Nadeschda Mandelstam

Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe

Cover: Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe
Die Andere Bibliothek, Berlin 2020
ISBN 9783847704263
Gebunden, 550 Seiten, 44,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Ursula Keller. Nadeschda Mandelstam blickt auf Jahrzehnte zurück, von denen ihr Mann, der große Lyriker Ossip Mandelstam, in einem seiner Gedichte als "Jahrhundert der Wölfe" spricht. Ihr Erinnerungsbuch - erstmals neu und vollständig übersetzt - ist eine nachgetragene Liebesgeschichte und das eindringliche Porträt einer Epoche, in der 1938 ihr Mann in den Lagern verschwand und umkam. Als Nadeschda Mandelstams Erinnerungsbuch 1970 in einem russischen Verlag in den USA erschien und fast zeitgleich in englischer, französischer und deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde, kam das einer Sensation gleich. Mit der Publikation des aus der Sowjetunion ins westliche Ausland geschmuggelten Manuskripts begann die Wiederentdeckung von Ossip Mandelstam.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.01.2021

Nicht nur eine Biografie ihres Mannes hat Nadeschda Mandelstam mit ihren Erinnerungen geschrieben, findet Rezensent Ulrich M. Schmid, sondern sie hat vor allem ein Bild der "Entfremdung" der Menschen voneinander in einer vom Geheimdienst durchsetzten Gesellschaft gezeichnet. So großartig diese Neuübersetzung und Neuherausgabe für ihn auch ist, so bedauert der Kritiker doch zwei große Mängel: Zum einen sei die mittlerweile gut recherchierte Beteiligung von Literaturfunktionären an Mandelstams Drangsalierung nur sehr "am Rande" dargestellt. Zum anderen, und dies musste inzwischen durch einen Aufkleber korrigiert werden, erwähnte die Übersetzerin auch in ihren Anmerkungen nicht, dass Ralph Dütli seit vielen Jahrzehnten Mandelstams Lyrik ins Deutsche übersetzt hat. (Auch von diesem Kritiker erfahren wir allerdings nicht, ob die 1970 publizierten Bände "Das Jahrhundert der Wölfe" und "Generation ohne Tränen" in dieser Publikation aufgegangen sind.)

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.01.2021

Zwanzig Jahre lang floh Nadeshda Mandelstam, Witwe des in einem Lager an Typhus gestorbenen Dichters Ossip Mandelstam, vor den Schergen des stalinistischen Systems, dabei "ein Sechstel der Erdoberfläche durchmessend", erklärt Rezensent Jochen Schimmang Joseph Brodsky zitierend. Nadeshda beschreibt in ihren Erinnerungen nicht nur persönliche Erlebnisse, sie erkennt auch scharfsinnig die Eigenart des Terrors, so Schimmang. Erst kommen die radikalen neuen Übermenschen, dann die Bürokraten, die das errichtete Schreckenssystem perfektionieren. Und auch mit der Intelligentsia, aus der sie selbst kommt, gehe Mandelstam scharf ins Gericht, die viel zu lange mit ihren Worten und Taten alle Werte plattgewalzt und die Unterordnung unter ein Ideal verherrlicht hatten. Ein unbedingt lesenswertes Buch, "Zeitzeugnis und zugleich große Literatur" zugleich, erklärt der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.12.2020

Auch Rezensent Fokke Joel ist glücklich, dass Nadeshda Mandelstams lange vergriffene "Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe" in einer neuen, erstmals vollständigen Edition bei der Anderen Bibliothek erschienen sind. Zwar stehen Ossip Mandelstam und Nadeshdas Rettung seiner Gedichte im Mittelpunkt der Erinnerungen, insbesondere aber verdankt der Kritiker dem Text eine umfassende Analyse der totalitären Diktatur: Mandelstam erzählt ihm hier, wie Schriftstellerkollegen für den Geheimdienst arbeiteten, Familien zerrissen wurden und wie sehr der Stalinismus zur "mythischen Macht" wurde. Angesichts der nationalistischen, geschichtsvergessenen Kulturpolitik einiger osteuropäischer Staaten erkennt Joel auch die Aktualität der Erinnerungen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 19.10.2020

Rezensent Tobias Lehmkuhl erklärt, dass der Leser kein Buch über Ossip Madelstam erwarten sollte, wenn er Nadeschda Mandelstams in den sechziger Jahren verfasste Erinnerungen zur Hand nimmt. Eine Menge über die Arbeit und die Lektüre des Schriftstellers erfährt er gleichwohl. Vor allem aber interessiert Lehmkuhl an der mit Erläuterungen versehenen, gelungenen Neuübersetzung von Ursula Keller ohnehin, wie Nadeschda Mandelstam sich des Themas künstlerische Souveränität vs. politisches Diktat annimmt und ein Porträt ihrer von Terror und Unterdrückung geprägten Zeit zeichnet. Die Verbindung aus konkreten Ereignissen und historischer Schau, aus beschreibender und reflexiver Ebene gelingt der Autorin dabei meisterlich und in einem sachlichen, mit einer Spur Ironie gefärbten Ton, der Lehmkuhl an Tschechow und Gogol erinnert.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.10.2020

Lange Zeit war Nadeschda Mandelstams "Jahrundert der Wölfe" vergriffen, nun bringt zum Glück die Andere Bibliothek dieses Großwerk der sowjetischen Dissidentenliteratur wieder heraus. Auch Rezensent Helmut Böttiger ist dafür sehr dankbar, auch wenn ihm Ursula Kellers nah am Original bleibende Neuübersetzung etwas sperrig erscheint und sich ihm Mandelstams "Gefühlsfarben" nicht leicht erschließen. Aber dann eröffnet sich ihm doch, wie Nadeschda Mandelstam von den literarischen und existenziellen Überlebenskämpfen nach der Revolution erzählt, vom Leben mit ihrem Mann, dem großen Dichter Ossip Mandelstam, der nicht nur bei Stalin in Ungnade gefallen war, sondern auch bei den Dichterfreunden der Avantgarde, und der 1938 in einem sowjetischen Lager bei Wladiwostok starb. Wie Mandelstam ihrer beider Lebensgeschichte aus Mosaikstücken zusammenfügt, ohne je eine geradlinige Erzählung daraus zu machen, beeindruckt den Rezensenten tief.
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