Die Buchmacher

Die Buchmacher

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
11.06.2002. In dieser Woche lesen Sie: Warum die Buchbranche so schwächelt. Warum es dennoch vielen Buchläden offensichtlich zu gut geht. Warum einige Wuppertaler Buchhändler in ihrer Existenz bedroht sind. Wofür die Branche Schirrmacher dankbar ist. Und wie die US-Kette Borders sich für den gläsernen Kunden bezahlen lässt. Von Hubertus Vollmer.

Börsenblatt

Stichproben des Börsenblatts haben ergeben, dass die Boykottdrohungen gegen Ullstein Heyne List nicht umgesetzt wurden. "Sowohl bei Hugendubel in Frankfurt am Main als auch bei der Mayerschen Buchhandlung in Dortmund stehen Hardcover aus der Heyne-Produktion in den Regalen. Auch im Taschenbuch wurde wohl kein Einkaufsstopp ausgesprochen: Die Juni-Titel werden als Neuerscheinungen herausgestellt." Die Drohungen waren ausgesprochen worden, weil der Verlag eine Vorab-Lizenz des Grisham-Titels "Die Farm" an den Bertelsmann-Club vergeben hatte.

Die Erbfolge bei Suhrkamp ist geregelt: "Der Stiftungsrat der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung ist am vergangenen Samstag zur konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Damit erfuhr die Öffentlichkeit auch erstmals, dass es die von Verleger Siegfried Unseld seit langem geplante Stiftung jetzt gibt; das Land Hessen hat sie am 29. April genehmigt." Außerdem meldet das Börsenblatt, dass Suhrkamp "kein antisemitisches Buch" druckt. Und das Blatt bringt eine Zusammenfassung der Feuilleton-Reaktionen auf Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" (mehr dazu auch hier).

Das irgendwie uncoole Zurückschlagen gegen Literaturkritiker macht Schule: Das Börsenblatt weist darauf hin, dass offenbar auch Bodo Kirchhoff negative Gefühle gegen Marcel Reich-Ranicki hegt.

Weitere Meldungen: Weltbildplus wächst. Und das Börsenblatt bringt Teil zwei der "Überlebensstrategien für Verlage".
Archiv: Börsenblatt

buchreport.express

Die Debatte um Walsers "Tod eines Kritikers" überlassen buchreport und Börsenblatt dem Feuilleton. Nur in kurzen Beiträgen wird auf die Antisemitismus-Vorwürfe hingewiesen. In einem Kurz-Kommentar vertröstet Bodo Harenberg seine Leser auf die Zeit nach dem Erscheinen des Buches: "Frank Schirrmacher hat mit seiner Vor-Verurteilung in der FAZ sich selbst und sein Blatt in den Vordergrund rücken und Macht demonstrieren wollen. Doch das Urteil wird erst gefällt, wenn alle gelesen haben, was Schirrmacher im Vertrauen darauf, dass er sich an die Spielregeln hält, als Erster lesen durfte." Eine Seite weiter wird gereimt: "Das Buch, das keiner kennt und das Welten trennt, rennt. In fünf Tagen von Null auf Hundert. Schirrmacher sei zumindest dafür Dank." Denn Urteil hin oder her: Die Buchhändler hoffen zusammen mit Walser und Suhrkamp, dass der Skandal einen Bestseller produziert.

Ansonsten schlechte Nachrichten auch im buchreport: "Die Branche fährt mit angezogener Bremse" heißt es auf Seite 1. Als Beispiele nennt das Blatt Hugendubel (Vorbereitungen auf Kurzarbeit wurden getroffen, ein Sparkonzept verabschiedet) und Kiepert (dazu weiter unten mehr). In den Herbstprogrammen der Verlage gebe es in diesem Jahr "bedeutend weniger Bücher bei stark zurückgenommenen Werbebudgets". Ein Renner wie im Vorjahr Harry Potter IV oder Günter Grass im Frühjahr 2002 sei nicht in Sicht (von Walser ist an dieser Stelle nicht die Rede). "Wer trotz der angespannten Lage Flexibilität bewahrt, könnte aus der Misere gestärkt hervorgehen. Denn: Sieger werden nicht in fetten Jahren gekürt."

Wie gesagt, ein Renner ist nach Ansicht des buchreport nicht in Sicht (dass das Blatt damit vermutlich falsch liegt, zeigt ein Blick auf diese Meldung). Auf zehn Seiten werden die Novitäten der kommenden Saison vorgestellt.

