Mord und Ratschlag

Babys für Boston

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
22.02.2007. "Nicht frei von Sünde", John Banvilles erster Versuch als Krimiautor Benjamin Black, erzählt von den Machenschaften einer Babyverschickungsmafia im Irland der fünfziger Jahre.
"Endlich wird hier mal ein Kunstwerk ausgezeichnet", lauteten John Banvilles nicht wirklich ironisch gemeinte Dankesworte bei der Verleihung des Man Booker-Preises für seinen Roman "The Sea" im letzten Jahr. Da waren weite Teile des britischen Literaturbetriebs-Establishments "not amused". Zum einen, weil derart fröhliche Arroganz einem selten Freunde beschert. Zum anderen hatte der Ire Banville kurz davor schon in der New York Review of Books eine schnell heilig gesprochene Kuh geschlachtet, Ian McEwans jüngsten Roman "Saturday" - alle, die da gelobt hatten, fühlten sich von seinem gnadenlosen Verriss brüskiert.

Vor allem aber ist es Banvilles Literatur, die seit jeher eher auf Unverständnis stößt. Sein Publikum war, bis zum Booker-Preis, sehr überschaubar. Konventionell orientierte Leser wie Kritiker vermissen an seinen Romanen klar summierbare Plots sowie fassbare Charaktere und handliche Figurenpsychologie. Banville ist besessen von der Sprache. An manchem Satz sitzt er, wie man - für den Kenner wenig überraschend - in Interviews erfährt, Stunden. Banville ist ein Stilfetischist, er schleift und poliert seine Prosa bis sie hart und opak und kalt ist und funkelt wie Diamanten. Eisig ist die Atmosphäre in den Welten, die er aus Sprache baut. Nicht minder abweisend seine Helden, oft nicht mehr ganz junge männliche Ich-Erzähler, Meister der Selbstverbergung noch in den ausführlichsten Erinnerungs- und Selbstbeobachtungssuaden.

Und dieser John Banville hat nun, als Benjamin Black, einen Thriller geschrieben. Inspiriert durch George Simenons "harte Romane", deren nur scheinbar simple Sprache. Banville hat kein Geheimnis daraus gemacht, wer hinter dem Pseudonym steckt; eher geht es ihm darum, die zwei Seelen in der Autoren-Brust auch für sich selbst auseinanderzuhalten. Banville, der Stilist hier, Black, der Krimi-Realist da. Da sollen keine Verwechslungen aufkommen. Aber wie sieht es bei der Lektüre aus? Erkennt man als Banville-Leser den Autor wieder? Und kommt man als Krimi-Leser auf seine Kosten?

Beginnen wir mit Quirke. Dies der Name des Protagonisten. Einen Vornamen hat er nicht, alle Welt, auch der Erzähler, nennt ihn immer nur: Quirke. Und Quirke hat einen fürs Genre inzwischen sehr einschlägigen Beruf: er ist Pathologe. Das ist in diesem Fall freilich eine eher metaphysisch als ausweidetechnisch näher beschriebene Profession. Darauf deutet schon der erste Satz (nach einem Prolog): "Quirke grauste es nicht vor den Toten, sondern vor den Lebenden." Es wird in "Nicht frei von Sünde" um Menschen gehen, deren Leben vom Tod und von der Erinnerung an Tote gezeichnet ist.

Quirkes Ehefrau Delia ist vor Jahren gestorben, im Kindbett. In ihre Schwester Sarah, in der Erzählgegenwart der fünfziger Jahre verheiratet mit dem einstigen Freund Malachy Griffin, war - und vielleicht: ist - Quirke verliebt. Sarahs und Malachys Tochter Phoebe ist er ein väterlicher Freund. Malachys Vater, der ruhmreiche Richter Garret Griffin hätte lieber Quirke als Malachy zum Sohn. Dies die Familienkreise, in die hinein Banville als Black einen komplizierten Plot um mafiöse Machenschaften der Katholischen Kirche webt. Es geht dabei um Babys, die heimlich von Irland nach Boston verschickt werden. Quirke stößt darauf, als Malachy in der Pathologie eine Akte fälscht. Er schöpft Verdacht, stellt Nachforschungen an und bekommt eine Lektion erteilt.

Entfaltet wird diese Geschichte auf Umwegen, die weniger der Spannungserzeugung dienen als dem Porträt der fünfziger Jahre in Dublin und Boston. Geradezu klassisch, man könnte auch sagen: nicht gerade originell, wie sich die Stützen der Gesellschaft als die eigentlichen Schurken erweisen. Wenig besser kommt die im Subplot mitbeschriebene Unterklasse weg. Erzählerisch setzt Black auf fortwährende Perspektivwechsel. In erlebter Rede kommt er seinen Figuren nah, stülpt sich einfühlend in sie hinein wie in mühelos austauschbare Handschuhe. In Dialogen wie Gedanken greift er so zu auf unterschiedliche Sichten auf Welt. Nicht immer entfernt er sich dabei sehr weit vom Klischee. Der womöglich zeugungsunfähige Proletarier ist aggressiv und voller Minderwertigkeitskomplexe. Der reiche alte Mann in Boston hat eine schöne junge Frau. Die schöne junge Frau schläft, kaum ist der alte Mann unter der Erde, mit Quirke, den zuvor im Krankenhaus schon die Krankenschwester so unaufgefordert wie rittlings beschlief.

Manche Undurchsichtigkeit, auch der Aufschub sich lange andeutender Enthüllungen helfen qua Verdunklung von Motiv und Endzweck über diese Klischeehäufung hinweg. Bei einem Meister des Stils wie Banville wäre dies aber, sollte man meinen, vor allem Aufgabe der Sprache. Ausdrücklich weist der Autor, wie gesagt, auf seine Orientierung am Vorbild Simenon hin. Das ist erstaunlich, denn bei allem Bemühen um Vielfalt der Stillagen schimmert doch immer Banville durch. Vom ständigen Vergleichen kann er nicht lassen, nur dass viele der hier verwendeten Vergleiche von der Originalität und Verfremdungskraft des "literarischen" Banville weit entfernt bleiben. (Beispiel: "seit jenem Augenblick hatte sich in ihm stetig etwas angesammelt, wie ein Stausee, etwas das, ließe er es heraus, sein Leben überschwemmen und seinen Seelenfrieden mit sich in die Tiefe reißen würde")

Je weiter die Geschichte erzählt wird, desto düsterer nehmen sich die Figuren und ihre Verhältnisse untereinander aus. Dunkle Familiengeheimnisse werden enthüllt. Quirke, der als Serienfigur angelegt ist - ein zweiter Benjamin-Black-Roman ist bereits angekündigt - wird, je näher man ihn kennenlernt und gerade, weil man einsehen muss, dass er nicht ganz der ist, der er scheint, immer mehr zur Banville-Figur. Die Auflösung, auf die der Roman kriminalromantypisch zustrebt, belegt die sorgsame Konstruktion des Familientrugs- und Trauerplots. "Nicht frei von Sünde" ist gewiss kein Kunstwerk, aber schon ein ordentlicher Kriminalroman. Allzu ordentlich vielleicht. Auf jeden Fall aber, angesichts des Kalibers des Autors John Banville, nicht außerordentlich genug.


Benjamin Black: "Nicht frei von Sünde". Roman. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Kiepenheuer & Witsch, Februar 2007. 432 Seiten, gebunden, 19,90 Euro