Magazinrundschau

Ich bin die einzige Frau hier

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
03.04.2018. Il Mulino erforscht die Ideologie des Chavismus in Venezuela. Die LRB feiert den Pullover für Frauen. Die Romanischen Studien erklären, warum die Poststrukturalisten 1968 so alt aussahen. In Cinema Scope erklärt Paul Schrader, warum er den Tarkowski-Ring nicht überschreitet. Der New Yorker porträtiert die pakistanische Dokumentarfilmerin Sharmeen Obaid-Chinoy. Im New Statesman erklärt John Gray, wie die 68er den Kapitalismus retteten. 

Il Mulino (Italien), 01.04.2018

Claudio Giunta ist nach Venezuela gereist, um sich selber ein Bild von der maroden Lage des Landes zu machen. Er spricht unter anderem mit der einstigen hohen Beamtin Julia (die von Chavez geschasst wurde und die bereit ist, Giunta Auskunft zu geben, obwohl sie als typisch venezolanischer Opernfan nicht verstehen kann, dass er nicht weiß, wer Renata Tebaldi ist). Julia spricht vom Krieg des Chavismus gegen die Unternehmer, "der ein Symbol hat: Lorenzo Mendoza, den Chef der Empresas Polar, des größten Lebensmittelkonzerns des Landes mit mehr als 30.000 Arbeitnehmern. Mendoza war eine der Zielscheiben der antikapitalistischen Kampagne von Chavez, nur dass das Bild von einem, der das Volk aushungert, das Chavez ihm aufdrücken wollte, niemanden überzeugt hat, denn Polar produziert das Bier, das alle in Venezuela trinken und das Pan-Mehl, das alle benutzen um das Nationalgericht, die 'Arepas', die typischen Maisfladen, zuzubereiten. Und Mendoza bleibt einer der beliebtesten Männer des Landes, wenn nicht sogar eine der wenigen Hoffnungen auf eine Alternative zu Maduro. Aber was die üble Nachrede von Chavez nicht vermochte, richteten dann die Gesetze an, die sich der Ideologie des Chavismus verdankten. Polar importiert wie alle venezolanischen Industrieunternehmen die meisten Rohstoffe aus dem Ausland und zahlt in Dollar. Aber die Regierung kontrolliert die Währungen, und die Regierung hat es den Unternehmen immer schwerer gemacht, Dollars auf dem Markt zu finden. Mendoza und die Oppositionschefs haben gegen diese Strangulierung der Unternehmen, wie sie es nennen, protestiert. Maduro - so hat es die Financial Times am 17. März 2017 berichtet - hat Mendozoa daraufhin geraten, seine Fabriken dem Staat zu überlassen: 'Wenn du nicht fähig bist, deine Firmen zu betreiben, dann gib sie den Leuten, die das können.'"
Archiv: Il Mulino

London Review of Books (UK), 03.04.2018

Am interessantesten ist Kleidung, wenn Frauen es nicht darauf anlegen, Männern zu gefallen, sondern gesellschaftlich zugleich hineinzupassen und herauszustechen. Das lernt man von Virginia Woolf und Isabelle Huppert, schreibt Rosemary Hill in einem sehr schönen Essay. Überhaupt war das Jahr 1925, als Woolfs "Mrs Dalloway" erschien, ein wichtiges Jahr für die Geschichte weiblicher Kleidung: "Ein anderes wichtiges Erzeugnis von 1925 war der Pullover für Frauen. Heute taugt er in keiner Garderobe mehr als besonders aufregendes Stück, doch damals war er revolutionär. Ein Pullover wird über den Kopf an- und ausgezogen, und die Person, die zieht, ist auch die, die den Pullover trägt. Klar. Aber bis dahin war es Frauen über ein Jahrhundert lang unmöglich gewesen, sich selbst an- oder ausziehen. Die reichen Frauen hatten ihre Zofen, die armen hatten sich gegenseitig, aber die Spitzen, Haken und Ösen, das Zuknöpfen am Rücken erforderte Hilfe. Das galt für Männer nicht. Ein Überbleibsel, eine archäologische Spur lässt die unterschiedliche Geschichte im Einkleiden von Männern und Frauen noch heute erkennen: Die Konvention, dass Frauenkleider die Knöpfe links haben, diente zur Erleichterung der meist rechtshändigen Ankleiderinnen, während Männer Knöpfe rechts haben, um sich selbst zu behelfen."

