Vom Nachttisch geräumt

Kriegsschauplatz Erde

Von Arno Widmann
14.05.2019. Momentaufnahmen im immerwährenden Krieg der Elemente: O. Adrian Pfiffner in "Landschaften und Geologie der Schweiz".
Ich liebe Bücher wie diese. Der Haupt-Verlag in Bern scheint auf sie spezialisiert. Dieses heißt "Landschaften und Geologie der Schweiz". Autor ist O. Adrian Pfiffner. Er ist Professor in Bern und beschäftigt sich mit dem Bau und der Entstehung von Gebirgen. Man kann sehen, dass die Formulierung von Pfiffner stammt. Denn er weiß, dass er den Bau nicht aus der Entstehung, sondern die Entstehung aus dem Bau erklärt. Bevor es auf die Wanderung durch die Schweiz geht, gibt es 120 Seiten zu den Gesteinen des Felsuntergrundes und zur Entstehung von Gebirgen. Das ist so etwas wie eine Einführung in die Gesteinskunde. Es gibt Sedimentgesteine, magmatische und metamorphe Gesteine, lerne ich dort. Auch dieses Mal hoffe ich, es nicht wieder zu vergessen.

Pfiffner erklärt es mir auf dreißig Seiten. Hier meine dürftige Zusammenfassung der ersten Kategorie: Sedimentgesteine entstehen durch unterschiedliche Ablagerungsprozesse. Flüsse tragen winzige Steinchen mit sich und legen sie am Boden ab, von Organismen gebildete Knochen oder Schalen fallen nach unten, Minerale lösen sich aus dem Meerwasser. Man liest dann weiter über neun Sedimentgesteine. Allein vier Kalkstein-Fotos. Kalkstein besteht aus dem Mineral Calcit. Also aus Schalentrümmern von Muscheln und Schnecken. "Am Meeresboden leben aber auch Bakterien, Algen und kleinste Einzeller mit Calcit-Skelett. Sterben diese Lebewesen ab, so sammeln sich feinste Partikel als Schlamm am Meeresboden und werden zu einem feinkörnigen Kalk verfestigt." Radiolarit entsteht aus Radiolarien. Das sind Einzeller mit einem Skelett aus Quarz oder Calcit.

Bei der Entstehung von Gebirgen genügen die Fotos nicht mehr. Pfiffner zeigt jetzt auch mittels Diagrammen wie Zusammenschub und Stapelung ein Gebirge entstehen lassen. Er zeigt zum Beispiel das Foto eines Felsens bei Sanetsch und darunter in farbigen Zeichnungen seine Entstehung. Je nachdem in welcher Tiefe die Gesteine entstehen, ändert sich - durch die Hitze - auch ihre Struktur.

An der Südseite der Churfirsten werden die verschiedenen Gesteinsschichten deutlich. Foto: A. Pfiffner

Gebirge sind nicht über einander gestapelte Steine. Sie sind das Resultat - Zwischenergebnis - Jahrmillionen in Anspruch nehmender Prozesse in dem höchst unterschiedliche Gesteine auf einander trafen, in dem es mal vulkanisch laut und heiß herging, mal nichts als Wind und Wasser ihr Werk vollbrachten. Jedes Gestein reagierte und reagiert anders. Weicheres gibt schneller nach. Es entstehen Täler. Der von Pfiffner geschulte Blick liest die Landschaften als Momentaufnahmen im immerwährenden Krieg der Elemente. Nichts falscher als der überwältigende Eindruck der Ewigkeit, den der naive Betrachter angesichts der Alpenlandschaft hat. Wir befinden uns mitten in einem Drama, in dessen Verlauf immer wieder das Unterste zuoberst gekehrt wurde. Wir wissen das alles. Wir haben es gehört und gelernt. Aber es ist etwas anderes, es zu sehen, es den Felswänden, dem Gestein anzusehen. Pfiffner hilft uns dabei.

Die Alpen wachsen weiter. Im Wallis und in Graubünden um mehr als 1,3 Millimeter im Jahr. Das ist nichts? In einer Million Jahren sind es 1,3 Kilometer. Geologisch ist das eine kurze Zeitspanne. Eindrucksvoller für ein Kurzzeitwesen wie den Menschen ist das Foto eines Mannes, der in einem hüfthohen Graben steht. Der entstand, weil die oberste Schicht eines Hanges verrutschte. Der Hang zerriss. So entstanden an manchen Stellen "Brüche" zwischen der obersten und der darunter liegenden Schicht. Hier bewegt sich der Hang mit einer Geschwindigkeit von 25 Zentimetern pro Jahr. Der Krieg geht weiter.

O. Adrian Pfiffner: Landschaften und Geologie der Schweiz, Haupt Verlag, Bern 2019, 360 Seiten, rund 240 Farbfotos und 90 Figuren, 48 Euro
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