Die Buchhandlung Kiepert, die in Berlin mit neun und in Frankfurt (Oder) sowie in Röhrsdorf bei Chemnitz mit je einer Buchhandlung vertreten ist, muss Mitarbeiter entlassen. "Umsatzrückgänge und die Last der vor zwei Jahren getätigten Investitionen im Haupthaus haben die Grenzen des Verkraftbaren gesprengt." Im Mai wurden nur 70 Prozent der Gehälter an die Angestellten ausgezahlt, schreibt der buchreport weiter. Im Haupthaus sollen Verkaufs- und Bürofläche reduziert werden. Und alle Standorte würden mit Blick auf ihre Rentabilität überprüft. In einer Randnotiz liefert der buchreport Zahlen zum Buchhandelsstandort Berlin: Die Fläche sei in den vergangenen vier Jahren unverhältnismäßig stark gewachsen (1997: 50.000 qm, 2001: 80.000 qm). Im Jahr 2001 mussten 29 Buchhandlungen schließen, 330 gibt es derzeit. Und Wohlthat eröffnet drei neue Filialen in der Hauptstadt, heißt es auf der folgenden Seite des buchreport.

Bremen ist laut buchreport der aktuelle Schauplatz der Expansionspläne großer Buchhandelsketten: Thalia und Grüttefien wollen noch in diesem Jahr weitere Filialen in der Stadt eröffnen. Grüttefien wird dann mit vier, Thalia mit drei Filialen in Bremen vertreten sein.

In Wuppertal haben die örtlichen Buchhändler 80 Prozent der städtischen Schulbuchaufträge verloren. Die müssen in NRW neuerdings nämlich europaweit ausgeschrieben werden. Besonders ärgerlich für die Wuppertaler Buchhändler: Ihr Angebot war gleichwertig. Die Aufträge im Wert von insgesamt 1,1 Millionen Euro wurden daher verlost. Manche Buchhändler der Stadt seien nun existenziell bedroht.

In den USA bastelt die Buchhandelskette Borders am "gläsernen Kunden": Großlieferanten verwalten Warengruppen über das so genannte Category Management selbst. "Ihren Einfluss auf das Sortiment und den Zugriff auf die Erkenntnisse, die Borders aus der Marktforschung gewinnt, müssen sich die Verlage teuer erkaufen: Die Beteiligten mauern, doch ist hinter vorgehaltener Hand von rund 100.000 Dollar jährlich pro Warengruppe die Rede." Derzeit wird Category Management bei Borders in drei Warengruppen erprobt: mit Random House für das Bilderbuch und HarperCollins für Kochbücher und Romane.

Weitere Meldungen: In Buchhandlungen wird immer häufiger mit Plastikgeld bezahlt - noch häufiger als im Einzelhandel insgesamt, so der buchreport. Dann sind in diesem Jahr in Deutschland und Österreich gleich drei Antiquariatsmessen abgesagt worden (Hamburg, München, Wien).

Schließlich bringt der buchreport eine Gegendarstellung: "In buchreport.express Nr. 14/2002 vom 4.4.2002 ist unter der Überschrift 'Bücher wider Willen' - Klage von KiWi gegen Bettina Röhl wurde abgewiesen" ein Beitrag enthalten, zu dem Bettina Röhl folgende Gegendarstellung verlangt: Falsch ist, der Verlag könnte gezwungen sein, das Buch zu veröffentlichen. Richtig ist, dass der Verlag nach dem Urteil des Landgerichts Hamburg verpflichtet ist, das Buch zu veröffentlichen. Unwahr ist, Frau Röhl sei schon zuvor 1997 vom Econ Verlag abgewiesen worden. Richtig ist, dass Frau Röhl den Vertrag mit Econ Ende 1997 fristlos gekündigt hatte. (...) Unwahr ist, Frau Röhl sei bei mehreren Verlagen erfolglos vorstellig geworden. Richtig ist, dass Gespräche mit anderen Verlagen bislang ohne Ergebnis blieben, da das Rechtsverhältnis zwischen KiWi und Röhl bislang nicht rechtskräftig geklärt ist." (Hintergrund des Streits zwischen Röhl und KiWi sind Publikationen der Journalistin über die Vergangenheit von Joschka Fischer, der ebenfalls KiWi-Autor ist.) Die buchreport-Redaktion schreibt, Röhl bestätige mit ihrer Darstellung die Richtigkeit der Berichterstattung des Blattes. "Da das Urteil des Landgerichts Hamburg nicht rechtskräftig ist, ist der Kiepenheuer & Witsch Verlag auch nicht verpflichtet, ihr Buch zu veröffentlichen."

