Post aus Venedig

Orte von besonderer Konzentration

Von Marie Luise Knott
06.06.2011. Es macht durchaus Spaß, über Bice Curigers Biennale zu wandeln und die Rückkehr zu klassischen Formen zu beobachten. Doch die großen Entwürfe fehlen. Man vermisst das Radikale, das Wilde, das Aufwühlende.
Irgendwann, am zweiten oder spätestens drittenTag, stellte sich auch auf der Preview Gelassenheit ein. Die Luxusjachten von Abramowitsch und Schukow liegen vor Anker, in den Palästen am Canale und auf dem Dach des Guggenheim Museums wird gebruncht und gefeiert. Internationale Privatsammler zeigen, was sie besitzen. Immer wieder gibt es Absperrungen, weil hoher Besuch erscheint. Doch das Schöne an der Kunst ist ja, dass sie zu nichts nutze sein muss, und die schönste Kunst ist vielleicht immer noch die, die zu nichts Nutze ist, sondern aus sich heraus Schichten jenseits von Sinn und Verstand erreicht und berührt. Bice Curiger, die Leiterin und Kuratorin der diesjährigen Biennale, hat ihren Ausstellungsparcours "Illuminations" betitelt und sich auf Arthur Rimbaud und Walter Benjamin berufen. Als weitere Schützenhilfe für ihr Anliegen hat sie in den Giardini am Eingang drei frischrenovierte, großformatige Gemälde des Malers Tintoretto (1519-1564) aufgestellt. Wie keiner habe er es geschafft, mit wenigen Pinselstrichen eine Szenerie in Bewegung zu versetzen, argumentiert sie in ihrem Statement. Dieser Klassiker habe gerade uns Heutigen Neues zu sagen.

Läuft man durch die Ausstellungsräume im Arsenale und in den Giardini, geht einem das Konzept auf. Es funktioniert und fokussiert den Blick auf die innere Energie der Werke. Einzelne Arbeiten stehen in unmittelbarer Beziehung zum Motto, so die Lichtinstallation von James Turrell und die altmeisterlich gerahmten Videos von Pipilotti Rist, auf denen venezianische Stiche koloriert und zeitgenössisch animiert erscheinen. Dass Tintorettos Bildwelt tatsächlich zeitgenössische Künstler inspirieren kann, zeigt die Treppeninstallationen Monica Bonvicinis, unter anderem zu dessen "Präsentation der Jungfrau Maria im Tempel". Täuschend echtalt wirkt Urs Fischers Wachsnachbildung von Giovanni Bolognas "Raub der Sabinerinnen" aus dem 16. Jahrhundert, die, mit Dochten bestückt, in den kommenden Wochen abfackeln soll. Ein Witz auf den Dialog mit den Alten.


Pipilotti Rist, Non voglio tornare indietro, 2011


Die nachhaltigen Sinneseindrücke dieser Biennale sind wohl von anderer Art. Der am Samstag ausgezeichnete Haroon Mirza etwa hat zum Thema Erinnerung in einem dunklen Raum unmittelbar über unseren Köpfen einen an einen Heiligenschein erinnernden LED-Lichtkreis aufgehängt, der irgendwann jäh erlischt, aber auf der Netzhaut des Betrachters noch lange in verschiedenen Farben nachleuchtet. Auch Gabriel Kuris "Wolken" - drei zwischen zwei große Natursteine geklemmte Sportsocken - erheitern. Eine Attraktion ist vor allem die vielleicht längste Arbeit der Schau; sie stammt von dem US-amerikanischen Künstler Christian Marclay ("The Clock") und hat auf der Eröffnungszeremonie einen Silbernen Löwen gewonnen: eine 24-Stunden-Folge von Filmsequenzen aus der Kino-Geschichte, auf denen Uhren im Mittelpunkt stehen, von Buster Keaton über die Nouvelle Vague und James Bond zu neuesten Actionfilmen. Die Zeit auf der Leinwand ist Echtzeit, und das Drama der verstreichenden Zeit hier ein Genuss.

Es habe ein Wandel stattgefunden in der Kunst, so Bice Curigers die Ausstellung flankierendes Statement; die in der Zeit der Pop-Art herangewachsene Generation mit ihren Fragen nach Identität und kulturellem Erbe sei heute abgelöst von stilleren Selbstbefragungen. Dazu gehöre - gerade auch bei den Jüngeren, die in dieser Biennale stark vertreten sind - eine Rückkehr zu klassischen Formen wie Tafelbild, Fotografie und Skulptur. Beispiele davon gibt es viele: Corinne Wasmuth, in Deutschland keine Unbekannte, entwirft auf ihren großformatigen Ölgemälden Stadtinnenwelten, in denen das Tempo unserer Zeit eingefangen wird und das Auge sich verirren kann. Sarah Lucas präsentiert, welch verführerische Ansicht, eine goldene Courgette, und Ida Ekblad zeigt auf, was nach der Querelle des abstraits et des concretes für freie Assoziations-Räume sich auftun können. Doch die großen Entwürfe fehlen. Man vermisst das Radikale, das Wilde, das Aufwühlende. Und auch das ganz Ferne, Fremde, Andere. Nur ganz vereinzelt hat ein afrikanisches Kunstwerk in der Schau Platz gefunden.


Ida Ekblad, a caged law of the bird the hand the land, 2011

Eine Besonderheit der diesjährigen Biennale, ist Curigers Idee der von Künstlern ausgerichteten "Para-Pavillons". Die polnische Installations-Künstlerin Monika Sosnowska etwa hat sternförmige Wände angelegt und so Orte von besonderer Konzentration geschaffen. Hier hängen Porträts ehemaliger Krimineller. Der südafrikanische Fotograf, David Goldblatt, selbst Opfer eines Überfalls, hat Ex-Täter aus der Anonymität der wachsenden Kriminalitätsstatistik herausgeholt und an den Ort ihrer Tat zurückgebracht, wo sie ihre Geschichte erzählen. Eine großartige Serie. Auch in den anderen Para-Pavillons gelingt der Dialog unter Künstlern, deren Werke sich gegenseitig - im Benjaminschen Sinne - über die Gattungen hinweg "illuminieren".

Irgendwann am Samstag beginnen die Absperrungen für die Eröffnungszeremonie. Schon im Vorfeld war klar: Die äußerst verführerischen Riesentorten und überdimensionalen Petticoat-Imitationen der Schottin Karla Black würden sicher keine offizielle Beachtung finden, ebenso wenig wie der begehbare "Elevator from the Subcontinent" des Inders Gigi Scaria, der in einer imaginären Fahrt durch die Stockwerke die vielfältigen Schichtungen Delhis an uns vorbeiziehen lässt.. Auch Andreas Erikssons Variationen über illusionistische Momente in Kunst und Wirklichkeit würden wohl leer ausgehen, trauerten einzelne im Vorfeld. Am Ende siegte der deutsche Pavillon mit seiner wildehrlichen "Kirche der Angst vor dem Fremden in uns". Wussten wir es doch: Ein bisschen Wildheit muss eben dabei sein! Und: "The German Angst" ist immer noch unser authentischstes Exportprodukt.

Marie Luise Knott

Fotos: Martin Warnach

Hier der 1. Teil von Marie Luise Knotts Post aus Venedig.