Jean-Philippe Toussaint

Fliehen

Roman
Cover: Fliehen
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007
ISBN 9783627001339
Gebunden, 169 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Joachim Unseld. Ich hatte schon immer die irgendwie unbewußte Ahnung, dass meine Angst vor dem Telefon mit dem Tod zusammenhing, vielleicht mit Sex und Tod, aber niemals vor dieser Nacht sollte ich eine derart unerbittliche Bestätigung dafür bekommen, dass es tatsächlich eine geheime Alchemie gibt, die das Telefon mit dem Tod verbindet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.07.2007

Rezensent Harry Nutt ist beeindruckt von der "spielerischen Leichtigkeit" ebenso wie von der "sprachlichen Experimentierfreude", mit der der Autor Jean-Philippe Toussaint seine oft ein bisschen "surreal" wirkenden Geschichten schreibt. Touissant schaffe sehr einprägsame Miniaturen, freut sich der Rezensent, wobei er einräumt, dass die Einzelbilder nachhaltiger seien als die Erzählung. Bisweilen hat er sogar das Gefühl, den "sinngebenden" Moment verpasst zu haben. Mit diesem Roman beweist Toussaint Nutts Meinung nach vor allem einen "aufmerksamen Blick für die Tigerhaftigkeit der jungen chinesischen Ökonomie". Allerdings laufe Toussaints "erzählerische Genauigkeit" dabei Gefahr, "von einem temporeichen, farbintensiven Surrealismus geschluckt zu werden".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.05.2007

Sehr beeindruckt zeigt sich die Rezensentin Beate Tröger von Jean-Philippe Toussaints neuem Roman "Fliehen". Faszinierend findet sie schon den raffinierten Bezug auf den Vorgänger "Sich lieben", dessen Vorgeschichte Toussaint hier entfaltet, und zwar in Motivvariationen. Wieder reist der namenlose Ich-Erzähler nach Asien - diesmal nach China, nicht Japan. Eigentlich ist die Beziehung zu Marie, die in Europa bleibt, beendet, der Erzähler stürzt sich gar in eine Affäre mit der Chinesin Li Qi, die allerdings dank eines Handy-Klingelns nicht zum Vollzug kommt. Sehr dicht findet Tröger diesen Text, der nicht nur Verweise auf den Vorgänger, sondern auch auf europäische Höhenkamm-Literatur von Kafka bis Musil souverän einwebt. Atemberaubend scheint ihr auch, auf wie vielen Ebenen Toussaint das Titelmotiv der Flucht im Text wiederholt und wie er sogar auf der Ebene der "langen, weit ausgreifenden Sätze" eine ganz eigene Atemlosigkeit erzeugt. Auch das vermeintliche Happy-End nimmt die Rezensentin gegen jeden Kitsch-Vorwurf in Schutz und zeigt sich so restlos glücklich mit diesem Roman.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.05.2007

Schier berauscht wirkt Rezensentin Martina Meister von Jean-Philippe Toussaints neuem Roman, dessen Stimmungen und Wirklichkeitsbilder sie eigenem Bekunden zufolge fasziniert und gefesselt haben. Der Roman ist aus ihrer Sicht inhaltlich entweder vor oder nach den Ereignissen des letzten Buchs "Sich lieben" angesiedelt. Jedenfalls sind die Protagonisten dieselben. Der Roman wirkt auf sie "wie ein kurzer Film", der sie in eine seltsame Reise hineingezogen hat. Die Rezensentin sieht das Neonkunstlicht der großen Städte Shanghai und Peking zwischen den Zeilen hindurchschimmern, spürt die "transzendentale Obdachlosigkeit" der Figuren im Zeitalter der Globalisierung, in der auch die Liebe den Einzelnen nicht mehr wirklich erden kann. Sie spürt aber auch sehr genau den Einbruch des Unheimlichen, Fremden als etwas sehr gegenwärtig Bedrohendes. Auch Joachim Unselds Übersetzung wird sehr gelobt, der es aus Meisters Sicht gelingt, Toussaints "rhythmischen Stil" samt seiner "ungeheuren Sogkraft" ins Deutsche zu bringen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.04.2007

Nicht allein aus "hocherotischen" Aufladungen ziehe dieser Roman seine Energie, auch aus Spannungsbögen beispielsweise zwischen dem Louvre und der Toilette des Nachtzugs Schanghai-Peking. Hier telefoniere Marie und erzähle vom Tod ihres Vaters, während dort ihr Freund mit einer Chinesin namens Li Qi beschäftigt sei. Auch sonst zeige sich Jean-Philippe Toussaint als Liebhaber "krasser" oder auch schlichtweg "großartiger" Bilder, wenn bei der Beerdigung des Vaters zum Beispiel Marie den Sarg zu Pferde begleite. Und noch großartiger sei dann der unerhörte erzähltechnische Kunstgriff, wenn der Held und Ich-Erzähler sich selbst zum Verschwinden bringe. All das, steigert der Rezensent Martin Krumbholz seine Hymne, setze Toussaint mit gleichsam chinesischer "Diskretion" ins Werk, so dass man als Leser schon selbst eins und eins zusammenzählen müsse, um über die geheimen Verstrickungen im Bilde zu bleiben. Ob nun ein "Meisterwerk" oder ein Werk voller "Wunder" vermag der entrückte Rezensent nicht zu entscheiden, jedenfalls begegne man als Leser einem Füllhorn aus "Anmut, Melancholie und Schönheit". Und dank gelungener Übertragung durch Joachim Unseld sei von all dem nichts verloren gegangen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.03.2007

Mit Bedauern muss Maja Rettig mit ansehen, wie Jean-Philippe Toussaint seinen mit "absurden Kurzromanen" erschriebenen Bonus verspielt. "Nicht unraffiniert" findet sie, wie transitorisch der Autor mit Zeit und Raum in diesem Roman umgeht, doch das Dunkle, Exotische fremder Städte, mit dem er sich nun befasst, hat er ihrer Meinung nicht im Griff. Kitsch wird daraus. Rettig stöhnt über hastig und angestrengt kompilierte Motive und Metaphern und einen schwer pathetischen Text: "Leider, leider ist die Leichtigkeit dahin."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.03.2007

Die zeitgenössische Literatur entdeckt das Handy, konstatiert Hans-Peter Kunisch. Das Mobiltelefon stellt in Jean-Philippe Toussaints jüngstem Roman, der im französischen Original bereits 2005 erschienen ist, die Fessel dar, die die Protagonisten bindet und gleichzeitig die Handlung vorantreibt, erklärt der Rezensent. Es geht um einen namenlosen Ich-Erzähler, der sich auf einer Geschäftsreise in China verliebt, um dann von seiner Verflossenen nach Frankreich zurückgerufen zu werden, weil ihr Vater ertrunken ist, lässt sich die Geschichte knapp zusammenfassen. Insbesondere die Mischung aus Tempo und Statik, die sich durch Toussaints speziellen Beschreibungsstil ergibt, hat es dem Rezensenten angetan und so ist er auch bereit, dem belgischen Autor das mitunter überbordende Pathos zu verzeihen. Also trotz der Symbolik, die Kunisch manchmal etwas verdrießt, ein durch die temporeiche und "kunstvolle" Erzählweise gelungener und kurzweiliger Roman, wie er lobt.
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