Post aus New York

Kopf in den Sand

Je bedrückender die Nachrichten aus dem Irak werden, umso heftiger plaudert das Bush-Team mit Oprah Winfrey. Von Ute Thon
10.11.2003. Auf schlechte Nachrichten aus dem Irak reagiert die Regierung Bush vor allem mit den bewährten Mitteln der Medienpolitk: Restriktion und Plauderei. Doch allmählich entwickeln die amerikanischen Medien wieder Beißreflexe.
Brennende Hubschrauber, blutende GIs, daneben jubelnde Menschen - Bilder einer schrecklichen Niederlage, die sich tief in Amerikas Psyche eingegraben haben. Diesmal ist es nicht Somalia, nicht "Black Hawk Down", sondern ein abgeschossener Transporthelikopter im Irak. Der verlustreichste Angriff seit Kriegsbeginn, ausgeführt am helllichten Tage und in unmittelbarer Nähe einer befestigten Militärbasis, kostete 16 US-Soldaten das Leben und verletzte 20 weitere zum Teil schwer. Der Anschlag bringt die Zahl der amerikanischen Gefallenen auf 375, eine traurige Bilanz, die auch den Strategen im Weißen Haus zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Die US-Regierung weiß um die Macht der Bilder. Der Vietnam-Krieg wurde nicht zuletzt deshalb verloren, weil die amerikanische Öffentlichkeit die Bilder von toten US-Soldaten und verbrannten vietnamesischen Kindern nicht mehr ertragen konnte. Und der Rückzug aus Somalia stand 1993 in dem Augenblick fest, als ein verstümmelter US-Soldaten vor den Augen der Weltöffentlichkeit durch Mogadischus Straßen geschleift wurde.

Deshalb durften Kamerateams diesmal nicht nahe an das Wrack heran, es gab keine Bilder von Toten und Verletzten, Militärsprecher gaben keine Details bekannt. In den US-Medien sah man nur wenige Aufnahmen von dem Hubschrauber-Absturz, BBC hatte ein paar Bilder von verletzten GIs auf Bahren, die in Ramstein aus dem Flugzeug getragen wurden, aber keine Interviews. Das Weiße Haus hat den Truppen im Irak einen Maulkorb verordnet. Auch zu Hause greift Präsident Bush immer häufiger zur Vogel-Strauß-Politik. Auf einer Pressekonferenz am Tag nach dem Hubschrauber-Abschuss erwähnte er das Ereignis kaum, sondern sprach nur allgemein von der "Trauer um jeden Verlust, Ehre für jeden Namen" und fiel dann wieder in die vertraute Litanei vom Kampf gegen die Terroristen, "die wir dort besiegen müssen, damit wir ihnen nicht in unserem eigenen Land begegnen".

Doch die alte Propaganda-Taktik zieht nicht mehr. Die tägliche Meldungen von getöteten US-Soldaten haben die Pro-Bush-Stimmung im Land gedämpft. Aktuelle Umfragen belegen, dass erstmals die Mehrheit der Amerikaner den Einmarsch im Irak für einen Fehler hält. Selbst fahnentreue Kämpfer beginnen zu rebellieren. Das Pentagon-Magazin Stars and Stripes berichtete unlängst über die sinkende Moral der Truppen im Irak. US-Fernsehzuschauer bekamen einen Eindruck davon, als ein Doktor des US-Feldlazaretts in Bagdad, der die Verwundeten des Hubschrauber-Anschlags behandelte, genervt in die Kamera des ABC-Reporters schaute und Präsident Bushs Siegerparole nachäffte: "Die Hauptkampfhandlungen sind vorbei - dass ich nicht lache."

Die Bilder vom verkohlten Hubschrauber-Wrack markieren das mediale Waterloo des Weißen Hauses. Kein noch so geschickt formulierter Pressetext oder flapsig-siegessicherer Kommentar aus Donald Rumsfelds Mund vermag die Tatsache wegzureden, dass sechs Monate nach Kriegsende im Irak Gewalt und Terror regiert. Und das, obwohl Bushs Berater mit allen Mitteln versuchen, die Berichterstattung zu manipulieren - mal durch striktes Bilderverbot, dann wieder durch ein geschicktes Spiel mit Gefälligkeiten. Bereits vor zwei Wochen, meldet die Washington Post, wurde von oberster Stelle angeordnet, dass die Särge der gefallenen US-Soldaten, die beinahe täglich in den USA ankommen, nicht mehr gefilmt werden dürfen.

