Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.04.2004. Die taz untersucht das neue Phänomen des Pornpop. Die NZZ bewältigt Polens Vergangenheit. Die SZ plädiert für ökonomische Rationalität. Die FAZ wirft Salomon Korn eine Logik der Kollektivschuld vor.

TAZ, 02.04.2004

Tobias Rapp hat ein neues Phänomen ausgemacht: Pornpop. Erfolgreiche Rapper wie Ice-T oder demnächst 50 Cent produzieren Pornofilme

Snoop Dogg brachte 2001 "Doggystyle" heraus, "ein relativ billig produzierter Film, der in einer Softcore- und einer Hardcore-Variante auf den Markt kam, von Larry Flints Hustler-Imperium vertrieben wurde und laut dem Branchenfachblatt Adult Video News das bestverkaufte Pornovideo seines Jahrgangs wurde. Die dazugehörige Platte war der erste Pornofilm-Soundtrack, der es in die Billboardcharts schaffte. Genauso hielt es Snoop mit dem Nachfolgefilm 'Snoop Doggs Hustlaz: Diary of a Pimp' von 2003", der ebenfalls ein Erfolg ist. Erstaunlich findet Rapp dabei vor allem, dass es Snoop gelungen ist, "als pelzmanteltragender und juwelenbehängter Pimp zu einem 'cultural icon' zu werden, wie ihn die New York Times jüngst genannt hat. Er kann in der gleichen Rolle in einer familienfreundlichen Kinokomödie wie 'Starsky & Hutch' auftreten, eine Sendung im Nachmittagsprogramm von MTV bestreiten, mit seiner letzten Platte an die Spitze der amerikanischen Verkaufscharts kommen und über ausufernde Orgien in Pornofilmen herrschen."

Weitere Artikel: Der Schriftsteller Frank Schulz schreibt eine kleine Hommage auf Olli Dittrichs Imbiss-Soap "Dittsche - Das wirklich wahre Leben". Auf der Medienseite annonciert Martin Weber "Druckfrisch", die Literatursendung von Denis Scheck (ARD, Sonntag 23.30 Uhr). Besprochen wird "Alphabetical", das zweite Album der französischen Band Phoenix.

Schließlich Tom.

FR, 02.04.2004

Auf der Medienseite lobt Silke Hohmann neue Magazin Monopol, "herausgegeben vom ehemaligen FAZ-Redakteur und Generation-Golf-Autor Florian Illies und seiner Gattin Amelie von Heydebreck": "Sucht man in Monopol also die Diskurse nicht länger und erwartet auch nicht allzu trüffelschweinhafte Pionierleistungen, dann ist hier ein gutes Magazin entstanden, das zwar gewiss nicht die Künstler von morgen zeigt, aber zumindest die von heute auf interessante, dezidiert nicht rezensierende Weise vorstellt. Es geht um Kunst als Lifestyle-Accessoire, wie sie zu großen Teilen eben in Berlin Mitte geschmiedet wird, etwa von dem Maler Bernhard Martin, der mit einer eigens angefertigten Collage für die erste Ausgabe eine Art Centerfold beisteuert."

Im Feuilleton kündigt Oliver Tepel c/o pop an, das neue Pop-Festival in Köln. In Times Mager kommentiert Rudolf Walther die knappe Aufnahme Alain Robbe-Grillets in die Französische Akademie: Er wurde mit 19 von 35 Stimmen gewählt. Besprochen werden die neue Dauerausstellung "Mensch-Körper-Gesundheit" im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Armin Petras' Inszenierung der "Ratten" am Hamburger Thalia-Theater, Rameaus Oper "Dardanus" in Bonn und Bücher, darunter Thor Kunkels umstrittener Roman "Endstufe" ("Man mag ihn geschmacklos nennen. Ein Skandal ist er nicht", heißt es in der Unterzeile).

