Außer Atem: Das Berlinale Blog

Der Ungeehrte

Von Anja Seeliger
15.02.2010. Nach der Vorführung des Films fragt eine Zuhörerin die Regisseurin Ilona Ziok sichtlich genervt, warum sie diese schrecklich dräuende Musik für ihren Film benutzt hat. Und für den Abspann dann auch noch Frank Sinatras "My way" herhalten musste. Ziok nimmt die Frage übel: "Das ist halt mein Stil. Das kann man mögen oder nicht", pampt sie zurück Als sich einige Zuschauer mit dieser Antwort nicht zufrieden geben, erklärt der Cutter Pawel Kocambasi: "Wir wollten unsere Sympathie für Fritz Bauer ausdrücken."


Nach der Vorführung des Films fragt eine Zuhörerin die Regisseurin Ilona Ziok sichtlich genervt, warum sie diese schrecklich dräuende Musik für ihren Film benutzt hat. Und für den Abspann dann auch noch Frank Sinatras "My way" herhalten musste. Ziok nimmt die Frage übel: "Das ist halt mein Stil. Das kann man mögen oder nicht", pampt sie zurück Als sich einige Zuschauer mit dieser Antwort nicht zufrieden geben, erklärt der Cutter Pawel Kocambasi: "Wir wollten unsere Sympathie für Fritz Bauer ausdrücken."

Das war nicht nötig. Außer alten und jungen Nazis bringt heute wohl jeder Sympathie auf für den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der sich in den 50er und 60er Jahren für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen einsetzte und damit fast alleine stand. Vielleicht hat Ziok die Musik für ihren Dokumentarfilm aber auch benutzt, um ein Befremden zu übermalen, dass den Zuschauer befällt, wenn er feststellt, dass Bauer in genau dem abgehackten, pathetischen Tonfall spricht, den man mit den 30er Jahren verbindet. Das Befremden löst sich nach einer Weile ganz von selbst auf, man muss Bauer nur lange genug zuhören.

Fritz Bauer, der als Jude während der Nazizeit emigrieren musste, wurde in der Bundesrepublik 1952 durch den Prozess gegen Otto Ernst Remer bekannt, den er wegen übler Nachrede und Verleumdung der Mitglieder des 20. Juli anklagte. Remer wurde zu drei Monaten Haft verurteilt, aber auf die Höhe der Strafe kam es Bauer nicht an, wie ein Staatsanwalt im Film erzählt: Er vergaß in seinem Abschlussplädoyer sogar, den Strafantrag zu stellen. Bauer erreichte sein Ziel dennoch: Die Mitglieder des 20. Juli wurden im Verlauf des Prozess vom Vorwurf des Hochverrats freigesprochen. Der NS-Staat wurde erstmals von einem deutschen Gericht zu einem "Unrechte-Staat" erklärt (mehr hier). Auch dass es 1963 zu den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt kam, war fast ausschließlich Bauer zu verdanken.

Wie sehr die Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren sich gegen eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sträubte, erfährt man im Film von dem Publizisten Christoph Müller-Wirth: 1962 hatte Bauer einen Aufsatz über die Wurzeln nationalsozialistischen Handelns veröffentlicht, der an den Schulen in Rheinland-Pfalz verteilt werden sollte. Der damalige Kulturminister von Rheinland-Pfalz Eduard Orth lehnte dies jedoch ab. Zu einer Diskussion über den Aufsatz erschien er nicht, sondern schickte einen hoffnungsvollen jungen CDU-Politiker, Helmut Kohl, der - 1962! - erklärte: Es sei noch zu früh, abschließend über den Nationalsozialismus zu urteilen.

Aber das ist alles bekannt. Vieles konnte man schon 1984 in Jörg Friedrichs Buch "Die kalte Amnestie" nachlesen, dass jedem, der sich für die juristische Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit interessiert, wärmstens ans Herz gelegt sei. Und gerade hat Irmtrud Wojak eine ausführliche Biografie Bauers veröffentlicht. Der Film fügt den Fakten kaum etwas neues hinzu. Und dennoch ist es ein wichtiger Film: Denn obwohl die Fakten längst bekannt sind, ist Fritz Bauer außer in einschlägigen juristischen und Historikerkreisen heute praktisch vergessen. Während Hans Globke friedlich seine Pension verzehrte, starb Fritz Bauer 1968 einsam und verbittert. Wenige Monate zuvor war im Bundestag ein Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz in Kraft getreten. Klingt unschuldig, es führte aber dazu, dass unzählige Nazi-Schergen, vor allem die Schreibtischtäter, straflos davon kamen, weil ihre Beihilfe zum Mord auf einen Schlag verjährt war. Bauer muss das als endgültige Niederlage erlebt haben, was es ja auch war. Fritz Bauer wurde nie - weder zu Lebzeiten noch posthum - vom deutschen Staat geehrt. Wäre es nicht an der Zeit, das nachzuholen?

Ilona Ziok: "Fritz Bauer - Tod auf Raten". Deutschland 2010, 110 Minuten
(Panorama, Vorführtermine)