Zu guter Letzt: die Bestseller.

Börsenblatt

Keine Woche ohne schlechte Nachrichten: Nicht nur der Buchhandel, natürlich auch die Verlage müssen Umsatzrückgänge hinnehmen, meldet das Börsenblatt. "Die an der Schnellumfrage des Börsenvereins teilnehmenden Unternehmen des herstellenden Buchhandels hatten im vergangenen Jahr erstmals mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen; die Erlöse sind um 0,1 Prozent zurückgegangen". "Den größten Teil des Umsatzes (67,39 Prozent) steuern nach wie vor die Bücher bei. Deutlich gestiegen - von 0,3 Prozent auf 1,4 Prozent - ist der Anteil der Online-Dienste. Einen Rückgang von 17,2 Prozent auf 14,64 Prozent verbuchten die Zeitschriften."

Passend zu den Ergebnissen der Schnellumfrage des Börsenvereins startet das Börsenblatt eine Serie "Überlebensstrategien für Verlage". Teil eins ist in diesem Heft erschienen.

Christina Schulte kommentiert die Krise in der Buchbranche: "Der Buchhandel wird von der größten Krise seit Jahrzehnten erschüttert (...). Verstummt ist das Gespött über Buchhändler und Verleger, denen gern unterstellt wird, mit Passion zu jammern und zu klagen. Der Ernst der Lage scheint offensichtlich. (...) Warum schwächelt die Buchbranche so sehr? Sind die Probleme hausgemacht? Oder ist doch die gesamtwirtschaftliche Lage schuld? Die Antwort liegt in der Mitte."

Auf vier Seiten stellt Peter Ripken, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, den diesjährigen Friedenspreisträger Chinua Achebe vor. "Ausgangspunkt seines Schreibens war in den 50er Jahren für den jungen Achebe, den kolonialen Bildern Afrikas, wie sie etwa Joseph Conrad in 'Herz der Finsternis' oder Joyce Cary in seinem heute vergessenen Roman 'Mister Johnson' zeichneten, etwas entgegenzusetzen. Diese Art von Gegendiskurs charakterisiert die bislang fünf Romane Chinua Achebes, mit denen er einen Beitrag leistet für Afrikas Erneuerung und gegen falsche Zuschreibungen für das, was Afrikas Krise auszumachen scheint." Vier Titel von Achebe sind in Deutschland lieferbar: "Okonkwo oder der Alte stürzt", "Der Pfeil Gottes", "Ein Bild von Afrika. Rassismus in Conrads 'Herz der Finsternis'" und "Zwölf Gedichte".

Weitere Meldungen: Die Umbenennung der Phönix-Filialen in Thalia ist abgeschlossen. Nach dem Zusammenschluss der beiden Ketten präsentieren sich nun 76 Buchhandlungen in Deutschland unter dem Namen Thalia. Dann hat der Sortimenterarbeitskreist AKS die Buchhändler aufgefordert, künftig Prepaid-Guthaben für Mobiltelefone in ihr Sortiment aufzunehmen. "Offensichtlich gehe es trotz Umsatzrückgängen vielen Buchläden so gut, dass sie eine zusätzliche Kundenfrequenz nicht einmal ausprobieren wollten", schreibt Ilona Rehme vom AKS sarkastisch. Mehr Infos hier. Der Verlag Hoffmann und Campe baut sein Hörbuch-Segment aus. Und mit dem Landesverband Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen hat der neunte von elf Landesverbänden für den Zusammenschluss von Landesverbänden und Börsenverein zu einem Gesamtverband gestimmt.

Schließlich porträtiert Adrienne Braun den Jan Thorbecke Verlag, der sich - nachdem die Bibliotheken als Hauptkunden wegbrachen - ein neues Profil gegeben hat. "Mit Titeln zur Geschichtswissenschaft hat der Verlag einen guten Ruf. (...) Da mit purer Wissenschaft zuletzt jedoch wenig Geld verdient wurde, versucht man sich jetzt vor allem als Publikumsverlag." Der Verlag konzentriere sich, so Verlagsleiter Jörn Laakmann, auf "leicht lesbare, illustrierte, seriöse Sachbücher".
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