik zerpflückt in der taz den Band "Deconstructing Zionism" von Gianni Vattimo und Michael Marder, die ausgerechnet Heidegger zum Kronzeugen ihres Antizionismus machen. "Lässt man sich auf diese Sprachpolitik ein, lässt sich jede Besetzung, jede Aneignung von Land und jede Expropriation von Bevölkerungen - von Tibet bis nach Marokko - als 'zionistisch' und das heißt dann in letzter Instanz als 'jüdisch' kennzeichnen. Derlei galt früher als Blut-und-Boden-Ideologie."
Nachdrücklich empfiehlt Kristof Schreuf in der taz zudem Mikko Linnemanns Film "Triumph des guten Willens", in dem unter anderem Hermann Gremliza, Alex Feuerherdt oder Klaus Bittermann die Aktualität von Eike Geisel untermauern, der gegen Antisemtismus und Shoahbusiness gleichermaßen stritt: "Trotzdem weist Klaus Bittermann im Film darauf hin, dass Geisels Texte heutigen Lesern womöglich nicht mehr ganz zeitgemäß erscheinen. Der Grund dafür kann nur darin liegen, dass die Wirklichkeit in Deutschland die Polemik nicht nur von Eike Geisel mühelos überholt und hinter sich gelassen hat. Die von ihm konstatierte Gleichgültigkeit aus den achtziger und neunziger Jahren wirkt im Vergleich zu heute nachgerade friedlich. Denn viele Deutsche haben ihre Gleichgültigkeit längst abgelegt wie eine Hose, die zu eng geworden ist."
In der NZZ rekonstruiert der Politikwissenschaftler Ahlrich Meyer, wie Siegfried Kracauer in den 1960er Jahren Anschluss in den Kreis "Poetik und Hermeneutik" um Hans Blumenberg und Hans Robert Jauss fand.
Nachdrücklich empfiehlt Kristof Schreuf in der taz zudem Mikko Linnemanns Film "Triumph des guten Willens", in dem unter anderem Hermann Gremliza, Alex Feuerherdt oder Klaus Bittermann die Aktualität von Eike Geisel untermauern, der gegen Antisemtismus und Shoahbusiness gleichermaßen stritt: "Trotzdem weist Klaus Bittermann im Film darauf hin, dass Geisels Texte heutigen Lesern womöglich nicht mehr ganz zeitgemäß erscheinen. Der Grund dafür kann nur darin liegen, dass die Wirklichkeit in Deutschland die Polemik nicht nur von Eike Geisel mühelos überholt und hinter sich gelassen hat. Die von ihm konstatierte Gleichgültigkeit aus den achtziger und neunziger Jahren wirkt im Vergleich zu heute nachgerade friedlich. Denn viele Deutsche haben ihre Gleichgültigkeit längst abgelegt wie eine Hose, die zu eng geworden ist."
In der NZZ rekonstruiert der Politikwissenschaftler Ahlrich Meyer, wie Siegfried Kracauer in den 1960er Jahren Anschluss in den Kreis "Poetik und Hermeneutik" um Hans Blumenberg und Hans Robert Jauss fand.
Medien
Zum Streit um die Mainzer Elefantenrunde ärgert sich Michael Hanfeld in der FAZ, dass SPD und Gründe als "demokratische Tugend" ausgäben, was "billige Parteitaktik" sei. In der FR teilt Christian Bommarius die Kritik an Malu Dreyers Absage: "Natürlich hätte der Sender gegen die Erpressung in aller Form öffentlich protestieren und gegebenenfalls die Gesprächsrunde sofort absetzen müssen."
Gesellschaft
Für realitätsfern hält Claudia Schwartz in der NZZ den Feminismus des #ausnahmslos-Aufrufs und stellt sich hinter Alice Schwarzers drastische Worte: "Terror ist nicht erst, wenn wir tot sind. Er fängt dort an, wo man sich - aus welchen Gründen auch immer - zum Beispiel nicht mehr auf die Straße getraut." In Libération recherchiert Nathalie Versieux in Düsseldorfs "Maghreb"-Viertel, wo junge Einwanderer massenhaft in Kriminalität und Drogen abrutschen.
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