Marko Martin

Dissidentisches Denken

Reisen zu den Zeugen eines Zeitalters
Cover: Dissidentisches Denken
Die Andere Bibliothek, Berlin 2019
ISBN 9783847704157
Gebunden, 544 Seiten, 42,00 EUR

Klappentext

Im Gedenkjahr an die Wende(n) des Jahres 1989: die geistigen Vorarbeiter, dissidentischen Denker und Wortführer der Kritik an den Regimen und Ideologien. Marko Martins essayistisch-erzählerische Spurensuche nimmt uns mit auf eine europäische (mitunter auch außereuropäische) Reise zu Orten, zu Büchern und vor allem zu Menschen, deren Denken uns gegen die Erinnerungslosigkeit helfen kann: Die meisten sind Überlebende einer Zeit, die wir bereits hinter uns glaubten und die totalitär oder nationalistisch gerade heute wieder beunruhigende Schatten wirft. Die Autoren, die Marko Martin trifft oder erinnert, mit denen er spricht oder die er porträtiert, mehr oder weniger berühmt oder vergessen, und deren Schicksale eigentümlich miteinander verflochten sind, haben uns allen etwas voraus: die existenzielle Erfahrung geschichtlicher Brüche, die das Individuum bedrohen. Es sind dissidentische Jahrhundertzeugen in Ost und West. 2019, im Jahr des Erinnerns an die Epochenzäsur von 1989, ist es sinnvoll, uns zu vergegenwärtigen, dass diese Umwälzungen eine Vorgeschichte haben, die die Geschichte erst zu einer ganzen Geschichte werden lässt.
Czesław Miłosz, aus Polen geflüchtet, wird zum Freund von Albert Camus, Max Brod rettet sich aus Prag nach Tel Aviv, wo er Edgar Hilsenrath erste literarische Impulse gibt, Jean Améry traf in Auschwitz auf Primo Levi. Vom Charta-77-Mitbegründer Jan Patocka führt eine Spur zu Meisterdenker André Glucksmann in Paris, vom Brecht-Schüler Horst Bienek zum Romancier und Menschenkenner Julien Green. In Prag trifft Marko Martin den 68er-Romancier Pavel Kohout, der sich wieder illusionslos gegen die autoritäre Politik engagiert. Aus Besuchen, Reisen und Porträts entsteht ein dichtes geistiges Gewebe, in dem neben anderen Václav Havel und Milan Kundera, André Gorz oder Josef Skovrecky, Ahron Appelfeld oder Jürgen Fuchs in der DDR mitwirken.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.03.2020

Recht ausführlich befasst sich Rezensent Cord Aschenbrenner mit den Gründen dafür, warum die westliche Linke immer eine gewisse Distanz zu den Dissidenten der real-sozialistischen Staaten eingenommen habe - und er bekennt für sich selbst, es sei ein Festhalten an der guten Absicht gewesen, aus der der Sozialismus einmal entstanden sei. Interessant findet er jedoch auch die von Jürgen Fuchs in diesem Buch wiedergegebene Ansicht, es sei ein gewisser "Erfahrungsneid" gewesen, den man den verfolgten Dissidenten des Ostens entgegengebracht habe. Der durchgehend von den Lebensgeschichten - besonders auch denen der Frauen - beeindruckte Kritiker verfolgt gespannt auch die von Marko Martin beschriebenen konkreten Beziehungen der Dissidenten untereinander, die - aus verschiedenen Ländern kommend - teils im Exil aufeinander trafen. Ein "gedankenreiches" Buch, das "unerwartete Perspektiven" bietet, urteilt der dankbare Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.01.2020

Rezensent Jens Hacke würdigt die Arbeit sehr, die der Berliner Journalist und Schriftsteller Marko Martin mit seinem Projekt "Dissidentisches Denken" geleistet hat. Er rechnet Martin hoch an, dass sich der Autor mit einer "geschichtsvergessenen" Epoche so intensiv auseinandersetzt und den Leser/innen die Bedeutsamkeit des intellektuellen Widerstands in Zeiten politischer Unruhen deutlich vor Augen führt. Dabei setze der Autor mit "emphatischen" Porträtierungen von Elisabeth Fisher-Spanjer, Melvin Lasky, Edgar Hilsenrath sowie den weiblichen Schriftstellerinnen Anne Ranasinghe (geb. Katz) und Mariana Frenk-Westheim würdige Denkmäler für die widerständigen - teils vergessenen - Intellektuellen. Dem Rezensenten zufolge befreit der Autor historische Widerständigkeit von jeglichem "antiquarischem" Beigeschmack und entfalte "eindringliche Wirkung".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.10.2019

Ilko-Sascha Kowalczuk gefällt das "Buchdenkmal", das Marko Martin den großen Dissidenten von Jürgen Fuchs, Manes Sperber oder Mariana Frenk-Westheim widmet, Menschen, die der Autor zum Teil persönlich traf. Beeindruckend und beglückend findet Kowalczuk diese sich aus sich selbst ergebene Ahnenreihe in biografischen Reportagen nicht zuletzt deshalb, weil sie keine Heldengalerie darstellt, sondern die Begegnung mit Menschen im Kampf gegen das Totalitäre und für Freiheit. Das Besondere daran: Präsent sind für ihn beim Lesen immer auch diejenigen von ihnen, die im Buch nicht vorkommen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2019

Rezensentin Regina Mönch empfiehlt Marko Martins Galerie der Dissidenten. Martins teils auf persönlichen Begegnungen beruhende Porträts von Manes Sperber, Hans Sahl, Horst Bienek, Arthur Koestler u. a. lassen sie erahnen, was dissidentisches Denken bedeutet und was Dissidenten europaweit verbindet: Vernunft, Skepsis und Freiheit im Denken gegen alle Repression. Dass Martin sich dabei nach seiner Neugier richtet, nicht nach dem Ruhm der Dissidenten, gefällt ihr auch. Liebenswert in der Beschreibung und scharfsichtig in der Analyse zeichnet der Band laut Mönch ein anderes Bild des schreckensreichen 20. Jahrhundert, eins der Andersdenker und Zweifler.
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