In einem riesigen Report untersucht James Meek das britische Gesundheitssystem NHS, das einerseits kurz vor dem Kollaps steht, andererseits vor einer echten Revolution und beide Realitäten nicht mehr ganz zusammenbringt:  "Im ersten Universum soll das NHS so umorganisiert werden, dass die meisten Menschen künftig zu Hause oder in ihrer unmittelbaren Umgebung versorgt werden, während nur noch Patienten mit schweren Traumata oder mit Krankheiten, die intensive Pflege, komplexe chirurgische Eingriffe oder biochemische Fachkenntnisse erfordern, in große Krankenhäuser aufgenommen werden. Die großen Krankenhäuser sollen indessen zu Forschungszentren mit Spitzentechnologie, raren Techniken und dramatischen lebensrettenden Interventionen umfunktioniert werden. Alles andere soll auf kommunaler Ebene behandelt werden. Unter der lockeren Führung von Simon Stevens, dem Kopf des NHS England, werden die Gelder, das Personal und neue Investitionen auf die Erstversorgung ausgerichtet - Hausärzte, Gemeindepfleger, aufgebesserte lokale Kliniken, kurz: Systeme um die chronisch Kranken daheim zu behandeln. Im zweiten Universum herrscht eine gegenteilige Wirklichkeit: Die Realität des Winters, die Realität der Not, die Realität einer stetig wachsenden Zahl gebrechlicher, älterer Menschen, die die letzten Zufluchtsstätten überschwemmt, die Notdienste."

Magyar Narancs (Ungarn), 03.04.2018

Der Theaterregisseur Viktor Bodó arbeitet nach der Auflösung seines Sputnik- Ensembles zunehmend im deutschsprachigen Ausland (u.a. in Heidelberg, Hamburg). Seine einzige Inszenierung in diesem Jahr in Ungarn feierte vor kurzem Premiere. Im Gespräch mit Alexandra Kozár schildert Bodó seine Erfahrungen in Deutschland - vor allem mit dem System der rotierenden Intendanten: "Es ist das große Problem hiesiger Theaterschaffender, zu wem wir über Probleme sprechen: meist zu Menschen, die genau so denken wie wir. Besser wäre es, wenn wir auch für die Andersdenkenden spielen würden. Würden die Theaterausschreibungen in Ungarn ablaufen wie zum Beispiel in Deutschland, wo alle vier bis fünf Jahre die Intendanten ausgetauscht werden und damit eigentlich auch das Ensemble, wo Regisseure und Schauspieler nach vier, fünf Jahren ihre Siebensachen packen und in eine andere Stadt, zu einem anderen Ensemble umziehen, dann liefe das automatisch, dann würde das in einer Stadt lebende Theaterpublikum mit unterschiedlichen Denkweisen und Ansichten in Berührung kommen."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Bodo, Viktor

The Nation (USA), 23.04.2018

Das Problem mit eigenen Gesetzen für Minderheiten ist, dass sie oft helfen, Probleme innerhalb der Minderheiten unter den Teppich gekehrt werden. Das erleben indianische Frauen in den USA, die überdurchschnittlich oft von sexueller Belästigung betroffen sind. Wenn der Täter ein Angehöriger des eigenen Stammes ist, fühlen sich viele in einer Zwickmühle, berichten Rebecca Clarren und Jason Begay: So sind die Gesetze für indigene Frauen was den Schutz vor sexueller Belästigung angeht, viel vager, als die Gesetze für nicht-indigene Frauen in den USA - einfach weil die indianischen Stämme zum Teil eigene Gesetze haben. Und viele Frauen fürchten, besonders wenn sie in den indianischen Lokalverwaltungen arbeiten, ihren Job zu verlieren: "Für viele Stammesmitglieder birgt eine Beschwerde oder das Öffentlichmachen in den Medien ein großes persönliches Risiko. Deleana OtherBull, Geschäftsführerin der 'Coalition to Stop Violence Against Native Women', sagt, sie höre fast täglich von sexueller Belästigung indigener Frauen, doch die große Mehrheit habe Angst, die Sache bekannt zu machen - vor allem wenn ein Stammesführer involviert ist. 'Für viele Frauen kann eine Beschwerde nicht nur dazu führen, dass sie ihren Job verlieren, sondern auch ihre Unterkunft und die College-Zulassung für ihre Kinder, oder ihr Partner kann gefeuert werden. Wir haben es erlebt, dass Frauen, die sich beschwert haben, aufgefordert wurden, ihre Community zu verlassen und wegzuziehen', sagt OtherBull."
Archiv: The Nation

