Efeu - Die Kulturrundschau

Absenztheater

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09.04.2014. Pitchfork erliegt dem billigen Charme der Musik von Todd Terje. Die taz sieht ein libanesisches Theaterstück ohne Menschen, nur mit den technischen Spuren ihrer Existenz. In der NZZ erzählt Alain Claude Sulzer von einer Reise nach Finnland, auf der sich niemand für seine Meinung zur Zuwanderungsabstimmung interessierte. FAZ und SZ frönen ihrer Legobegeisterung.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.04.2014 finden Sie hier

Musik

Ganz hin und weg ist Mike Powell von Pitchfork vom Debütalbum des Musikers Todd Terje, der sich mit einiger Spielfreude in den musikalischen Untiefen von Easy Listening, Disco und anderer Gebrauchsmusik verliert: "Die Schönheit seiner Musik ist die Schönheit eines Neonzeichens an einem billigen Motel: Es ist kitschig, aber das weiß es, und der Kitsch erzählt sowohl von Einsamkeit (es ist kalt draußen und Sie fahren seit Stunden) als auch von einer einfachen Lösung (es ist warm drinnen und die Happy Hour endet nie, pinkfarbener Papierschirm gratis)." Auf Youtube kann man in viele Stücke reinhören, hier außerdem ein offizielles Musikvideo:



Außerdem: Für Electronic Beats spricht Max Dax mit Craig Holiday Haynes von Sun Ra's Arkestra. Anlässlich der kürzlichen Wiederveröffentlichung seines Albums "Lavender Country" aus dem Jahr 1973, das als erstes schwules Country-Album gilt, hat sich Patrick Haggerty mit Brandon Stosuy von Pitchfork unterhalten. In der Welt unterhält sich Michael Loesl mit Bela B von den Ärzten über dessen neues Soloalbum, den Geist des Punkrock und über die Art, wie man eine Gitarre richtig hält. Neuesten Studie zufolge klingen Stradivaris im Vergleich nicht unbedingt besser als moderne Modelle, erklärt Harald Eggebrecht in der SZ.

Besprochen werden ein Konzert von Jan Delay (Berliner Zeitung), dessen neues Album die FAZ bespricht, eine CD-Box mit Aufnahmen von Grete Sultan (SZ) und ein Gedenkkonzert zu Ehren von Claudio Abbado (Tagesspiegel).
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Film

Kann ein Lego-Animationsfilm ein Spiegel unserer Zeit sein? Philipp Stadelmaier zeigt sich in der SZ fest davon überzeugt: Er bewegt sich durch den referenz- und anspielungsreichen Lego-Film "wie mit einer großen Suchmaschine, in der alles da ist. Die Gefräßigkeit von Lego entspricht da nicht nur jener des Animationskinos, das immer wieder alte Inhalte recycelt, sondern besonders jener von Google: Die totale Verfügbarkeit aller Inhalte, die der User nach seinem Gusto benutzen kann, das ist es, was Lego mit Google verbindet, die große digitale Utopie unserer Zeit."

Im Standard hat Dominik Kamalzadeh es eine Nummer kleiner: "Tatsächlich ist 'The Lego Movie' ... bei aller Lust an greller, geschwindigkeitstrunkener Unterhaltung auch ein Film mit gehörig viel Selbstironie. Die Legostadt trägt unverkennbar die Züge der letzten verbliebenen Supermacht. Eine konsumgesteuerte Metropole, in der alle denselben schrecklichen Trash-Ohrwurm trällern (Everything is Awesome), überteuerten Kaffee konsumieren und ihr bis ins letzte Detail normiertes Dasein als Ausdruck größtmöglicher Individualität missverstehen."

Außerdem: In der FAZ erzählt Jörg Kaube die Erfolgsgeschichte von Lego. Im Standard spricht der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski mit Bert Rebhandl über seinen neuen Film "Ida", die Geschichte einer Jüdin im Polen der 1960er-Jahre.
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Bühne



Tom Mustroph berichtet für die taz vom Festival Internationaler Neuer Dramatik (F.I.N.D.) in Berlin, wo er unter anderem die Performance "33 rpm and a few seconds" über den Tod des libanesischen Theatermannes Diyaa Yamout gesehen hat. In dieser Meditation über die politischen Dimensionen der neuen Online-Netzwerke bergen allein die präsentierten technischen Geräte die Spuren des toten Protagonisten, zum Beispiel auf der Facebookseite Yamouts, deren friends in Wirklichkeit allerdings deutlich weniger sind als in der Projektion: "Dass möglicherweise nicht wahr ist, was die Facebook-Projektionen suggerieren, nimmt der Performance aber keine Kraft. Das Absenztheater ohne Menschen, nur mit den technischen Spuren ihrer Existenz, ist ein reizvolles Format für darstellende Künstler auf der Suche nach Ausdrucksformen für die digital angereicherte Realität."

Außerdem: Sabine Leucht (taz) erfährt beim Münchner Regiefestival "Radikal jung", wie es sich anfühlt, "als potenzieller Akteur der Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt" aufzutreten.

Besprochen werden Mirko Borschts am Maxim Gorki Theater in Berlin aufgeführte Woyzeck-Inszenierung (ein "in manchem geniekraftmeiernder Abend" mit "großartigen Momenten", meint Dirk Knipphals in der taz), Michael Simons Choreografie "Gelber Klang" in München (Welt) und Christine Umpfenbachs Dokumentartheaterstück "Urteile" über die gesellschaftlichen Dimensionen der NSU-Morde (Zeit).
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Kunst

Besprochen werden die Ausstellung "Farbe für die Republik" im Deutschen Historischen Museum in Berlin (FR), eine Schau mit lateinamerikanischer Gegenwartskunst aus der "Daros Latinamerica Collection" in der Fondation Beyeler in Riehen (NZZ), eine Ausstellung über Pfahlbauern im Bernischen Historischen Museum (NZZ) und die Marsden-Hartley-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin (FAZ).
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Literatur

Der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer fährt nach Finnland und wartet bang, so erzählt er in der NZZ, nach Fragen zur Zuwanderungsabstimmung: soll er sich beschämt zeigen oder trotzig darauf verweisen, dass alle anderen Europäer genauso gewählt hätten, hätten sie wie die Schweiz eine direkte Demokratie. Am Ende fragt ihn aber keiner. In der FAZ porträtiert Wiebke Porombka den neuen Aufbau-Verlagschef Gunnar Cynybulk. Hans Barlach zieht eine Klage gegen Ulla Unseld-Berkéwicz zurück, meldet unter anderem die FAZ. Geburtstagsgrüße an Christoph Hein schicken Tagesspiegel und FAZ.

Besprochen werden ein Band über "Kunst und Dorf" (NZZ), ein Erzählband des kroatischen Autors Roman Simić (NZZ), Hannah Arendts Briefe an die Freunde (NZZ), ein von Christian Schmidt herausgegebener Band über zeitgenössische Geschichtsphilosophie (taz), Martin Kordićs Roman "Wie ich mir das Glück vorstelle" (Zeit - mehr) und Walter Kempowskis "Plankton" (SZ) und Felix Thürlemanns "Mehr als ein Bild - für eine Kunstgeschichte des hyperimage" (FAZ).
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