Essay

Esst nicht bei der Mafia - Die Verleger und Google

Von Ilja Braun
28.04.2009. Gestern tagte die Akademie des Deutschen Buchhandels. Verlage und andere Akteure des Markts sind sich noch uneins über die Strategie gegenüber Google und der Book Rights Registry. Der Heidelberger Appell beruft sich inzwischen auf die Unterstützung deutscher Minister. Einer seiner Initiatoren schlägt eine Abschaltung von Google vor.
Auf das Internet im Allgemeinen und Google im Besonderen war der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vielleicht noch nie so schlecht zu sprechen wie derzeit. Eigentlich ist das erstaunlich, denn gerade steht in den USA die Gründung eines sogenannten Book Rights Registry vor der Tür, einer Art Rechteagentur für digitale Buchinhalte. Für die Verwendung von gescannten Büchern in der Google-Suche und im E-Book-Geschäft werden also zukünftig Urheberrechtstantiemen fließen. Und die könnten beträchtlich sein, haben sich doch die amerikanischen Autoren und Verleger, die ursprünglich gegen Google geklagt hatten, im Verlauf des Verfahrens mit der Firma auf einen Vergleich geeinigt, das sogenannte Google Book Settlement. Verschiedene wirtschaftliche Verwertungsformen sind seither ausdrücklich erlaubt, von der Volltextsuche bis hin zum E-Book-Verkauf - immer vorausgesetzt, der Autor (oder der Verlag) erhebt keine Einwände. Auf der gestern von der Akademie des Deutschen Buchhandels durchgeführten Tagung zu diesem Settlement wurde Letzteres von den anwesenden Buchverlegern mehrheitlich dennoch mit Argwohn betrachtet.

Allerdings: Der Vergleich muss von einem Gericht noch abschließend genehmigt werden, und nicht nur in Deutschland mehren sich die Vorbehalte. Einen ersten Erfolg können die Kritiker mittlerweile verbuchen: Wer als betroffener Autor oder Verleger komplett aus dem Settlement aussteigen will, hat voraussichtlich 60 Tage länger Zeit als geplant: Die ursprünglich auf den 5. Mai 2009 datierte Opt-out-Frist wird wohl bis zum 6. Juli 2009 verlängert. Dem einzelnen betroffenen Autor nützt das indes nicht viel - er behielte lediglich sein Recht, auf eigene Rechnung gegen Google zu klagen. Akzeptiert er stattdessen den in den USA abgeschlossenen Vergleich, sind für ihn zwei andere Stichtage wichtiger: Nach dem 04. April 2011 verliert er sein "removal"-Recht: Er kann dann keine Entfernung seiner Werke aus der Google-Datenbank mehr verlangen. Bereits nach dem 05. Januar 2010 erhält er auch keine Entschädigung mehr von Google.

Anwalt Michael J. Boni, der bei den Verhandlungen mit Google die Authors Guild vertreten hat, hatte bei der Verteidigung des gerichtlichen Vergleichs vor den Teilnehmern der Akademie-Tagung einen schweren Stand, gab sich aber alle Mühe, die Kritiker zu überzeugen. Immerhin seien 70 Prozent aller Bücher weltweit zwar noch urheberrechtlich geschützt, aber nicht mehr im Handel erhältlich. Das Abkommen der amerikanischen Verlage und Autoren mit Google ermögliche es nun, diese verlorenen Schätze wieder zu heben. Autoren hätten dabei nichts zu verlieren: Sie könnten dagegen Protest einlegen oder am wirtschaftlichen Erlös der jeweiligen Nutzungen, die sie Google genehmigten, beteiligt werden.

Auch sei der Authors Guild sehr daran gelegen, dass die neu zu gründende Book Rights Registry kein "closed US-shop" sei, sondern dass auch europäische Autoren und Verleger darin vertreten seien - nicht zufällig sei der erste Leiter dieses Rechteklärungsregisters, Michael Healy, ein Brite. Das Book Rights Registry wird unabhängig von Google arbeiten und neben der Abwicklung des gerichtlichen Vergleichs, also der Tantiemenzahlungen, wohl auch für zukünftige Geschäfte mit digitalen Büchern die Lizenzen vergeben, soweit die Autoren sich registrieren. Was Boni allen Autoren ausdrücklich empfiehlt, insbesondere nachdem einige amerikanische Verlage versucht hätten, bei vergriffenen Büchern einen Rückfall der urheberrechtlichen Nutzungsrechte an die Autoren zu verhindern, indem sie Verträge über digitale Nutzungen mit Google geschlossen hätten, um die Bücher dann als "commercially available" zu kategorisieren. Die Konflikte zwischen Autoren und Verlegern seien bisweilen größer gewesen als die zwischen Autoren und Google, meint Boni. Auf der Website www.googlebooksettlement.com hätten mittlerweile 230.000 Autoren für circa 600.000 Bücher ihre Ansprüche angemeldet.