Romanische Studien (Deutschland), 03.04.2018

Nicht uninteressant liest sich Joseph Jurts ausführliche Besprechung von Boris Gobilles neuer Studie "Le Mai 68 des écrivains: crise politique et avant-gardes littéraires", die sich im Fahrwasser Bourdieus sehr mikrohistorisch mit den literarischen Avantgarden und dem Mai 68 in Paris auseinandersetzt. Paradoxerweise stellt sich dabei heraus, dass die "alten Avantgarden" - also die Surrealisten oder Sartres Les Temps modernes - die Ereignisse zunächst viel besser reflektieren und aufgreifen konnten als die neue Avantgarde um die Poststrukturalisten und Julia Kristevas Zeitschrift Tel Quel: "Im Gefolge von Foucault und Roland Barthes hatte die Avantgarde um Tel Quel nicht nur den 'Tod des Autors' verkündet, sondern auch die Begriffe von 'littérature', 'œuvre', 'écrivain' als obsolet erklärt, um für alternative Begriffe wie 'écriture', 'texte', 'inconscient', 'trace', 'production' zu optieren. Mit der nun im Kontext der Revolte vertretenen These einer schöpferischen Kraft, die jedem zukomme, sahen die 'telqueliens' plötzlich 'alt' aus, während die Surrealisten mit der Vorstellung, ein jeder sei schöpferisch, sich völlig im Einklang mit der Bewegung fanden. Dem musste Tel Quel entgegentreten."

New Yorker (USA), 09.04.2018

Im neuen Heft des New Yorker begleitet Alexis Okeowo die pakistanische Dokumentarfilmerin Sharmeen Obaid-Chinoy, die sich des Vorwurfs pakistanischer Männer erwehren muss, westliche Vorurteile zu bedienen, indem sie Frauenschicksale in einer patriarchalischen Gesellschaft dokumentiert: "Obaid-Chinoys Filme behandeln schwierige Themen wie Kindesmisshandlung und Vergewaltigung, aber auch den sozialen Fortschritt - eine Ärztin, die eine Entzugsklinik leitet, einen jungen Anwalt für die Bildung von Mädchen. ... Mitunter hat sich die Regisseurin gegen die Ausstrahlung ihrer Dokumentationen im Fernsehen entschieden, um ihre Darstellerinnen vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Es gibt bei uns keine Kultur für das Anschauen solcher Dokumentationen, erklärt sie. Die Balance zwischen Information und Beunruhigung ist ihr wichtig … Zwischen 2002 und 2009 drehte Obaid-Chinoy eine Reihe von Filmen, in denen es um die beschränkten Rechte von Frauen in Saudi Arabien, den wachsenden Einfluss der Taliban in Pakistan, die Vergewaltigung und Ermordung kanadischer Ureinwohnerinnen oder illegale Abtreibung auf den Philippinen ging. Diese Filme waren wie Reportagen fürs Achtuhrfernsehen, mit Obaid-Chinoys als charismatischer Erzählerin. In 'Reinventing the Taliban?' von 2003 läuft sie durch Peshawar, während die Männer sie anstarren: 'Ich bin die einzige Frau hier.'"

Außerdem: Sheelah Kolhatkar berichtet vom Machtwechsel bei Uber und der Verwandlung vom skandalgeplagten Startup zum traditionellen Unternehmen. Dexter Filkins überlegt, was Saudi Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman mit seinen Annäherungen ans Weiße Haus bezweckt. Alex Ross trifft den 34-jährigen deutsch-italienischen Geiger Augustin Hadelich am Abend vor seinem erstem Britten-Konzert. Besprochen werden Meg Wolitzers Roman "The Female Persuasion", eine Ausstellung mit Cezanne-Porträts in der National Gallery of Art sowie zwei Filme: Steven Spielbergs "Ready Player One" und Andrew Haighs "Lean on Pete".
Archiv: New Yorker

