Vom Nachttisch geräumt

Das Gesicht der Bundesrepublik

Von Arno Widmann
16.07.2019. Ulf Erdmann Ziegler über den Fotografen Will McBride, der den Deutschen amerikanische Lässigkeit beibrachte.
Ulf Erdmann Ziegler stellt den amerikanischen Fotografen Will McBride weniger vor, als dass er ihn in die Geschichte der BRD stellt. Mehr noch, er macht plausibel, dass die BRD entstand, als eine Generation sich anschickte, aus den Fotos von McBride lebende Bilder zu machen. Es gab eine Zeitschrift, die den Lebensstil einer ganzen Generation prägen half. Twen hieß sie. Sie war 1959 gegründet worden, ein Produkt von Adolf Theobald, der später noch die Zeitschriften Capital und natur gründen sollte, und Stephan Wolf und Willy Fleckhaus, dem Erfinder u.a. des Gesichts der "edition suhrkamp".

Wir befinden uns in einer Phase, in der ein Teil des zerschlagenen Deutschlands sich in die Bundesrepublik verwandelt. Es tat das nicht freiwillig und nicht von allein. Das Grundgesetz zum Beispiel entstand auf Initiative der westlichen Alliierten. Es heißt so, weil die Deutschen fanden, die BRD habe keine Verfassung verdient, die stünde allein Deutschland zu. Bei der Verwandlung Deutschlands in die Bundesrepublik spielten die USA eine zentrale Rolle, auch in den britisch und französisch besetzten Zonen. Keine andere Besatzungsmacht verfügte über die ökonomische Potenz der USA. Militärisch waren die USA übermächtig. Gerne wird ihre kulturelle Power übersehen. Die Eliten mochten nach Paris schauen. Die Massenkultur aber war amerikanisch. Der eigentliche Bazillus war die Lässigkeit, von der Jürgen Habermas schreibt, sie sei das Auffälligste schon bei den einmarschierenden US-Truppen gewesen. Dass Sieger so aussahen, war nur zu verständlich. Dass man so aber auch siegen konnte, war die Lektion, die die Deutschen langsam, aber dank des wirtschaftlichen Aufstiegs immer weniger widerstrebend übernahmen. In diesem Prozess wurden sie freier als ihre Befreier.

Will McBride mit Model in Südfrankreich 1975, Foto: Wolfgang H. Wögerer bei Wikipedia unter CC BY 3.0-Lizenz


Hier kommt, das macht der Autor Ulf Erdmann Ziegler in seinem Buch klar, der US-Soldat Will McBride, der 1953 nach Deutschland kam und blieb, ins Spiel. Es sind seine Fotos, die die nachkommenden Jahrgänge zu einem Lebensstil verführten, der sie losriss von ihren Eltern, der sie aus Deutschland hinaus in die Bundesrepublik katapultierte. Ich sage das, weil ich, geboren 1946, es so erfuhr. Twen war die neue Welt. Wer in sie eintrat, war die deutsche Schlacke los. Will McBride wusste genau, wie man das tat. Er zeigte es in seinen Fotografien und er schrieb es nieder. Zum Beispiel so an und auf seinen Berliner Freund Jan Bassenge: "Lang lebe der Ragtime! Zieh die ausgefransten engen Hosen der Cowboys an, Jan. Geh unter die Dusche, damit sie einlaufen und Farbe verlieren. Vergiss das braune Hemd und die Armbinde mit dem krummen eckigen Zeichen. Zieh das hier an. Hier, dein Pullover, ein paar Nummern zu groß, lässig und bequem. Nimm die Trompete und fang an zu spielen. Die Akkorde gehen so, blues und easy. Lass Dich gehen, Jan. Der Krieg ist schon lange vorbei."

Als Teenager wurden die 68er womöglich mehr noch als vom Spiegel von Twen sozialisiert. Das "Vergessen" spielte in dem Lernprozess, der zur Bundesrepublik führte, eine von ihren Verteidigern gerne unterschätzte Rolle. Sich an etwas erinnern heißt doch, es dem Vergessenwerden zu entreißen. Das Bewusstsein bildet sich im - sagen wir mal - Kampf. Solange es einfach nur da ist, ist es keines. Natürlich ist es einfacher das Nazihemd abzulegen, als den Nazi in sich loszuwerden. Aber das Sein bestimmt das Bewusstsein eben auch. Viele derer, die nach 1945 im Westen geboren wurden, nutzten die Chance nicht Deutsche, sondern Bundesbürger zu sein. Allerdings legten viele gerade von den 68ern die Lässigkeit bald wieder ab und wandten sich wieder zackigeren Lebensentwürfen zu. Da aber war die Bundesrepublik längst Realität geworden und zeigte sich als mächtiger als die Rebellion gegen sie. Zu unserem Glück. Jedenfalls im Großen und Ganzen.

Ulf Erdmann Ziegler: Die Erfindung des Westens - Eine deutsche Geschichte mit Will McBride, edition suhrkamp, 202 Seiten, zahlreiche s/w Fotos, 20 Euro.