Außer Atem: Das Berlinale Blog

Selig durchs Kanonenrohr: "Superpower" von Sean Penn (Spezial) und "W Ukrainie" von Piotr Pawlus und Tomasz Wolski (Forum)

Von Thekla Dannenberg
20.02.2023.

Man braucht sich nur einmal die Statements anzuhören, mit denen sich die viele RegisseurInnen und SchauspielerInnen auf den Pressekonferenzen um eine Position zum Ukraine-Krieg herumwinden, um Sean Penns aufrichtiges Engagement zu schätzen zu wissen. Die meisten belassen es bei einem "Ich bin immer für Frieden." Sean Penn Dokumentation "Superpower" ist ein honoriges Unterfangen, die Lauterkeit des Aktivisten wiegt die Eitelkeit des Schauspielstars auf, der häufiger im Bild ist als alle Ukrainer zusammen. Penn befand sich im Februar 2022 in Kiew, er erlebt den Beginn des Krieges um vier Uhr morgens mitten im Stadtzentrum, als er mit seinem Co-Regisseur Aaron Kaufman noch immer auch ein Interview mit Präsident Wolodimir Selenski wartet. Das Entsetzen, die Erschütterung, die Ergriffenheit, die Penn und Kaufman erleben, überträgt sich in diesem Moment durchaus.

Journalisten nennen es Reporterglück, was die beiden hatten, aber im Grunde hatten sie Filmemacherpech. Denn eigentlich waren sie dabei, den - zu jener Zeit - vergessenen Krieg im Donbass zu dokumentieren, und dies wäre bestimmt der interessantere Film geworden. Nun irren Penn und Kaufmann ein wenig konzeptlos durch die Ukraine, filmen zerstörte Häuser, interviewen Selenski in seinem Bunker und im Garten, und beschwören den historischen Augenblick, Mut und Selbsthauptungswillen der Ukraine. Selten jedoch weisen die Bilder über das hinaus, was wir seit einem Jahr Tag für Tag in den Fernsehnachrichten sehen, es ist nur ein bisschen hektischer zusammengeschnitten. Am spannendsten sind die Gespräche mit Soldaten an der Front. Das Branchenblatt Variety spottete böse: "Sean Penn went to war, and a movie broke out."

Die Frage, die Sean Penn vor allem umtreibt ist, ob Selenski für diesen Moment geboren wurde. Eine schräge Frage, aber sie bringt ihn immerhin zu der Überlegung, ob sich Selenskis Aufstieg zum Kriegspräsidenten nicht anders als in der herkömmlichen Version erzählen lasse: Demnach wäre er nicht nach seiner Fernsehserie "Diener des Volkes" als Marionette eines Oligarchen Präsident geworden, von dem er sich dann allmählich emanzipierte, sondern er wäre Fernsehpräsident und Oligarchen-Freund geworden, um Präsident werden zu können.


Der interessantere Ukrainefilm kommt von den beiden polnischen Regisseuren Piotr Pawlus und Tomasz Wolski. Die Bilder, die sie uns in ihrer Dokumentation "W Ukrainie" zeigen, kommen einem nur auf den ersten Blick vertraut vor: Die Straße durch einen Kiewer Vorort, die zerstörte Brücke, die zerbombten Häuser rufen sofort Erinnerungen an jene Kriegsszenen wach, die sich eingebrannt haben. Die Verbrechen von Butscha, die Kämpfe um Mariupol, der Raketenbeschuss von Kramatorsk, die Schlacht am Dnepro. Aber die Bilder sind uns nicht bekannt, denn Pawlus und Wolski filmen, wenn sich der Rauch verzogen hat und die internationalen Presseteams wieder abgereist sind.

Die zerstörten Panzer, die ausgebrannt im Straßengraben liegen, werden nach Abzug der Truppen zur Attraktion. Junge Frauen klettern auf die Geschütztürme und lassen sich fotografieren, kleine Jungen starren selig durchs Kanonenrohr, auch wenn der Vater ihnen sagt, es sei ein russischer Panzer gewesen. In den Wipfeln der riesigen Nadelbäume rauscht sanft der Wind, Vögel zwitschern und Grillen zirpen. Eine Idylle inmitten des Krieges. Sofort wird einem bewusst, was journalistische Bilder nicht transportieren: Vielschichtigkeit. In Fernsehberichten sagen die Bilder meist genau dasselbe wie der Text, die Botschaft ist vorgegeben. Bei Pawlus und Wolski stehen sie für sich.


Die beiden Filmemacher haben keine Agenda, sie wollen nichts aufdecken, keine Gegenerzählung aufmachen und keinen Kontrapunkt setzen. Sie reisten fast ein Jahr lang durch das Land vom Westen in Richtung Osten und dokumentieren den Alltag des Krieges: Kinder schaukeln auf Spielplätzen, während hinter ihnen die Fassaden der zerbombten Häuser mit Spanplatten abgedeckt werden. Minensucherinnen streifen mit ihren Detektoren durch die Parks, Autofahrer werden an den Checkpoints aufgefordert, das Wort Palyanica auszusprechen, was Russen offenbar nicht können. Jugendliche errichten ihre eigenen Checkpoints, um Süßigkeiten abzustauben. Nachbarn streiten. Die Rudel streunender Hunde werden immer größer. Der Winter bringt seine eigene Härte mit sich, Kälte und Dunkelheit. Gegen die Finsternis helfen Taschenlampen kaum, wer keinen Generator hat, ist aufgeschmissen.

Wenn Raketen einschlagen, suchen die Menschen Zuflucht in der U-Bahn: Wer psychologische Hilfe braucht, soll zum runden Tisch kommen. Wer Essen braucht, kann sich anstellen. Es gibt Grütze mit Soße. Wie betäubt ordnen die Menschen ihre Matratzenlager, streichen die Decken glatt und inspizieren ihre Habseligkeiten. Andere Stellen verteilen Borschtsch und Windeln. Ein wenig bizarr ist, wie Nestlé sein Schokopulver unter die Kinder bringen lässt. Der Konzern kann es einfach nicht lassen.

Immer wieder versuchen die beiden Filmemacher, an die Front zu kommen. Dann sitzen sie mit einer Einheit im Unterholz und die Geschosse pfeifen über sie hinweg. Nach einem Einschlag schätzen die Soldaten die Entfernung: 150 bis 200 Meter. Höflich fragen sie die Frau in der Equipe: "Are you alright, Ma'am?" Später bedanken sie sich auf Polnisch.

Pawlus und Wolski eröffnen keine neue Sicht auf den Krieg. Sie zeigen, was sie sehen. Das Besondere ist, dass sie da sind und sich Zeit nehmen. Auch wenn sie gegen Ende hin ihre Bilder auf den Effekt hin montieren und etwa den ausgebrannten Plattenbauten die Anklage eingeschrieben ist, so zeigen sie mit ihrem Film doch, wie Bilder durch Empathie tiefgründiger werden, vielleicht sogar wahrer.

Thekla Dannenberg

Superpower. Regie: Sean Penn, Aaron Kaufman. Dokumentarfilm, USA 2022, 115 Minuten. Alle Vorführtermine.

W Ukrainie - In Ukraine. Regie: Piotr Pawlus, Tomasz Wolski, Dokumentarfilm, Polen / Deutschland 2023, 82 Minuten. Alle Vorführtermine.