Collectors Weekly (USA), 03.04.2018

Zugegeben, Ben Marks' Artikel über einen riesigen Schatz von metallischen Druckplatten für historische Filmwerbung in Zeitungen ist etwas arg kleinteilig auf die Sammlerperspektive zugeschnitten. Eine interessante Facette zum amerikanischen Urheberrecht findet sich darin aber doch: Seinerzeit nach dem Druck oft entsorgt, bergen die Vorlagen heute die Möglichkeit, zahlreiche Vintage-Reklamemotive von Klassikern neu zu drucken - was natürlich Begehrlichkeiten weckt: "'Die Studios haben das Zeug nie urheberrechtlich registriert', sagt Filmplakat-Experte Rudy Franchi. Zwar haben sie ihre Filme registriert, führt er aus, doch nicht das Werbematerial, weil sie wollten, dass Zeitungen und andere Medien die frohe Botschaft in alle Richtungen verkündeten. Um es in heutigen Begrifflichkeiten auszudrücken: Die Studios wollten, dass der Vorab-Buzz ihrer Filme viral ging. Bekanntschaft mit dieser sonderbaren Ecke des Urheberrechts machte Franchi, als man ihn als Experten zu einem Verfahren hinzuzog, in dem es darum ging, dass ein Unternehmer alte Filmplakate nachdruckte. 'Das war massiv', sagt Franchi. 'Der Kerl verkaufte seine Re-Prints in Zehntausender-Auflage an Wallmart und Konsorten. Also haben die Warner Studios, die die Rechte am 'Zauberer von Oz' halten, Klage eingereicht.' Doch während der Prozessvorbereitungen lernte Warner die Grenzen der eigenen Rechte am 'Zauberer von Oz'. Unter anderem lernten sie, dass Filmplakate in der Vergangenheit nie unter Copyright veröffentlicht wurden, weil, wie Franchi es ausdrückt, 'das die Studios keinerlei Interesse an dem Copyright an einem Filmplakat hatten, weil dies verhindert hätte, dass das Plakat gestreut wird.' Kein Urheberrecht, kein Urheberrechtsschutz. Warner nahm Abstand von dem Fall, noch bevor die Sache vor Gericht landete."

Anlass für die Reportage bot im übrigen Adam Roffmans Kurz-Dokumentarfilm "The Collection" über die Druckplatten-Sammlung. Auf Vimeo steht der Film in voller Länge:


Times Literary Supplement (UK), 30.03.2018

Als Hyper-Liberalismus bezeichnet John Gray die neue linke Ideologie, die mehr und mehr von den Universitäten in die westlichen Gesellschaften dringt. Verstörend findet Gray dabei die Kombination aus Liberalismus und Bolschewismus: "Hyper-Liberale werden jeden Verdacht von sich weisen, dass sie eine übersteigerte Version des Liberalismus befördern, den sie doch unermüdlich angreifen. Dennoch glauben sie weiterhin an das Aufziehen einer neuen Gesellschaft, wenn wir unsere Identitäten abgestreift haben und zu einem System übergegangen sind, in dem wir alle unterschiedlich und doch gleich sind. In dieser Sicht sind alle Identitäten gleich, denn alle sind kulturell konstruiert. In der Praxis sind einige Identitäten gleicher als andere. Die Anhänger historisch mächtiger Nationalitäten oder Religionen sind zur Dekonstruktion bestimmt, während diejenigen unterdrückter ethnischer und sexueller Minderheiten gewertschätzt werden. Wie diese Unterscheidung aufrecht erhalten bleiben soll, ist schleierhaft. Wenn menschliche Werte nurmehr soziale Konstruktionen sind, wie kann dann eine Gesellschaft, die unterdrückerisch ist, abgegrenzt werden von einer, die es nicht ist? Oder unterdrücken alle den freien Menschen, der das Licht des Tages erst noch erblicken wird? Die Identitätspolitik ist die postmoderne Wende der liberalen Anbetung der Menschheit. Das höchste Wesen ist ein unbekannter Gott geworden - eine in der Geschichte bisher unbekannte Spezies des Menschen, die sich selbst nicht bestimmen muss durch Familie oder Milieu, Nationalität oder Religion."