In Deutschland kann von Konflikten zwischen Autoren und Verlegern im Zusammenhang mit dem Google Settlement bislang keine Rede sein, zumal die Verwertungsgesellschaft Wort, in der beide Parteien vertreten sind, von jeher für Autoren und Verleger treuhänderisch übertragene Rechte wahrnimmt, etwa Rundfunksenderechte für literarische Texte. Christian Sprang vom Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wirbt deshalb bereits seit Längerem dafür, dass Autoren und Verlage auch ihre Ansprüche an Google der VG Wort übertragen. Das Recht, digitale Nutzungen weltweit zu lizensieren, soll dabei am besten gleich mit enthalten sein. Die VG Wort könne dann einerseits ein "removal", also eine Entfernung der digitalisierten Werke aus der Google-Datenbank verlangen, vergriffene Werke aber andererseits über das Google Partnerprogramm zugänglich machen, so die Rechteinhaber dies wünschten.

Das klingt paradox, doch VG Wort Vorsitzender Robert Staats erklärt, nur so sei gesichert, dass einzelne Autoren und Verleger die Registrierung nicht versäumten und damit ihrer Ansprüche verlustig gingen. Staats ist fest entschlossen, sowohl Autoren als auch Verlegern eine unschlagbare Serviceleistung zu bieten, ja ihnen das komplette digitale Rechtemanagement abzunehmen. Ein konkreter Formulierungsvorschlag für eine entsprechende Änderung des Rahmenvertrags, den Verlage und Autoren mit der VG Wort schließen, soll in den nächsten Tagen auf der Internetseite der Organisation veröffentlicht werden. Für die organisatorische Abwicklung plant die VG Wort, mit der Deutschen Nationalbibliothek und dem Börsenverein zusammenzuarbeiten, um eine eigene Datenbank zusammenzustellen. Diese Daten könnten dann an die amerikanische Book Rights Registry übermittelt werden: als komplette Liste der deutschen aus dem Google-Angebot zu entfernenden Bücher. In dieser Liste fehlende Titel - bislang immerhin alle vor 1970 erschienenen vergriffenen Bücher! - könnten die Verlage dann nachmelden.

Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, gibt zu bedenken, dass die Verlage andernfalls bei vielen vergriffenen Büchern womöglich gar nichts zu melden hätten, weil sie seinerzeit die entsprechenden Rechte von den Autoren nicht erworben hätten - schließlich handele es sich um US-amerikanische Online-Nutzungsrechte. Frühestens ab 1995 hätten Verlage entsprechende Klauseln in ihre Verträge aufgenommen - für alle davor erschienenen Bücher hätte in der Regel nur der Autor zu entscheiden, ob er sie bei der Google Buchsuche sehen wolle oder nicht. "Über die VG Wort haben die Verlage die Möglichkeit, sich diese Rechte rückwirkend zu besorgen", erklärt Sprang. Und anders als VG-Wort-Vorstand Robert Staats, der darüber lieber noch nicht öffentlich sprechen möchte, weiß Sprang auch schon Einzelheiten über die Verteilung der Einnahmen zwischen Autoren und Verlegern zu berichten. "Es hat Vorgespräche dazu gegeben", so Sprang, "und man könnte sich wohl auf eine Aufteilung von 60 Prozent zu 40 Prozent zugunsten des Autors einigen. Das würde aber nur für die vergriffenen Werke sowie für diejenigen lieferbaren gelten, die bereits digitalisiert sind." Gemeint ist damit vermutlich, dass die Verleger für zukünftig zu scannende Werke Lizenzabkommen mit Google treffen könnten, bei denen die Autoren gar nicht am Erlös beteiligt würden.

