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''Ich zittere, was heute passiert''

Von Daniel Lenz
21.03.2002. Zum Auftakt der Leipziger Buchmesse präsentiert sich die Messe publikumswirksam und der Literaturbetrieb in altbekannter Form.
Zum Auftakt der Leipziger Büchermesse: Publikumwirksames und Literaturbetriebliches

Erst wenige Stunden ist die Messe alt, da hat sich schon der übliche akustische Overkill eingestellt. Auf dem so genannten Blauen Sofa versucht die Debütautorin Tanja Langer, inmitten der fußballfeldgroßen Glashalle, die zwischen den beiden relevanten Buchmessehallen liegt, gegen den diffusen Lärm anzulesen. In den engen Gängen spielen sich, wie gewöhnlich, absurde Szenen ab: Zwei Männer gehen aufeinander zu, der eine die Hand zum Handschlag erhoben, in letzter Sekunde liest er auf dem Schild des Gegenüber, dass dies der Falsche ist - und dreht wortlos ab. Nebenan zieht ein Tross Jugendlicher mit einem Ghettoblaster vorbei. Um mit Andreas Neumeister zu sprechen: "Gut laut" ist es auf der Leipziger Buchmesse, die sicherlich lebhafter geworden ist als das Frankfurter Pendant - hier spielt publikumswirksam die Musik, dort werden hinter den Kulissen die großen Geschäfte gemacht?

Derweil hat sich im etwas abgelegenen Congress Centrum eine ruhigere Runde versammelt, um auf Einladung des Börsenvereins über ein ruhigeres Thema zu diskutieren: "Bücherflimmern. Literatur im Fernsehen". Nicht nur auf dem Podium hat sich mit "aspekte"-Leiter Wolfgang Herles, dem Verleger Michael Krüger, Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann und Hörfunk- und Fernsehmoderator Hubert Winkels eine kleine Betriebsversammlung eingefunden. Auch im Publikum dominieren bekannte Gesichter aus der Branche.

So verwundert es nicht, dass sich die Diskutanten schnell unter der Moderation von Denis Scheck (Redakteur beim Deutschlandfunk) in die altbekannten Lager der Literaturpessimisten und -überschätzer einsortieren. Auf der einen Seite die Verleger-Koryphäe Wolfgang Krüger - wie zu erwarten selbst erklärter "Fernsehabstinenzler" -, der Autoren für weitaus wichtiger hält als Dreiviertel der Personen, die in der "Tagesschau" auftreten - daher schöpft er seinen Optimismus, dass sich die Bedeutung von Literatur auch im Medium Fernsehen abbilden lasse: "Ich bin erschrocken über die defensive Haltung. Wir reden uns immer ein, dass Fernsehen immer nur Triviales abbilden kann. Das ist defensiv und blöd, es hat genügend experimentelles Potential". Kein Schriftsteller von Rang, grummelt Krüger weiter, kümmere sich andererseits um den Markenkult im Fernsehen.

Demgegenüber wesentlich kleinlauter Hubert Winkels, Moderator der SWR-Literatursendung "Die Bestenliste": Aus "strukturellen Gründen" könne es nicht gelingen, Literatur im Fernsehen adäquat zu vermitteln. Die Bedeutung von Literatur als Literatur werde allein über Printmedien, über Literaturkritik konstituiert, da diese im selben Medium wie die Literatur arbeite. Anders als Krüger hat sich Winkels offensichtlich längst vom Fetisch Literatur verabschiedet: "Keinen Deut besser als Haferflocken" sei sie, kontert Winkels den vorangehenden Aufschrei Krügers, man könne Literatur nicht mit anderem vergleichen. Autoren hätten gar keine Wahl, ob sie sich mit dem Medium Fernsehen beschäftigen oder nicht.

Zwischen diesen klar abgesteckten Positionen argumentieren Sichtermann und Herles. Fernsehen habe prinzipiell kein Interesse, sich von der Literatur in Dienst nehmen zu lassen, so die ZEIT-Kritikerin. Dennoch beobachte sie seit Jahren, dass es parallel zur zunehmenden Ausdifferenzierung der Medien einen Trend zum "Crossover" gebe: Versuche, Literatur ins Fernsehen zu bringen - wie im Fall von Breloers Mann-Saga oder Stuckrad-Barres MTV-"Lesezirkel". Ähnlich optimistisch präsentiert sich Wolfgang Herles, der, wie er eingangs erklärt, die "aspekte"-Sendung aus der Todeszone (890000 Zuschauer) hin zu 1,3 Millionen Zuschauer gebracht habe. Literatur sei eine fantastische Quelle für Geschichten und müsse im Fernsehen nicht "literaturimmanent" abgebildet werden.

So unterschiedlich die Positionen, so einhellig die Prognosen zum Deutschen Bücherpreis, der am Abend im Rahmen einer Fernsehgala in Leipzig verliehen wird: Wolfgang Krüger: "Ich zittere, was heute passiert" - im Hinterkopf habe er die Verleihung des Münchner "Corine"-Preises, bei der er sich geschämt habe. Uni sono Hubert Winkels, der das "letzte Konzert auf der Titanic" erwarte, bei dem das "letzte Feigenblatt der Hochkultur" falle. "Ich fürchte, dass der Deutsche Bücherpreis in einen großen Kontext gehört, in dem etwa auch die Tiefdruckbeilage der FAZ abgeschafft wurde: Bücher sollen aus der Kreis der Glasperlenspieler heraus geholt werden."

Daniel Lenz

Der Perlentaucher berichtet direkt von der Verleihung des Deutschen Bücherpreises.