New Statesman (UK), 03.04.2018

Auch im New Statesman schreibt John Gray, hier bespricht er allerdings Richard Vinens Buch "The Long '68". Und auch wenn er betont, dass 1968 eine politische und kulturelle Bewegung gegen das britische ancien regime mit seiner Erbmonarchie, Staatskirche und aristokratischem Oberhaus war, stellt er doch fest, dass die 68er ökonomisch sehr ambivalent waren: "Die 68er spielten in den industriellen Konflikten der siebziger und achtziger Jahren kaum eine Rolle. Das Erbe von 1968 kam erst in den Neunzigern zum Tragen, als die einstigen Achtundsechziger - Joschka Fischer, Bill Clinton, Jack Straw und andere - als erklärte Reformisten in hohe Ämter kamen. Es ist kein Zufall, dass niemand unter den 68ern so etwas wie eine systematische Kritik jener Ökonomie hervorbrachte, die sie so verachteten... Der hedonistische Lebensstil der späten sechziger Jahre produzierte Konsumenten in großer Zahl. Vinen warnt davor, das Kapitalistische an 1968 zu übertreiben. Nur wenige von denen, die 1968 Antikapitalisten waren, wurden später zu seinen glühenden Anhängern. Doch der Kult der Individualität, der unter den 68er mit der theoretischen Verehrung kollektiver Ökonomie einherging, ebnete den Weg zu Margaret Thatcher und Ronald Reagan."
Archiv: New Statesman

El Pais Semanal (Spanien), 01.04.2018

Die spanische Journalistin und Schriftstellerin Rosa Montero erklärt, warum sie auf einmal stolz auf ihr Land ist: "Ausländische Beobachter haben sich immer schon darüber gewundert, wie hart und verbissen wir Spanier miteinander umgehen. Mehr als einmal habe ich selbst mir deshalb gewünscht, einem stinklangweiligen Land wie etwa der Schweiz zu entstammen. Umso mehr freue ich mich jetzt, dass wir der Welt mit dem Generalstreik und den Demonstrationen am letzten Weltfrauentag ein Beispiel gegeben haben. Unsere Gesellschaft war extrem machistisch, bis 1975 durften verheiratete Frauen hierzulande ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns weder arbeiten noch ein Konto eröffnen. Seitdem haben wir jedoch eine Riesenstrecke zurückgelegt und den Machismus einer jahrzehntelangen Dekonstrukionsarbeit unterzogen. Natürlich gibt es immer noch Sexismus, aber die Debatte darüber nimmt heute eine vorrangige Rolle ein - 82 Prozent der spanischen Bevölkerung haben den Streik vom 8. März befürwortet. Die euphorische Begeisterung darüber, Teil dieser sozialen Bewegung zu sein, lässt mich heute sagen, dass ich stolz bin, Spanierin zu sein."
Archiv: El Pais Semanal
Stichwörter: Sexismus, Weltfrauentag, El Pais

Cinema Scope (USA), 03.04.2018

Dass Hollywood seine altgedienten Recken längst nicht mehr an die großen Fleischtöpfe lässt, kann man auch als Chance begreifen - Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader jedenfalls tut dies auf seine alten Tagen und feuerte in den letzten Jahren einen günstig gedrehten, eigenwilligen Film nach dem nächsten raus. Mit "First Reformed", in dem Ethan Hawke angesichts einer Öko-Apokalypse Gewissensbisse umtreiben (hier unsere Kritik), drehte Schrader nun erstmals einen Film in jenem ruhigen, an Bresson, Tarkowski und Dreyer geschulten Stil, dem er in den Siebzigern mit "Transcendental Style in Film" ein ganzes Buch widmete (hier Jonathan Rosenbaums Besprechung von 1972), an den er sich selbst in seinen filmischen Arbeiten allerdings nie wagte. Am "Slow Cinema" der Gegenwart, das durch die Arbeiten von Wang Bing, Béla Tarr oder Lav Diaz geprägt ist, hat er sich dabei explizit nicht orientiert, erklärt Schrader im Gespräch gegenüber Alex Ross Perry in der aktuellen Ausgabe von Cinema-Scope: Als guter Amerikaner sieht er auch Kunstfilme in der Pflicht, sich am Markt zu behaupten. "Die Filme, die mich am meisten interessierten, orientierten sich immer noch im kommerziellen Kontext - im Gegensatz zum Festival- und Museumskontext. Das sage ich im respektvollen Hinblick auf Tarkowksi. Sobald sich das Kino von der Narration wegbewegt, muss es an einem gewissen Punkt den Tarkowski-Ring überschreiten. Und wenn dies geschehen ist, verlässt das Kino die Welt des Publikums und betritt die Welt des Museums und der Festivals. Also interessierte ich mich für Filme, die sich noch innerhalb dieses Rings positionieren - etwa 'Silent Light' (2007) von Reygadas, 'Kreuzweg' (2014) von Dietrich Brüggemann, Pawlikowskis 'Ida" (2013), offensichtlich 'Hadewijch' (2009) von Bruno Dumont, 'Lourdes' (2009) von Jessica Hausner. Das sind alles Filme, die auf gewisse Weise noch daran interessiert sind, ein Publikum zu bespielen. Es handelt sich nicht einfach um Museumsartefakte."
Archiv: Cinema Scope

