Post aus New York

New York, 29.09.01: Angriffe auf die Pressefreiheit

Von Ute Thon
01.10.2001. In Amerika geraten Journalisten unter Beschuss, die sich kritisch mit Bushs Reaktion auf den 11. September auseinandersetzen.
Amerikas "Krieg gegen Terrorismus" fordert seine ersten Opfer. Nicht irgendwo in den Bergen Afganistans, sondern mitten in Amerika, in lokalen Zeitungsredaktionen und nationalen Fernsehstudios. Die Welle des Patriotismus, die seit den Terroranschlägen des 11. September über die Vereinigten Staaten schwappt, bedrängt Amerikas vielgepriesene Staatstugend, das Recht auf freie Meinungsäußerung. Letzte Woche wurden zwei Journalisten wegen kritischer Kommentare über den US-Präsidenten aus ihren Jobs gefeuert, ein bekannter Talkmaster musste sich öffentlich entschuldigen und Bushs Pressesprecher drohte den Medien mit dem Maulkorb.

Der bislang prominenteste Fall betrifft Fernseh-Unterhalter Bill Maher, der in seiner ABC-Mitternachtsshow "Politically Incorrect" Präsident Bushs ersten Äußerungen zu dem Attentat widersprach, in dem dieser die Attentäter als "Feiglinge" bezeichnete. "Man kann darüber wohl sagen was man will, aber wer in einem Flugzeug bleibt, dass in ein Gebäude einschlägt, ist nicht feige", bemerkte Maher in seiner Talkrunde, die, wie schon der Titel verrät, auf politische Provokation setzt. "Da würde ich eher sagen, dass wir die Feiglinge sind, wenn wir Cruise Missiles aus 2000 Meilen Entfernung in ein Ziel schießen." Der Kommentar löste eine Welle der Empörung aus. Federal Express und Sears, zwei kommerzielle Sponsoren der Show, kündigten ihre Verträge. In verschiedenen Sendegebieten, darunter auch Washington D.C., wird "Politically Incorrect" seitdem ausgeblendet. Ari Fleischer, der Pressesprecher im Weißen Haus, warnte vorwitzige Journalisten wie Maher, dass sie von nun an "aufpassen müssen, was sie sagen und was sie tun." ABC, verängstigt, dass sie wichtige Werbekunden verlieren und Washingtons Führung verärgern könnten, zwangen Maher ein paar Tage später zu einer öffentlichen Entschuldigung.

Auch Susan Sontag, die in ihrem kritischen Kommentar im New Yorker ebenfalls unter anderem Anstoß daran genommen hat, dass Bush die Terroristen als "Feiglinge" beschrieben hatte, steht derzeit unter heftigem Beschuss. Der Artikel provozierte über 100 Leserbriefe. Kolumnist Charles Krauthammer nannte die Schriftstellerin in der Washington Post "moralisch abgestumpft", und John Podhoretz beschimpfte sie in der New York Post als typische Vertreterin der "Amerika-Hass-Truppe". Immerhin steht die New Yorker-Redaktion hinter ihr. Chefredakteur David Remnick warnte seine Kollegen vor zuviel patriotischer Gleichschaltung. "Soweit ich das sehen kann, steht Amerikas Kultur unter Beschuss, und ein Teil dieser Kultur ist unsere Streitkultur", sagte er in der New York Times.

Andere Journalisten konnten nicht mit so viel Solidarität rechnen. In Grants Pass, einer Kleinstadt in Oregon, wurde der Kolumnist des Daily Courier gefeuert, weil er in einem Kommentar Bushs Flucht nach Nebraska unmittelbar nach den Terroranschlägen als "türmen" bezeichnet hatte. Und der Herausgeber der Texas City Sun kündigte einem Redakteur fristlos wegen eines ähnlich gelagerten Meinungsstücks, in dem der Autor schrieb, der Präsident sei herumgeflogen "wie ein verängstigtes Kind, dass sich nach einem Alptraum in Mutters Schoß verkriecht" - ein Eindruck, den in den ersten Tagen nach den Attentaten viele Amerikaner privat bestätigten.

Dass das halbtägige Abtauchen des Staatschefs angesichts einer nationalen Krise Präsident Bush Minuspunkte einbringen würde, beunruhigte seine Berater sogar so sehr, dass sie der Öffentlichkeit eine Lüge auftischten, die die Flucht-Entscheidung plausibler machen sollte. In ersten Meldungen behaupteten die Pressesprecher, sie hätten plausible Beweise dafür, dass das Präsidentenflugzeug Airforce One auf der Liste der Angriffsziele der Attentäter stand. Eine abstruse Behauptung, die zunächst in allen Schlagzeilen war, nach hartnäckigem Nachfragen einiger Journalisten von Bushs Presseteam später stillschweigend wieder fallengelassen wurde.

"Nicht nur die Wahrheit ist ein Opfer des Krieges. Auch der rationale Gedanke bleibt auf der Stecke", klagt denn auch Salon-Chefredakteur David Talbot. "Die Rufe nach herdenhafter Konformität werden zahlreicher. Die selbsternannten Hüter aller politischen Richtungen haben begonnen, an unseren Fersen zu japsen, und versuchen uns alle in dieselbe Richtung zu drängen." Als Beispiel für den neuen Trend zur Konformität sieht Talbot auch die Entscheidung von vier großen Medienorganen, ihre Ergebnisse zur Prüfung des umstrittenen Wahlergebnisses in Florida, das Bush zum Wahlsieg verhalf, nicht zu veröffentlichen. New York Times, Washington Post, Wall Street Journal und CNN hatten gemeinsam unabhängige Gutachter mit der Nachzählung der Stimmen beauftragt. Das Ergebnis enthüllt offenbar eine Schlappe für Bush. Man wolle jetzt "keine parteipolitischen Spannungen erzeugen", begründet die New York Times die Zurückhaltung der Informationen, und überhaupt sei das ganze jetzt "unglaublich irrelevant".

Verfassungsschützer sehen nicht nur die Pressefreiheit, sondern Amerikas gesamte Bürgerrechte in Gefahr. Keine 24 Stunden nach dem Attentat verabschiedete die US-Regierung bereits neue Anti-Terror-Gesetze, die der Polizei große Freiräume bei der Ermittlung gegen mögliche Terroristen einräumen, darunter auch grünes Licht für pauschale Lauschangriffe und Überwachung des Internetverkehrs, Maßnahmen die bislang in der Presse kaum kritisch reflektiert werden. Die Village Voice befürchtet, dass dies sogar nur der Anfang ist. Wenn es erst einmal zu militärischen Einsätzen kommt, gibt es höchstwahrscheinlich ein totales "Media Blackout", schreibt Cynthia Cotts. Schon während des Golf-Kriegs hätten die meisten US-Medien die von der US-Regierung auferlegte Zensur willenlos hingenommen (Harper's Magazine, The Nation und die Voice klagten 1991 erfolglos gegen die Presserestriktionen). Der aktuelle Konflikt könnte sich als "Krieg der Freelancer" erweisen, sagt Harper's-Chefredakteur John MacArthur. "Dies könnte der erste Krieg werden, in dem ein amerikanischer Reporter von einem Green Beret [eine US-Elite-Einheit, Anm.d.R.] getötet wird, weil er im Weg ist."