Klingt verlockend: Geld verdienen mit Rechten, die man gar nicht erworben hat. Doch die Begeisterung auf Verlegerseite ist nicht einhellig. Aufhorchen lässt vor allem ein kurzer Tagungsbeitrag von Ralf Müller, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Droemer Knaur, welche zum Holtzbrinck-Konzern gehört, genau wie Rowohlt, Fischer oder auch Kiepenheuer & Witsch. Man werde sich an der "VG-Wort-Lösung" nicht beteiligen, so Müller, sondern vielmehr selbst mit der Book Rights Registry in Kontakt treten. "Wir werden die Möglichkeiten des Settlements nutzen und für die lieferbaren Titel ein 'removal' verlangen", also eine vollständige Entfernung aus der Datenbank. (Aktualisiert, Dienstag 12.20 Uhr: Bei vergriffenen Büchern will Holtzbrinck der Verwertung durch Google zustimmen und dies auch den Autoren empfehlen, wenn die Rechte an diese zurückgefallen sind.) "Wir halten es für wichtig, dass Verlage sich selbst mehr Kompetenzen im Hinblick auf den Umgang mit digitalen Rechten erwerben und dies nicht Dritten überlassen", erklärt Müller. Als vorteilhaft sieht er auch, dass durch das Settlement die Nutzung digitaler Werke für Bibliotheken geregelt sei und dass das Book Rights Registry nicht von Google, sondern von Autoren und Verlegern kontrolliert werde. Zwar sieht auch Müller die Gefahr, dass Google sich zu einem Monopol entwickeln könne. "Wer die Inhalte bekommt, wird auf diesem Markt ja fast schon automatisch zum Monopolisten. Über die Kapitalmacht von Google muss man sich auch keine Illusionen machen. Aber immerhin hätten wir damit endlich ein Geschäftsmodell." Müller kann sich auch vorstellen, dass Holtzbrinck in eigene Lizenzverhandlungen mit Google eintreten wird.

Holtzbrinck ist neben Random House und Bonnier einer der drei größten deutschen Verlagskonzerne. Ralf Müllers "Wir nicht"-Signal ist deshalb nicht ohne Bedeutung. Wenn am 23. Mai die VG Wort auf ihrer Mitgliederversammlung darüber abstimmt, ob sie die Ansprüche aus dem Google Settlement sowie digitale Buchrechte überhaupt für Verleger und Autoren kollektiv wahrnehmen soll, wird sie auf einen Konzern dieser Größe nur schwer verzichten können. Kleinvieh macht zwar auch Mist, aber die Rechnung, dass eine kollektive Verwaltung digitaler Rechte und Vergütungsansprüche kostengünstiger sei als eine individuelle, geht allenfalls dann auf, wenn die Großen der Branche mitspielen.

Dass sie anscheinend nicht recht wollen, erklärt sich womöglich auch daraus, dass ihre Mutterkonzerne in den USA gerade erst mit Google ins Geschäft kommen. Entsprechend ist das Empörungspotenzial über die von Google begangenen Urheberrechtsverletzungen beträchtlich kleiner als etwa bei Libreka-Mitbegründer Matthias Ulmer. Der fühlt sich bei Google "wie gekidnapped auf einem Kreuzfahrtschiff. Ich sage immer wieder, ich will an Land, und dann heißt es: Aber das Menü ist doch so gut. Aber es ist und bleibt ein Kidnapping." Unsympathisch ist Ulmer auch das Book Rights Registry, die Google-unabhängige Rechteklärungsstelle, die die amerikanische Authors Guild ins Leben gerufen hat. "Da findet eine schleichende Machtverschiebung statt", sagt Ulmer. "Es sind doch die Verlage als Anwälte ihrer Autoren dazu aufgerufen, sich um deren Rechte zu kümmern. Dazu haben sie schließlich Lizenzabteilungen." Wenn die Verwaltung der aus dem Urheberrecht der Autoren abgeleiteten Nutzungsrechte nun einem Register übertragen werde, bestehe die Gefahr, "dass den Verlagen nur noch Minimalrechte eingeräumt werden, und alle anderen gehen an das Register." Am Ende kämen dann womöglich gar Agenten auf die Idee, sich des wirtschaftlichen Potenzials dieser der Kontrolle der Verlage entzogenen Rechte anzunehmen. "Wir wären dann gar nicht mehr die Fürsprecher der Rechte unserer Autoren", so Ulmer. "Das Book Rights Registry wird die Position der Verlage extrem schwächen."

Wenn nicht der größte, so doch der radikalste Google-Kritiker unter den Anwesenden ist jedoch kein Verleger, sondern ein Bibliothekar: Uwe Jochum von der Universitätsbibliothek Konstanz. Jochum ist Mitinitiator des "Heidelberger Appells" gegen Google und Open Access, und er will den Verlegern Mut zur Umkehr machen, auch wenn sie selbst schon mit dem Suchmaschinen-Giganten gekungelt haben. "Die Pizza kann noch so gut sein, wenn es eine Mafia-Pizzeria ist, gehe ich das nächste Mal nicht mehr hin", so Jochum. Immerhin habe der "Heidelberger Appell" jetzt "Fahrt bekommen", am heutigen Tage sei er sogar in der Bild-Zeitung erwähnt worden, und er genieße die Unterstützung von Brigitte Zypries und Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Am Beispiel der Kinderpornographie habe man zudem gesehen, dass Netzsperren durchaus möglich seien. Jochums Tipp für die Verleger: "Lassen Sie Google abschalten."

Ilja Braun