Elfriede Jelinek

Angabe der Person

Cover: Angabe der Person
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022
ISBN 9783498003180
Gebunden, 192 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Die "Lebensbilanz" der Literatur-Nobelpreisträgerin - und eine Geschichte über Schuld und Schulden. Ausgelöst durch ein steuerliches Ermittlungsverfahren blickt Jelinek zurück. Literarisch verarbeitet sie die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie. In amtliche Angaben schieben sich persönliche Berichte über das Schicksal von Verwandten, die während der Nazizeit aus Österreich fliehen mussten, die deportiert und ermordet wurden. Zugleich führt der private Finanzfall auch zum Nachdenken über globale Kapitalströme bis in die Gegenwart. Wie sehr profitieren Staaten bis heute von enteignetem jüdischem Vermögen? Wie viele NS-Größen wurden nach 1945 entschädigt? So autobiografisch wie allgemeingültig, rechnet Jelinek nicht nur mit sich, sondern auch mit einer Gesellschaft ab, die sich eher für die Täter als für ihre Opfer interessiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2022

Wie Lerke von Saalfeld die sprachliche Qualität der Philippika von Elfriede Jelinek einschätzt, bleibt in ihrer Rezension ein wenig im Unklaren. Mit vielen Zitaten umrandet sie Jelineks Monolog, der es bereits auf eine Theaterbühne geschafft hat. Die Frage der Österreicherin nach ihrem "Ich" anlässlich einer Steuerprüfung, erinnert von Saalfeld an die Rede, die Jelinek zur Verleihung des Literaturnobelpreises 2004 hielt und ihren Zwiespalt zwischen Aggression und Verletzlichkeit über die Welt zwischen den Polen Wirtschaft und Geschichte offenbart habe. Weit wichtiger für diesen Text ist für die Rezenzentin der Umstand, dass Jelineks Mann im September dieses Jahres gestorben ist. So gelesen, könnte von Saalfelds Rezension verstanden werden, ist Jelineks aktuelle Veröffentlichung eine weitere, schmerzliche Trauerarbeit.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26.11.2022

Rezensentin Hanna Engelmeier liest Elfriede Jelineks neues Buch als eine Art "Machtdemonstration" gegen das Münchner Finanzamt, das die Schriftstellerin vor kurzem der Steuerhinterziehung bezichtigen wollte und darüber private E-Mails und andere Schriftstücke von Jelinek in Beschlag nahm. Gegen diese Fixierung und Verwertbarkeit von Geschriebenem richtet sich Jelineks gesamtes Schaffen, meint Engelmeier, nicht zuletzt ihr beträchtlicher Output, bei dem jedes neue Werk das vorherige vergessen lassen möchte - und auch ihr neues Buch, das man als Monolog, Pamphlet oder Roman lesen könne, sträubt sich für Engelmeier gegen eine zu sehr sich auf (biografische) Fakten fixierende Lektüre: Eher empfiehlt sie einen "scrollenden" oder "browsenden" Leseblick, der mitrollt durch Jelineks Reflexionen auf ihren Großvater, VW, den Streit mit dem Finanzamt, ihr eigenes Leseverfahren. Was die klangvolle "Textfläche", die für Engelmeier trotzdem nicht so viel mit Musik zu tun hat, wie oft behauptet wird, durchziehe, ist eine Wendung gegen "institutionell ausgeübte Gewalt", in deren Schatten jede einzelne Biografie eigentlich "mickrig" scheine. Für die Kritikerin ein Text, der nichts wesentlich Neues über Jelinek liefere, aber eine "Selbstbehauptung" ihrer Sprache.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.11.2022