Eurozine (Österreich), 29.03.2018

Eurozine übernimmt aus der slowakischen Tageszeitung Dennik N Samuel Abraháms Artikel über "Dreißig Tage, die die Slowakei erschütterten". Der Autor überprüft hier Schritt für Schritt, wie die Institutionen und die Zivilgesellschaft des Landes auf die Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova reagieren. Interessant besonders die Details, etwa wie sich das Wahlsystem auf das Verhalten der Parlamentsabgeordneten auswirkt: "Es muss immer wieder wiederholt werden, dass das aktuelle Wahlsystem, in dem die Slowakei als ein einziger, fünf Millionen starker Wahlkreis gilt, Abgeordnete hervorbringt, die nur ihren Parteiführern und keiner bestimmten Region gegenüber rechenschaftspflichtig sind. So können alle 150 Abgeordneten anonym abstimmen und die Bedürfnisse der Wähler ignorieren… Diese Abgeordneten müssen die Wähler nicht konsultieren, weil es keine definierte Gruppe gibt, der gegenüber sie rechenschaftspflichtig sind. Sie sind im Parlament, weil ihre Position auf der Wahlliste von einem Parteiboss entschieden wurde, nicht weil sie die Wähler in ihrer Region von ihrem moralischen Charakter und ihren beruflichen Fähigkeiten überzeugen mussten."
Archiv: Eurozine
Stichwörter: Slowakei, Kuciak, Jan

HVG (Ungarn), 24.03.2018

Ungarn heute erinnert den Theaterregisseur und Hochschullehrer Tamás Ascher im Gespräch mit Péter Hamvay  stark an das sozialistische Ungarn in den siebziger Jahren: "Der Mensch steht heute vor den selben Problemen wie damals: erneut ist es zur moralischen Frage geworden, welche Zuwendungen, Einladungen und Arbeiten angenommen werden können, welcher Zeitung ich Interviews gebe, welche Art von Kontakten zu staatlichen Institutionen oder zu den Repräsentanten des Staates noch annehmbar sind. An die Siebziger erinnert ebenfalls, dass der Mensch (zusammen mit anderen Kollegen) beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und wahrscheinlich auch im Radio auf eine schwarze Liste gesetzt wird - worauf ich - wie damals - eher stolz bin."
Archiv: HVG

New York Times (USA), 01.04.2018

Ganze Kleinstädte auf dem Wasser bilden die Boote von zehntausenden, in Kambodscha lebenden Vietnamesen. Diese Volksgruppe fühlt sich in beiden Kulturen zu Hause. Die Einheimischen sehen das allerdings oft anders: "In Kambodscha, wo die Konzepte von Nationalität und Ethnie unentwirrbar verflochten sind, werden die Mitglieder der vietnamesischen Minderheit als 'Yuon' bezeichnet, eine allgegenwärtige Verunglimpfung, die manchmal mit 'Wilder' übersetzt wird", erzählt der Reporter Ben Mauk in seiner Reportage für das New York Times Magazine. "Seit 1979 hält die regierende Kambodschanische Volkspartei (mit Hun Sen, einem ehemaligen Kommandanten der Roten Khmer an der Spitze), die ethnischen Vietnamesen in einer Art Limbus fest, indem sie ihnen informell Rechte mal gewährt, mal entzieht, je nachdem, wie gerade das lokale politische Klima ist. Die Oppositionspartei, die Nationale Rettungspartei Kambodschas, ist in ihrer Fremdenfeindlichkeit beständiger, sie droht die vietnamesischen Eindringlinge auszuweisen ... Der ehemalige Führer der Partei, Sam Rainsy, versprach einst, 'die Yuon-Immigranten zurückzuschicken' und vor den Wahlen 2013 erklärte er, 'wenn wir unsere Nation nicht retten, ist es in vier oder fünf Jahren zu spät - Kambodscha wird voller Vietnamesen sein. Wir werden die Sklaven Vietnams."
Archiv: New York Times