Rüdiger Hohls, Konrad H. Jarausch (Hg.)

Versäumte Fragen

Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus
Cover: Versäumte Fragen
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2000
ISBN 9783421053411
Gebunden, 528 Seiten, 22,50 EUR

Klappentext

Das Verhalten deutscher Historiker im Dritten Reich ist stark umstritten. Vorwurf und Verteidigung stehen sich gegenüber. Jetzt fragen junge Leute nach und erfahren Erstaunliches von den führenden deutschen Historikern der letzten dreißig Jahre. Viele Persönlichkeiten, die heute als Mitläufer oder Täter im Dritten Reich gelten, waren bis in die siebziger Jahre hochangesehene und einflußreiche Hochschullehrer. In zum Teil atemraubenden Interviews erfährt man, wie mit der dubiosen Vergangenheit umgegangen wurde und welchen Sprengstoff sie noch birgt. Dieses Buch stellt mit seinen biographischen und bibliographischen Zusatzinformationen ein einmaliges Nachschlagewerk über die Rolle der Historiker im Nationalsozialismus und in den Aufbaujahren der Bundesrepublik dar. Interviews mit Rudolf Vierhaus, Gerhard A. Ritter, Helga Grebing, Hans Mommsen, Wolfgang J. Mommsen, Imanuel Geiss, Hans-Ulrich Wehler, Reinhard Rürup, Wolfgang Schieder, Lothar Gall, Adelheid von Saldern, Michael Stürmer, Heinrich August Winkler, Jürgen Kocka und anderen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.09.2000

Christoph Jahr bespricht diese Interviewsammlung mit Historikern, in der lang versäumte Fragen der deutschen Geschichtswissenschaft erörtert würden - eine "ungemein reichhaltige Sammlung zeithistorischer Quellen". Zu Beginn verweist er noch einmal auf den Deutschen Historikertag 1998 in Frankfurt, wo "die Rolle der Historiker bei der Gestaltung der nationalsozialistischen Politik und ihre Mitverantwortung" erstmals breitenwirksam debattiert worden sei. Studierende hätten nun siebzehn einflußreiche Historiker befragt, worin der Rezensent die Chance für eine "gewisse Unbefangenheit" sieht. Der strukturelle Aufbau der Befragung in einen persönlichen und einen wissenschaftlichen Teil wird kurz erläutert. Und obwohl alle Befragten Medienprofis genug sind, nichts Unüberlegtes zu sagen, bieten diese Zeitzeugeninterviews, so Jahr, "neue Einblicke, vor allem in den von zahlreichen ... Kontinuitäten geprägten Wiederaufbau der deutschen Geschichtswissenschaft". Was das im Einzelnen bedeutet, wird ebenfalls skizziert, inklusive einer "späten Genugtuung für Götz Aly, dem eine Universitätskarriere nicht vergönnt war" und der nun zu den meistgenannten Kritikern des traditionellen Bildes der Geschichtswissenschaft von sich selbst sei. Schließlich folgen noch einige eher entbehrliche Tipps für die Zukunft der Selbstbefragung innerhalb der Historikerzunft. Wenn gleich das Georg-Herwegh-Zitat am Ende der Rezension nicht ohne zwingende Logik ist: "Zu Frankfurt am Main / Die Wäsche wird nicht rein / Die Mohren bleiben Mohren / Trotz aller Professoren."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.08.2000

Den Blick eines Fremden wirft Richard J. Evans in seiner Rezension auf die deutsche Wissenschaftskultur. Mit seiner Beschreibung des Abhängigkeitsverhältnisses von Doktoranden und Assistenten von ihren Professoren zielt er ins Zentrum der in diesem Interviewband dargestellten Probleme. Die Idee der Herausgeber, prominente Historiker über ihre in den Nationalsozialismus verstrickten Doktorväter zu befragen, findet er "genial". Die Erklärungen dafür, dass jede Aufklärung in der Nachkriegszeit ausblieb und erst in den neunziger Jahren begonnen hat, scheint ihm allerdings oft nur wenig überzeugend. Die Wahrheit liege wohl darin, dass persönliche Fragen kaum möglich gewesen seien - und mit jeder Nachforschung die Karriere aufs Spiel gesetzt worden wäre. Die "wahre Bedeutung" des Bandes sieht Evans in den gestellten "Fragen zu grundlegenden Themen der Geschichtswissenschaft". Zuletzt stellt er heraus, dass die Forschung der in den Interviews versammelten Historiker von weitaus größerer Bedeutung sei, als das, was sie im Hinblick auf ihre Professoren zu erforschen unterlassen hätten.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.07.2000

Sehr differenziert handelt Manfred Hettling einen Sammelband mit siebzehn Interviews von namhaften deutschen Historikern ab, in denen es um ihren eigenen Werdegang und den Umgang ihrer Zunft mit dem Nationalsozialismus geht. Hettling sieht drei Ebenen der Debatte: Zum einen gehe es um den Grad der Mitverantwortlichkeit von Historikern wie Schieder oder Conze an der nationalsozialistisch verbrämten "Ostforschung", zweitens um die "Frage personeller Kontinuitäten" nach 1945 und drittens um die in Misskredit geratene Sozialgeschichte. Unbestritten ist laut Hettling der Schweigekonsens nach 1945, der nur teilweise durch hierarchische Strukturen zu erklären sei. Interessant findet Hettling in diesem Zusammenhang, dass die jungen Assistenten der Illusion eines Neuanfangs aufgesessen sind, bei der die unmittelbare Vergangenheit in den Hintergrund gerückt ist. Für Historiker ein merkwürdiger Sachverhalt. Daraus einen Vorwurf abzuleiten, findet Hettling allerdings moralisch überheblich. Jede Generation muss ihre eigenen Fragen stellen, stellt der Rezensent abschließend fest.