NZZ, 02.04.2004

Die Polen denken zur Zeit verstärkt über ihre Rolle während des Zweiten Weltkriegs nach, berichtet Gerhard Gnauck in einem "Schauplatz Polen". So veröffentlicht das private Warschauer Dokumentationszentrum Karta Erinnerungen von Soldaten an ihre Waffenbrüderschaft mit der Roten Armee. Auf große Resonanz stößt die bevorstehende Eröffnung des Museums des Warschauer Aufstands: Viele Polen haben dem Museum ihre persönlichen Erinnerungsstücke überlassen. "Ein interaktives, ein Reality-Museum soll es werden, in dem die Besucher gebückt einen unterirdischen Kanal durchschreiten, wie ihn auch die Aufständischen nutzten. Ein Obelisk in der Haupthalle soll im Rhythmus des Herzschlags beben, während rundherum die Einschläge von Fliegerbomben zu hören sind." Wissenschaftler wie Tomasz Szarota von der Polnischen Akademie der Wissenschaften betrachten das Interesse mit zwiespältigen Gefühlen, so Gnauck. Einerseits bemerke Szarota mit "Genugtuung, dass heute auch die Kollaboration und andere unangenehme Kapitel offen diskutiert werden", andererseits findet es es "paradox. Während wir in Polen über unsere Kollaboration debattieren, diskutieren die Deutschen über ihre Rolle als Volk der Opfer." 

Norbert Frei berichtet über die Eröffnung der vom Fritz-Bauer-Institut ausgerichteten Ausstellung zum Frankfurter Auschwitz-Prozess und erinnert an die zeitgeschichtliche Bedeutung des Gerichtsverfahrens, das die ersten deutschsprachigen wissenschaftlichen Gutachten über Auschwitz hervorbrachte: "Seit dem Auschwitz-Prozess ließen sich die Forderungen nach kritischer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik von niemandem mehr beiseite schieben". 

Besprochen werden die Elsa Schiaparelli-Retrospektive des Pariser Musee de la Mode et du Textile, die Ausstellung "Seele: Konstruktionen des Innerlichen in der Kunst" in der Kunsthalle Baden Baden und ein Haydn-Konzert des Tonhalle-Orchesters Zürich, dirigiert von Ton Koopman.

Auf der Filmseite schildert Robert Richter die "raren Höhepunkte" beim 18. Internationalen Filmfestival Freiburg. Besprochen werden "Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran", die neue Verfilmung von "Peter Pan" und Alfredo Knuchels Dokumentarfilm "Halleluja! Der Herr ist verrückt".

SZ, 02.04.2004

Nikolaus Piper, der Kollege aus dem Wirtschaftsressort, macht sich an eine Ehrenrettung der Ökonomie, deren Vertreter gemeinhin auf großen Widerwillen stoßen und als "unsozial, ignorant, kalt" gelten. "Oft ist die Feindschaft gegenüber dem Ökonomischen daher einfach eine besondere Methode, unangenehmen Tatsachen aus dem Weg zu gehen. Ökonomische Logik ist nicht alles, aber wenn etwas dieser Logik krass zuwiderläuft, dann ist meist auch sonst der Wurm drin. Die entscheidenden Weichen zur wirtschaftlichen Einigung Deutschlands wurden gegen den Rat einer großen Mehrheit von Ökonomen gestellt, besonders in der Lohnpolitik. Die Ergebnisse dieser Strategie sind heute zu besichtigen. Ob sich der deutsche Geist noch einmal von der ökonomischen Rationalität verabschiedet, wie seinerzeit unter Kaiser Wilhelm, ist eine Schlüsselfrage. Wenn sich die größte Nation in der Mitte Europas für realitätsferne Träumereien und damit für wirtschaftlichen Rückschritt entscheiden sollte, dann hieße dies nichts Gutes für die Zukunft."

Weiteres: Recht hämisch kommentiert Jörg Häntzschel die Bilder von den Morden in Falludscha: "Bei der Menge, die am Mittwoch vier amerikanische Zivilisten erschoss, niedertrampelte, verbrannte, durch die Straßen schleifte, in Stücke riss und schließlich zwei von ihnen an einer Brücke aufhängte, handelte es sich ganz offensichtlich nicht mehr um die gutmütige Canaille, der die Amerikaner am Anfang des Kriegs noch auf die Schulter klopften." Dirk Peitz fürchtet, dass die Popkomm in Berlin nicht viel anders aussehen wird als in Köln. Jürgen Berger bedauert die bevorstehende Abwicklung des Dresdner Theaters in der Fabrik. In der Randglosse verzeichnet "lyn" eine abnehmende Scheu junger Japaner vor dem Schminkspiegel. Alexander Menden erzählt von der Aufregung um eine englische Theatertruppe, die todkranke Menschen für ihr nächstes Stück als Leichen verpflichten will. Alexander Kissler berichtet von neuen Debatten um das moderne Sterben. Carola Groppe war auf einer Tagung über die Zukunft der Bildung.