Gleich zweifach gibt es Neues von Elfriede Jelinek zu entdecken, verrät Dirk Knipphals, einen Dokumentarfilm wie auch ein neues Buch. Den Film "Die Sprache von der Leine lassen" versteht er als eine Collage, die von Jelineks schwierigem Elternhaus bis zum Nobelpreis 2004 wichtige Momente im (schriftstellerischen) Leben einer Ikone zeigt. Durch die Untermalung des Bewegtbildes mit Texten der Autorin werde auch ihre politische Haltung und ihr fortdauerndes Intervenieren deutlich. Feminismus und Nationalsozialismus seien da nur zwei der Themen, die von verschiedenen versierten Sprecher*innen gelesen würden, was der Rezensent ausdrücklich lobt. Etwas ausgereizt findet er hingegen den "Nestbeschmutzer-Vorwurf" an die Nobelpreisträgerin, der auch zur Sprache komme. Auch das neue Buch "Angabe der Person" sollte man wie einen Dokumentarfilm lesen, schlägt Knipphals vor, Kontexte müsse man sich selbst erschließen. Diese Spurensuche im Collagierten habe ihm aber durchaus Freude bereitet, erfahren wir. Im freien Assoziieren würden Themen von Steuerbetrug, Corona bis hin zu Vernichtungslagern gestreift, mal ernst, mal bissig-humorvoll, aber immer mit der für Jelinek typisch besonderen, auffallenden Sprache. Am besten laut lesen, meint der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.11.2022

Rezensentin Elke Schmitter würde - auch wenn ihre Kritik in der Zeit-Beilage mit Literaturempfehlungen zu Weihnachten erscheint - Elfriede Jelineks neueste Suada wohl niemandem unter den Christbaum legen. Längst hat sich die Nobelpreisträgerin von der klassischen Erzählung verabschiedet, stattdessen schafft sie "Textoberflächen", konstatiert die Kritikerin, ganz dankbar, dass ihr zumindest der Klappentext verrät, worum es hier eigentlich geht: Das deutsche Finanzamt hatte ein steuerliches Ermittlungsverfahren gegen die österreichische Autorin eingeleitet, dabei auch private Dokumente durchwühlt - Anlass genug für die Jelinek, auf ihr Leben zurückzublicken. Mit viel Tempo und wenig Überblick verhandelt sie Themen wie Covid, den Fall Boris Becker und den Fall Flick, Geldwäsche und "Heideggersche Heimatseligkeit", Vergewaltigungen und den Tannhäuser - und nicht zuletzt den jüdischen Großvater. Nach so viel "verwirrter Trostlosigkeit" ist die Kritikerin ganz schön erschöpft, immerhin erfährt sie ein paar biografische Details über Jelinek.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 16.11.2022

Rezensent Günter Kaindlstorfer hört gern zu, wenn die "Jelinek jelinekelt", auch, wenn es mitunter recht mühsam werden kann. Ihr aktueller Wortschwall wendet sich gegen das deutsche Finanzamt, das eine Steuerfahndung in Jelineks Münchner Zweitwohnsitz veranlasste, alles auf den Kopf stellte und eine gedemütigte Dichterin zurückließ. Was genau Jelinek vorgeworfen wurde, kann der Kritiker nicht ausmachen, so viel aber ist sicher: Die Österreicherin fühlt sich zu Unrecht verfolgt. Und so schimpft und klagt sie ohne Luft zu holen über Beamte und Behörden, schweift ab zu Wirecard und Cum-Ex-Skandal, Panama-Papers und Brexit und landet schließlich beim Umgang der EU mit Flüchtlingen oder dem Fortbestand "nationalsozialistischer Mentalitäten". Das hat jelinektypischen Drive und Takt, Witz und Musikalität, versichert der Rezensent, der aber vor allem jene Passagen dieses Assoziationsstroms hervorhebt, in denen er Dinge erfährt, die er bisher nicht über die Nobelpreisträgerin wusste: So liest Kaindlstorfer etwa, dass Jelinek mit dem Wiener Revolutionär Herrmann "Herschel" Jellinek verwandt ist, der nach dem Wiener Oktoberaufstand 1848 hingerichtet wurde.