Nikolai P. Anziferow

Die Seele Petersburgs

Cover: Die Seele Petersburgs
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203174
Gebunden, 293 Seiten, 21,50 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Renata von Maydell. Mit einem Vorwort von Karl Schlögel. Sankt Petersburg entdecken mit den Augen der Dichter! Von Puschkin über Gogol und Lermontow bis zur Achmatowa hat diese Stadt die größten Autoren Russlands zu Gedichten und Erzählungen inspiriert. Nikolai Anziferow folgt auf der Suche nach der Seele seiner Stadt der Literatur ebenso wie seiner eigenen Beobachtungsgabe. 1922 erschienen und jetzt zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt, ist das Buch eine Entdeckung für Liebhaber der russischen Literatur und für alle, die Petersburg bereisen möchten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.07.2003

Als "antiquiert", aber "lesenswert" beschreibt Rezensent Gregor Eisenhauer das zwischen 1919 und 1922 entstandene Buch "Die Seele Petersburgs" von Nikolai P. Anziferow. Wie Eisenhauer ausführt, versteht Anziferow die Seele der Stadt als die "historische Einheit aller Seiten ihres Lebens", die in den Denkmälern und Plätzen, Palästen und Paradestraßen Gestalt annehme. Anziferow nähert sich der architektonischen Landschaft mit Hilfe von Schriftstellern wie Puschkin und Dostojewski, die sich Petersburg zum Schauplatz ihrer Romane und Gedichte wählten, berichtet Eisenhauer. Das ist in Eisenhauer Augen zwar "unterhaltsam", bringt aber keine neuen Einsichten. Deshalb ist das Buch für unseren Rezensenten auch kein wissenschaftliches Werk, wie Karl Schlögel in seinem "instruktiven" Vorwort suggeriere. Eisenhauer erblickt darin eher ein "melancholisch anheimelndes Poesiealbum", das Andachtsbilder versammelt, und ein "Heldenbuch von Helden ganz unterschiedlicher Art": "dem Mann in der Menge wie dem Mann auf dem Thron."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.05.2003

Der russische Autor Nikolai Anziferow hat in seinem "animierenden", zwischen 1919 und 1922 erschienenen Buch über Sankt Petersburg nicht nur die Geschichte der Stadt beschrieben, sondern auch die Sicht der russischen Dichter wiedergegeben, erzählt Stephan Speicher in seiner ausführlichen Besprechung. Vorstechendes Merkmal dieser Stadtgeschichte ist für ihn Anziferows Liebe zu Petersburg: "Er hält die Liebe für eine Voraussetzung der Erkenntnis, und wer nicht eine Weile als Bürger in der Stadt gelebt habe, der sei zum Urteil nicht berufen." Diese "Betonung der Liebe" erinnert Speicher an die deutsche Tradition der Hermeneutik. Allerdings ist Anziferows Liebe eine "zur Größe der Stadt und auch zu ihren imperialen Zügen", wie sie Puschkin in seiner Verserzählung "Der eherne Reiter" verherrlicht habe. Mit dessen Auffassung von Kolonisation als kultureller Leistung ist Anziferow offenbar sehr einverstanden. Gogols spätere Beschreibung der düsteren Seite Petersburgs - der Armut, der kleinen Leute - ist Anziferow unbehaglich, erklärt Speicher und zitiert die Klage des Autors über Gogols "Der Newski-Prospekt": "Petersburgs Erhabenheit ist ihm nicht zugänglich." Dabei stand Gogol mit seinem Blick auf die Schattenseiten Petersburgs nicht allein: Auch Schriftsteller wie Dostojewski, Lermontow und Alexander Herzen ließen sich vom Glanz Petersburgs nicht mehr betören. Sie vermissten das slawische "Eigene" der nach Westen gerichteten Stadt. Dostojewski nannte sie "abstrakt". Auch hier sieht Speicher eine deutsche Gemeinsamkeit. Die Klagen erinnern ihn an die Klagen über Berlin: Selbsterschaffung, stellt er fest, kann je nach Betrachter eben "poetisch" oder "prosaisch" wirken. Speicher lobt das "schöne und informative Vorwort", mit dem Karl Schlögel Anziferow vorstellt. Doch hätte der Hanser Verlag ruhig noch einen "echten Kommentar" in Auftrag geben sollen, so Speicher. Er hätte zum Beispiel gern gewusst, ob Anziferow Puschkins "Eherner Reiter" in der zensierten Version gelesen hatte oder in der sehr viel skeptischeren Ur-Fassung.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.05.2003

Eine Fülle von Zitaten und zahlreiche Anspielungen auf die Zeitspanne von der Gründung St. Petersburgs bis nach der Oktoberrevolution von 1917 bietet dieses Werk von Nikolai P. Anziferow, das 1922 erstmals erschien, preist Rezensent Andreas Breitenstein. "Fleißarbeit" sei es, aber dennoch "aufregend" - vor allem wegen der spannenden Zeit, in der es entstand, eine Zeit, in der St. Petersburg zu Petrograd und schließlich zu Leningrad wurde. Breitenstein referiert, wie es mit dem Historiker und Heimatkundler Anziferow nach Erscheinen seines Werks weiterging und vergleicht ihn unter anderem mit der russischen Lyrikerin Anna Achmatowa. Zentral ist für den Rezensenten die Sicht auf Petersburg als eine "Hauptstadt des tragischen Imperialismus". Im umfangreichen Vorwort des Osteuropahistorikers Karl Schlögel sieht Breitenstein ein "Plädoyer für die Archäologie jener verlorenen Welt". Um St. Petersburg heute zu begreifen, kann die "Wiederentdeckung des Wiederentdeckers" Anziferow immerhin ein "Anfang" sein, meint Breitenstein.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.05.2003

Dietrich Geyer beschäftigt sich mit Literatur über Petersburg, wobei er sich drei Bücher über die russische Stadt genauer angesehen hat. Das Buch mit dem Titel "Die Seele von Petersburg", das Nikolai Anziferow bereits 1922 veröffentlichte und das in der Bürgerkriegszeit entstand, bezeichnet der Rezensent als einen "lange vergessenen Klassiker". Geyer betont, dass die Methode des russischen Autors, die "Physiognomie" Petersburgs durch genaue Beobachtungen kombiniert mit literarischen Porträts der Stadt zu beschreiben, eine "historische Perspektive eigener Art" schafft und sieht in dieser speziellen Betrachtungsweise des Autors bis heute Auswirkungen auf die "Technik der Sankt Petersburger Stadttouristik". Die beiden anderen Bücher, die Geyer bespricht, sind Karl Schlögels "Petersburg" und Erich Donnerts "Sankt Petersburg".