Besprochen werden Eric Claptons Konzerttournee durch Deutschland, eine Ausstellung über die Kreuzzüge im Mainzer Dommuseum, Zoltan Pauls Film "Gone", die Scooby-Doo-Fortsetzung "Monsters unleashed", Philip Tiedemanns Inszenierung von Slawomir Mrozeks "Tango".

Und Bücher, darunter Marie-Luise Scherers Reportagenband "Der Akkordeonspieler" (den Gustav Seibt für nicht weniger als "bedeutende Literatur" hält) und Frank Schirrmachers Aufruf zum "Methusalem-Komplott" und neue Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 02.04.2004

Lorenz Jäger antwortet auf Salomon Korn, der vorgestern in der SZ (unser Resümee) begründete, warum er aus Protest eine Rede der lettischen Außenministerin Sandra Kalniete in Leipzig verließ - sie hatte Nationalsozialismus und Kommunismus als "gleichermaßen verbrecherisch" bezeichnet und von einem Genozid an ihrem Volk gesprochen. Korn hatte in seinem Text für die SZ gefordert, die Völker sollten sich nicht so sehr an selbst erlittenes , sondern "vor allem anderen willentlich zugefügtes Unrecht" erinnern. Dazu Jäger: "Man wüsste in diesem Moment gern Präziseres. Aber vielleicht sagt Korns Satz auch schon alles, was man wissen soll: Dass es nämlich schuldige Völker gibt. Und dass, was ihnen in der Konsequenz ihrer Schuld zustieß, einer glasklaren Logik der Strafe folgt. Schuldige Völker, die bestraft wurden, können nicht denselben Anspruch an Erinnerung ihrer Leiden geltend machen wie unschuldige. Korn hat also keineswegs in Rätseln gesprochen, sondern das inzwischen tabuisierte Wort vom 'Tätervolk', ohne es ausdrücklich zu verwenden, in der Sache bekräftigt."

Richard Kämmerlings hat zum gleichen Thema ein Interview mit der lettischen Lyrikerin Amanda Aizpuriete geführt, die sich gegen den Vorwurf der lettischen Kollaboration mit den Nazis wehrt (es habe nur "ein paar Hundert Nazis" gegeben) und ihre Außenministerin verteidigt: "Unser Volk ist nicht so groß, und wenn beinahe ein Viertel davon deportiert oder ermordet wird, dann kann man das schon Genozid nennen."

Weitere Artikel: Werner Spies sieht sich eine große Miro-Ausstellung im Centre Pompidou an und wirft ihr vor, dem "Fiasko" des kommerziellen und kunsthandwerklichen Spätwerks des Künstlers aus dem Weg zu gehen. Jürgen Kaube glossiert den Umstand, dass ein gefälschter Hitler-Tagebuchband von Konrad Kujau für 6.000 Euro versteigert werden soll. Der Demograph Herwig Birg breitet (über einer Anzeige für Frank Schirrmachers "Methusalem-Komplott") die düsteren, die gesamte Weltbevölkerung betreffenden Visionen seiner Wissenschaft aus. Ingeborg Harms bestreitet, dass Helmut Newton seinen Nachlass in Paris habe unterbringen wollen und dass Berlin nur zweite Wahl sei. Joseph Hanimann hat einem Redewettstreit in deutscher Sprache zwischen zwei Mannschaften Pariser Elitehochschulen beigewohnt. Der Philosoph Thomas Sören Hoffmann stellt ein gerade veröffentlichtes Papier von George W. Bushs Bioethikkommission vor und kritisiert es als "moderat und konsensbeflissen". Oliver Tolmein schreibt zur Eröffnung eines feministischen Rechtsinstituts in Hamburg.

Auf der Medienseite erkunden Michael Hanfeld und Franz Solms-Laubach die Perspektiven des Digitalfernsehens im Kabel.

Auf der letzten Seite gratuliert Ursula Böhmer dem Hilliard Ensemble zum dreißigjährigen Bestehen. Jürg Altwegg stellt den neuen französischen Kulturminister mit dem schönen Namen Renaud Donnedieu de Vabre vor. Und Dietmar Dath bedauert Jane Fonda, der in dem Moment, wo sie gerade mal wieder einen Film dreht, ihr Engagement gegen den Vietnamkrieg vorgeworfen wird.

Besprochen werden Rameaus Oper "Dardanus" in Bonn, Barbara Alberts Film "Böse Zellen", ein Auftritt der Popsängerin Melissa auf der Maur in Köln, ein "Tannhäuser" in Bremen und eine Ausstellung über brandenburgische Schriftsteller in zwei Diktaturen in Rheinsberg.