Helmut Lethen

Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug

Erinnerungen
Cover: Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783737100885
Gebunden, 384 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Die Angst vor den Bomben, eine Kindheit im Krieg - damit beginnen Helmut Lethens Erinnerungen, die durch mehr als sieben Jahrzehnte bundesdeutscher Geschichte führen: Der Schock, als er mit achtzehn Jahren in Alain Resnais' Film "Nacht und Nebel" zum ersten Mal mit dem Holocaust konfrontiert ist. Das Gefühl der Befreiung, als er vom biederen Bonn in das viel liberalere Amsterdam zieht, um dort zu studieren. Schließlich das von Aufruhr und Protest aufgewühlte Berlin: Hier demonstriert Lethen 1967 gegen den Besuch des Schahs, und bald agitiert er als Sprecher der Kampagne für ein Kinderkrankenhaus in Kreuzberg an vorderster Front. Die maoistische K-Gruppe schließt Lethen wegen "Versöhnlertums" aus, dennoch trifft ihn der "Radikalenerlass", das Berufsverbot in Deutschland - das sich als unfreiwillige Chance erweist: In den Niederlanden schreibt Lethen die "Verhaltenslehren der Kälte", in denen er das Verhältnis von Geist und Politik im 20. Jahrhundert auf ganz neue und bis heute aktuelle Weise ausgeleuchtet hat.Helmut Lethen berichtet in seiner Autobiographie, was ihn geprägt hat: von politischen und denkerischen Experimenten, von Weggefährten sowie Ideengebern wie Adorno und Enzensberger. Ein Entwicklungsroman der Bundesrepublik - wie ihn nur noch wenige Intellektuelle zu erzählen vermögen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.01.2021

Rezensent Katharina Teutsch liest Helmut Lethens intellektuelle Autobiografie als Bericht aus der Kälte. Lethens Rekonstruktion seines Denkens aus dem Geist der KPD, den Schriften Carl Schmitts, Ernst Jüngers und Adornos und der grauen Parteiarbeit jagt Teutsch Kälteschauer über die Haut, weil es in diesem Rechenschaftsbericht vor allem um männliche Tugenden wie Selbstkontrolle, Kampf und Gewinnen geht, wie sie feststellt. Als Blick in die (Männer-)Seele einer verunsicherten Generation scheint ihr das Buch allerdings höchst aufschlussreich - für Ideenhistoriker wie für politisch Interessierte.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 28.11.2020

Rezensent Marc Reichwein liest Helmut Lethens Erinnerungen als Teil eines Sittenbildes einer gestig wendigen Bundesrepublik, auch wenn der Kulturwissenschaftler Lethen seine ganz persönliche Geschichte der Irrungen und Wirrungen zwischen Ernst-Jünger-Lektüre, Konsumfreiheit, Maoismus und Kampfkomitees erzählt. Von der frühen Kindheit über die FU-Jahre bis zur Auseinandersetzung mit seiner mit den Identitären sympathisierenden Frau reicht diese Selbsterkundung, die für Reichwein von dem Versuch zu verstehen geprägt ist, nicht, sich zu distanzieren. Ton und Humor dieser Gelehrtenbiografie stimmen, versichert der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.11.2020

Rezensent Harry Nutt trifft mit Helmut Lethen eine auf Rabatz gebürstete Kommune I, untersucht Verwüstungen in Peter Szondis Institut und ist dabei, wenn Lethen die KPD/AO gründet. Lethens bewegtem politischen Leben folgt er mit Gewinn, spürt er doch etwa die Nähe zwischen Mief und Revolution, Ehrfurcht und Krawall. Mal plaudernd, mal genau recherchiert, stets souverän präsentiert ihm der Autor Erkenntnisse über eine Zeit des Umbruchs, Lektüreerfahrungen und sehr Persönliches.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.11.2020

Rezensent Ijoma Mangold ist beeindruckt von dem Lebensbericht des altgewordenen Exkommunisten der K-Gruppen-Zeiten, der seine Verletzlichkeit im Leben und Denken so deutlich beschreibt. Der Kritiker erinnert an das "Kultbuch" Lethens über die Kultur der Kälte als deutsche Reaktion auf die beiden Weltkriege und verweist auf die "Unheimlichen Nachbarschaften" (Lethen), die der Literaturwissenschaftler in seinem Denken und Leben in diesem Buch thematisiert: Treffen sich etwa das radikal Linke und radikal Rechte im selben Raum wieder? Ein Thema, dass Lethen an mehreren Beispielen, so Mangold, immer wieder aufzeigt und erkundet. Am Ende behandelt er es in der eigenen Ehe mit der als Identitäre auftretenden Philosophin Caroline Sommerfeldt und es nötigt dem Kritiker Respekt vor der Haltung Lethens ab, der nahezu hilflos seine Liebe zur Familie bekennt - und darauf verzichtet, sich selbst und sein Leben vollständig zu verstehen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.10.2020

Rezensent Willi Winkler war dabei. Daher machen ihn Helmut Lethens Lebenserinnerungen froh, die für ihn schon aufgrund des Radikalenerlasses und Lethens Berührungen damit "besser durchlüftet" sind als andere Professorenmemoiren. Wie es bei der KPD und in den K-Gruppen zuging für den mit Resnais, Benn, Handke und Adorno Sozialisierten, wie er politisiert und enttäuscht wurde, Dutschkes Lederjacke tragen durfte, sich mit dem Rechtsstaat arrangierte und Forscherkarriere machte, das liest sich für Winkler wie ein echter Bildungsroman, gespickt mit Anekdoten und jeder Menge Literatur.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 22.10.2020

Rezensent Jörg Magenau hätte Lust mit Helmut Lethen und seiner Frau am Küchentisch zu plaudern. Weil das nicht geht, nimmt er vorlieb mit Lethens autobiografischem Buch über Kriegskindheit, Bund, Studium, Debatten, ein Akademikerdasein. Turbulent und entsprechend spannend zu lesen findet er Lethens Berichte über die Studentenrevolte und seine Zeit in der KPD, seine Faszination für Jünger und Carl Schmitt, auch wenn der Autor keine Erklärungen anbietet, sondern nur den Weg der eigenen "Denk-Geschichte" für Magenau sichtbar nachvollzieht - vom Engagement zur Distanz gegenüber der Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2020

Rezensent Stephan Wackwitz bleibt vor allem an der Studentenbewegung hängen in Helmut Lethens Lebenserinnerungen. Die spielen auch eine wichtige Rolle im Leben des Kulturwissenschaftlers, da Lethens Wissenschaft körperlich und erfahrungsgesättigt ist, wie Wackwitz weiß, und der Autor '68 "mit dem eigenen Leib verstanden" hat, also wie kaum ein anderer. Anregend findet Wackwitz dieses in den Sätzen spürbare Feuer für die Kämpfe seiner Zeit. Faszinierend scheint ihm das Buch auch deshalb, weil sich darin zeigt, dass der klassische Liberalismus selbst für begabte Linke nicht unbedingt eine Option war.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de