Auch Interviews bekommt nur, wer der Regierung wohlgesonnen ist und keine unbequemen Fragen stellt. Deshalb sieht man das Bush-Team inzwischen häufiger in lockeren Talkshows als in harten Nachrichtenprogrammen. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice war unlängst zu Gast bei TV-Queen Oprah Winfrey, wo sie statt über die aktuelle Irak-Politik ausführlich über Bushs Essgewohnheiten berichtete. Der medienscheue Präsident gab sich dagegen kürzlich beim regierungsfreundlichen TV-Sender Fox die Ehre. Im Interview mit Reporter Brit Hume erklärte er kurzerhand die Medien für die schlechte Stimmung im Land verantwortlich. Er selbst beziehe seine Informationen nicht aus den viel zu einseitigen Nachrichtenprogrammen, sondern befrage seine Mitarbeiter, "die objektivsten Quellen, die mir sagen, was draußen in der Welt geschieht". Bei aller Ehrerbietung vergaß der Fox-Mann nachzufragen, woher Bushs Berater denn ihre Informationen beziehen.

Beobachter der Washingtoner Bühne bemängeln schon seit längerem, dass die Bush-Regierung sich viel mehr von den Öffentlichkeit abgeschottet als vorangegangene Regierungen. Doch allmählich bröckelt die Fassade perfekter Medieninszenierung. Auch Bushs filmreifer Top-Gun-Auftritt am 1. Mai auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln entwickelt sich zum Stolperstein. Seriöse Kommentatoren kritisierten sofort die eitle Selbstinszenierung. Dennoch gingen die Bilder vom entschlossenen Führer der Welt in verwegener Fliegeruniform um die Welt. Damals glaubten Bushs PR-Strategen noch, ein unschlagbares Motiv für den bevorstehenden Wahlkampf erzeugt zu haben. Inzwischen ist dem Weißen Haus die Angelegenheit und ganz besonders das "Mission Erfüllt"-Plakat, dass die Medienplaner kameragerecht im Hintergrund angebracht hatten, nur noch peinlich. Seit Bush das Ende der Kampfhandlungen erklärte, sind über 200 Soldaten gefallen, mehr als während der offiziellen Kriegsperiode. Die tödliche Bilanz vom letzten Sonntag straft die selbstverliebte Siegerpose noch einmal Lügen. Politische Kommentatoren sprechen bereits vom "Bannergate". Bush behauptet nämlich inzwischen, er habe mit dem Transparent gar nichts zu tun gehabt. Die Matrosen hätten das Schild ohne sein Zutun angebracht- eine Aussage, die die New York Times widerlegt. Trotz hartnäckiger Recherchen habe sich an Bord des Flugzeugträgers kein Verantwortlicher für das Schild finden lassen. Dafür sei aber gesichert, dass bereits Tage vor Bushs großem Auftritt zwischen 75 und 100 Leute von Bushs PR-Team zur Vorbereitung auf dem Schiff eingetroffen seien, darunter auch der ehemalige TV-Produzent Scott Sforza, der für seine telegenen Hintergründe bekannt ist.

Die US-Medien, allzu lange mehr Schoßhündchen als vierte Gewalt, haben ihren Beißreflex wiederentdeckt. "Nach sechs Monaten gleicht der Krieg im Irak noch lange nicht der Situation in Vietnam" schreibt New York Times-Kolumnist Frank Rich. "Doch angesichts der Art und Weise, wie die Regierung versucht, entgegen aller Realität die Nachrichten zu manipulieren, selbst gegen die unwiderrufliche Wirklichkeit flaggenbedeckter Särge, stellt sich die Frage, ob die Zuschauer zu Hause nicht doch den Eindruck gewinnen, dass wir in einer neuen Tet-Offensive gefangen sind." Selbst das Hochglanzmagazin Vanity Fair, das vor kurzem noch die Washingtoner Führungselite von Starfotografin Annie Leibowitz in heldenhafter Pose ablichten ließ, verabreicht denselben Leuten nun mit einer Reihe explosiver Enthüllungsgeschichten schallende Ohrfeigen. In der Oktober-Ausgabe deckt ein akribisch recherchierter Artikel die finanziellen Verflechtungen der Bush-Familie mit Saudi-Arabien und des Bin-Laden-Clans auf, ein anderer dreht sich um die skandalösen Ermittlungsfehler bei der Aufklärung der Anthrax-Anschläge vor zwei Jahren. In der aktuellen Ausgabe berichtet das Magazin nun über eklatante Sicherheitsrisikos in Amerikas Atomwaffenlagern und die Möglichkeit, dass sich Terroristen bombentaugliches Material direkt in den USA besorgen können.

Ein letzter Indikator, dass die Amerikaner die Märchen aus dem Weißen Haus leid sind, zeigt ein Blick auf die aktuelle Bestseller-Liste. Unter den zehn meistverkauften Büchern befinden sich vier Titel, die sich kritisch mit den Lügen aus Washington auseinandersetzen. Auf Platz Eins steht Michael Moores neustes Buch "Dude, Where's my Country". Darin bescheinigt der scharfzüngige Gesellschaftskritiker der Bush-Regierung kriminelle Inkompetenz und ruft zum sofortigen Regierungswechsel auf.