Mord und Ratschlag

Flugblatt aus den Siebzigern

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
05.06.2002. Die Krimikolumne: Heute: Mit "Der Domraub" beharrt Peter-Paul Zahl auf den Ideen der siebziger Jahre
Kapitalismus ist Diebstahl von oben. Um ihre Geschäfte zu schützen, halten sich die Bonzen ein faschistisches, staatssozialistisches oder demokratisches System. Mehrere christliche Kirchen verdummen die Ausgebeuteten. Für die manuelle Drecksarbeit sind Polizisten zuständig. Sie sind brutal und verschlagen, einige außerdem so dumm, dass der Leser etwas zu lachen hat. Herumzuvögeln und schon morgens zu kiffen gilt ebenfalls als witzig. Irgendwann ist aber Schluss mit lustig, weil die Justiz kein Mittel scheut, Menschen, die den Oberen im Weg sind, hinter Gitter zu bringen. Das ist ihr einziger Zweck. All dies verhält sich in ganz Europa so, in manchen Ländern ist es aber besonders schlimm. Auf Platz eins natürlich: die Bundesrepublik. Man muss sich wundern, dass manche Verdächtige hier nicht aussagen, da der Staat sie doch foltert und seine Morddrohungen, siehe Stammheim, glaubwürdig sind. Diebstahl ist unter solchen Umständen notwendige Umverteilung. In den Gefängnissen sitzen zwar nicht nur Diebe, sondern auch Gewalttäter, aber auch die gehören zu den Anständigen und Opfern. Kriminalität ist subversiv.

Das steht sinngemäß alles im Buch. Versucht man, Peter-Paul Zahls "Der Domraub" zusammenzufassen, klingt man unwillkürlich wie eine Sammlung törichter Flugblätter aus den siebziger Jahren. Es dabei zu belassen wäre nicht fair: Der Roman hat schon auch eine Handlung. Valentin Heiter, der sie erzählt, wird 1932 in Belgrad geboren. Er hilft den serbischen Partisanen, auch nach dem Krieg gegen Kollaborateure. Als Tito und seine Mitkämpfer sich zur Führungskaste wandeln und ihre eigenen Konzentrationslager betreiben, fängt Heiter, weder zum Dienen noch zum Herrschen geboren, systematisch zu stehlen an. Er überlebt sein Todesurteil, kommt nach Westdeutschland und profiliert sich als Kunstdieb und -händler. 1975 bieten ihm zwei Schmalspurganoven den Kölner Domschatz an. Das ist für Heiter mehrere Nummern zu groß, aber ihm sitzen zu viele gefährliche Subjekte im Nacken, als dass er einfach Nein sagen könnte. Am Ende ist er der Sündenbock: Andere Unterweltler, staatliche Organe und ein dubioser Agent arbeiten gemeinsam daran, ihn im Gefängnis Köln-Ossendorf verschwinden zu lassen. Dort denkt er an Ulrike Meinhof.

Heiter kennt mehrere Länder und viele Milieus. Er liebt Wein und Weib, zitiert Goethe, Thomas Mann und einiges andere, hat eine bemerkenswerte Geschichte. Zahl lässt sie nur leider weitgehend in Heiters wandzeitungshaft schlichten Siebziger-Jahre-Tiraden untergehen. An intelligentem Antikapitalismus ist immer Bedarf, aber der von Zahl und Heiter ist plump. Das müsste nicht schaden, die Lexika sind voller Leute, die sich auf dem politischen Nebenfeld blamiert haben, in der Hauptsache aber große Schriftsteller waren. Zahl aber verliert die Kunst an die Politik. Er findet kein literarisches Maß, keine Struktur: Weil Heiters Weltbild geschlossen ist, sagt er politisierend immer wieder dasselbe, verliert sich in kompositorisch unmotivierten, geschwätzigen Wiederholungen.

Wer sich über Freund und Feind so sicher ist wie Zahl, der muss nicht, was Schriftsteller doch vor allem sein sollten: genau sein. Dass "Minna von Barnhelm" nicht von Kleist ist: geschenkt. Aber schlimmer, und typisch: Es heißt "della Chiesa", wo der italienische Carabinieri-General Alberto Dalla Chiesa gemeint ist. Ermordete falsch zu schreiben ist eine Schweinerei.

"Der Domraub" ist Zahls zweiter "Schelmenroman", der erste war 1979 "Die Glücklichen". Er wurde in den großen Feuilletons besprochen, Fritz J. Raddatz nannte den 1944 geborenen Zahl in der Zeit einen "Schriftsteller von behutsamer Menschenfreundlichkeit". Mit einer Reihe späterer Bücher musste Zahl jedoch in kleine und kleinste Verlage ausweichen, die Tonangeber ignorierten ihn nun. Aufstiegswillige Kritiker urteilen eben nicht literarisch, sondern politisch. In den siebziger Jahren traf Zahl den Zeitgeist, da schaute niemand so genau hin, ob er auch schreiben konnte. Ein paar Wenden später hätte er noch so gut sein können, es hätte ihm in den mächtigeren Redaktionen nicht mehr viel genutzt.

Aus Gründen, zu denen er bis heute öffentlich nichts sagt, lieferte sich Zahl 1972 einen Schusswechsel mit Polizisten und verletzte einen davon schwer. Bis 1982 musste er in Haft bleiben. Vielleicht hat ihm das auf dem damaligen Buchmarkt geholfen: Devianz war links und schick, die gerichtsnotorischen Pier Paolo Pasolini, Burkhard Driest und Konstantin Wecker machten einträgliche Karrieren. Zeitgenossen, die ähnlich dachten wie Zahl, erklären heute die Welt aus großen Zeitungen oder gleich aus dem Ministerium ganz anders. Vielleicht ist Zahl weniger lernfähig, vielleicht weniger opportunistisch, vielleicht beides. Es macht nicht viel Spaß, den "Domraub" zu lesen. Aber er ist ein wichtiges Dokument.


Peter-Paul Zahl: "Der Domraub". Ein Schelmenroman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002, 339 S., 15 Euro