Spätaffäre

Terror der Transparenz

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30.04.2014. War die Verhaftung des mexikanischen Drogenbarons El Chapo ein abgekartetes Spiel, fragt der New Yorker. Wollen wir im Glashaus leben, fragt eine Expertenrunde im SWR. Alexander Kluge rekapituliert den 30. April 1945. Der WDR erzählt die Frühgeschichte des Techno. Und die New York Review of Books versteht Stefan Zweig - als Gegensatz zu Thomas Mann.

Für die Augen

"30. April 1945 - Der Tag, an dem sich Hitler erschoss und die Westbindung der Deutschen begann" lautet der Titel des neuen Buchs von Alexander Kluge. Dazu passend bringt dctp.tv ein 90minütiges Doppelprogramm "mit Historikern und Experten wie Prof. Dr. Bernd Wegner, Prof. Dr. Bernhard R. Kröner, Dr. John Zimmermann, dem Forensiker Mark Benecke und vielen anderen. Mit Bruno Ganz, Helge Schneider und Peter Berling als Darstellern. Mit Hitlers Todeshoroskop, einem Bericht seines letzten Leibwächters und den Erlebnissen des letzten Gärtners auf dem Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, sowie mit zum Teil unveröffentlichtem Filmmaterial." Hier kann man die Sendung online sehen (90 Minuten).

So vergleichsweise schmal seine Filmografie als Regisseur, so breit sind die Bilder, die er schuf. Heute vor 25 Jahren starb Sergio Leone und hinterließ Meisterwerke wie "Spiel mir das Lied vom Tod" und "Es war einmal in Amerika". In Giulio Reales Dokumentation "Sergio Leone: The Way I See Things" aus dem Jahr 2006 kommen zahlreiche Freunde und Weggefährten wie Ennio Morricone und Giuliano Montaldo zu Wort.



Und noch ein kleiner Tribut an wundervollen Bob Hoskins, der gestern an einer Lungenentzündung starb. Hier eine Szene aus Neil Jordans "Mona Lisa" von 1986), in der man quasi den ganzen Schauspieler bewundern kann: mit einer physischen Präsenz, wie sie höchstens noch Robert de Niro und Robert Mitchum hatten:


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Für die Ohren

"Wollen wir im Glashaus leben", fragt sich beim SWR eine Gesprächsrunde bestehend aus Peter von Becker (Feuilletonchef des Tagesspiegel), Jochen Hörisch (Literatur- und Medienwissenschaftler) und Manfred Schneider (Literaturwissenschaftler) und erörtert dabei auch die Frage nach dem "Terror der Transparenz". Hier kann man das Gespräch online anhören. (44 Minuten)

1989 ging Techno durch die Decke - insbesondere in Deutschland. In einem Feature für den WDR geht Maike Wüllner der Frage auf den Grund, warum die neue Musikbewegung gerade im Wende-Deutschland so einschlagen konnte, und legt dabei die Frühgeschichte von Techno in Deutschland in den Trümmern des alten Welt-Berlins frei. Hier kann man das Feature anhören. (53 Minuten)
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Für Sinn und Verstand

In der New York Review of Books liest die Historikerin Anka Muhlstein bewegt Georges Prochniks Buch "The Impossible Exile" über Stefan Zweigs letzten Jahre. Und sie versteht, wie den Autor trotz anhaltenden Erfolgs der Mut verließ, bis er sich 1942 zusammen mit seiner Frau das Leben nahm: "Ein Weg, Stefan Zweig zu verstehen, ist der Gegensatz zu Thomas Mann, der ungefähr zur selben Zeit in die USA kam und dabei kraftvoll erklärte, dass er das bessere Deutschland repräsentiere: 'Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir. Ich lebe im Kontakt mit der Welt und ich betrachte mich selbst nicht als gefallenen Menschen.' Zweig fehlte es an derlei Selbstvertrauen, er beklagte, dass sich mit der Emigration auch das eigene Gravitationszentrum verlagert.' Der Hauptunterschied zwischen beiden Männern bestand darin, dass Mann zum deutschen Großbürgertum gehörte, seine Wurzeln reichten über Generationen hinweg tief in die Geschichte des Landes, während Zweig, ein Jude, der den Zionismus ablehnte, vor allem eines schätzte: 'Den Wert absoluter Freiheit, unter den Nationen zu wählen, sich selbst überall als Gast zu fühlen'. Prochnik besitzt ein genaues Gespür dafür, wie schmerzlich sich die Selbstwahrnehmung von Menschen im Exil ändert, er zeigt, wie der elegante Wiener Autor - berühmt, frei zu gehen, wohin er möchte, so wenig an jüdische Tradition gebunden, dass seine Mutter ihn fälschlich verdächtigte, konvertiert zu sein - verzweifelt, als er sich selbst zurückversetzt fand in die Rolle des Wandernden Juden."

Für den New Yorker folgt Patrick Radden Keefe dem Haken schlagenden Boss des mexikanischen Sinaloa-Kartells, Joaquín Guzmán Loera, bekannt als El Chapo, bis zu dessen Verhaftung am 22. Februar 2014. Aber was heißt hier 'Verhaftung': "Einige behaupten, Guzmán habe das alles so gewollt. Er ahnte, dass seine Zeit gekommen war und entschied sich für den stillen Ruhestand hinter Gittern. Ein Nebenprodukt der Korruption in Mexiko ist der Zynismus, den jede offizielle, von der Regierung ausgegebene Geschichte sogleich hervorruft. In ihrem Buch 'Narcoland' behauptet die mutige Journalistin Anabel Hernández, Guzmáns Einfluss sei so stark und das politische System Mexikos so verrottet gewesen, dass die ganze Chapo-Geschichte eine einzige Farce sein könnte. Guzmán wurde in Puente Grande inhaftiert, doch in Wirklichkeit war er der Chef dort, seine Flucht eine abgekartete Sache zwischen ihm und Vicente Fox persönlich (Fox hat das heftig bestritten). Guzmán war ein Jahr auf der Flucht, aber jeder wusste, wo er sich aufhielt, und die Behörden logen, als sie behaupteten, sie könnten ihn nicht erwischen. Hernández' Buch verkaufte sich mehr als 100.000 Mal in Mexiko. Mit ihrem Hang zum Konspirativen und ihrem bitter-wissenden Ton traf sie ins Schwarze. Keine Überraschung also, wenn viele meinen, dass auch Guzmáns Ergreifung in Mazatlán nichts als ein theatralischer Akt war, vom Drogenkönig selbst inszeniert."