9punkt - Die Debattenrundschau

Unter dem Schutz des Systems

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.08.2014. Die Welt beschreibt, wie die deutschen Dichter einst im Volke sich selbst fanden. Die SZ erlebt gerade Ähnliches bei schottischen Dichtern. Die taz sucht das subversive Subjekt und findet es im Palais Royal. Die NZZ propheizeit: In der Stadt der Zukunft sind wir alle Immigranten. In der Berliner Zeitung fragt Viola Roggenkamp, was KZ, Nazis und Hitler eigentlich mit dem Judentum zu tun haben?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.08.2014 finden Sie hier

Europa

Dass sich besonders Künstler und Schriftsteller für die schottische Unabhängigkeit ins Zeug legen, erlebt Alexander Menden in der SZ beim Edinburgh Festival, aber er traf auch auf Gegenstimmen: "C.J. Sansom, Autor viel gelesener Historienromane, sieht bei den Unabhängigkeitsverfechtern eine Romantik am Werk, die er für ähnlich unscharf hält wie den Freiheitsbegriff der SNP: "Mir scheint fast, als sei die Unabhängigkeitskampagne für viele Schriftsteller so etwas wie eine religiöse Erweckungsbewegung geworden", sagt er. Sansom betrachtet sich als "halb schottisch und halb englisch". Geboren in Edinburgh, zog er bereits mit 18 Jahren nach Südengland, wo er seither lebt. Sein Hass auf jede Art von Nationalismus habe ihn dazu bewogen, sich öffentlich in die Debatte einzuschalten: "Nationalismus und Pluralismus schließen einander aus", findet Sansom. "Ich akzeptiere, dass schottischer Nationalismus staatsbürgerlich ist, nicht ethnisch. Dennoch kann er autoritär und ausgrenzend sein.""
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Ideen

Da Subversion unmöglich geworden ist in einer Gesellschaft, die jeden Protest in einen Standortfaktor ummünzt, setzt der Kulturwissenschaftler Andi Schoon in der taz auf die postdramatische Figur, die wie Benjamins Flaneur in kritischer Distanz zu sich selbst und Dingen steht, bei maximaler Anpassung: "Es liegt in der Natur dieser Figur, dass sie sich nur abstrakt beschreiben lässt: Sie müsste sich die Unberechenbarkeit der Styles und Oberflächen zunutze machen. Sie sollte die Codes verschiedener Diskurse beherrschen. Die Weigerung dieser Figur dürfte sich nicht erkennbar nach außen tragen, weil sie dort umgehend als Marke verkauft würde. Ihr Ideal wäre das der Opazität und ihre Selbsterfindung ein souveräner Akt... Das imaginäre Subjekt zieht Kraft aus der Vereinzelung - und bewegt sich in der Höhle des Löwen so, wie es die Bürger im Palais Royal taten, als sie unter dem Schutz des Systems dessen Umsturz vorbereiteten."

Matthias Matussek erinnert in der Welt an den Beitrag der Dichter und Denker zu Kriegsbegeisterung und geistiger Mobilmachung im Juli 1914: "Das "Augusterlebnis" ist durchaus auch eine Fabrikation, die den Schriftstellern der Zeit aus dem Urgrund des Volkes emporzudringen schien, und sie übersetzen, was sie dort vorzufinden glaubten, in eine hochgesinnte Begeisterung, ohne je darüber nachzudenken, ob sie es eventuell selber dort hinterlegt haben. Tatsächlich wurde der Angriff unterfüttert von einer Art todesmutigen, antimodernen Ritterlichkeit, von der Erinnerung an die heroischen Tage der Befreiungskriege gegen Napoleon, für die Heinrich von Kleist in seiner "Herrmannsschlacht" mobil gemacht hatte. Romantik und Blut und Boden."
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Gesellschaft

Die Autorin Viola Roggenkamp war zu Besuch in einem Gymnasium, dessen Schüler über Juden und Judentum diskutierte, und fand ihr ganzes Misstrauen bestätigt, wie sie in der Berliner Zeitung schreibt: "In der Schulklasse werden weiße Bögen verteilt und dicke Filzstifte. Es wird in fünf Gruppen gearbeitet. Ich gehe zwischen den Tischen hindurch. In jeder Gruppe wird in großen Buchstaben das Wort Judentum in die Mitte des Papiers geschrieben und umkringelt. Dann fallen die Treffer: KZ, Nazis, Hitler. Das hat alles mit Deutschtum zutun. Die Expertin sieht das offenbar nicht so. Sie nickt zustimmend, und mir wird klar, diesen Teil ihrer Vergangenheit haben die Deutschen bei uns Juden deponiert."

Der Architekturtheoretiker Hans Frei beobachtet in der NZZ, dass die Gegensätze zwischen Stadt und Land immer mehr verschwinden. Er begrüßt diese Entwicklung, denn: "Es ist nur der falsche Dualismus von Stadt und Nicht-Stadt, mit dem uns weisgemacht wird, dass Verantwortung und Profit für alle Zeiten ungleich verteilt sind. In einer künftigen Stadt sind wir alle Immigranten. Niemand sollte dort einreisen dürfen mit der arroganten Haltung dessen, dem schon alles gehört."
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Geschichte

Vor zweitausend Jahren starb der erste römische Kaiser Augustus und wurde prompt, wie Stefan Rebenich in der NZZ schreibt, zur universellen Projektionsfigur: "Für die christlichen Theologen des Mittelalters war er Teil des göttlichen Heilsplans, da unter seiner Herrschaft Christus geboren worden war. Französische Aufklärer verurteilten Augustus als Despoten, deutsche Historisten rekonstruierten eine Monokratie in republikanischer Verkleidung, und italienische Faschisten rechtfertigten mit seiner Hilfe ihre imperialen Gelüste."
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Medien

(Via Turi2) Das Dementi ist zu einem "verlogenen, kleinen Ding" geworden, stellt Petra Schwegler auf wuv.de fest und nimmt dabei vor allem die Pressestelle von Gruner und Jahr aufs Korn: "Am Donnerstagvormittag mussten Branchendienste noch weitergeben: "Dominik Wichmann ist und bleibt Chefredakteur des Stern." Es wurde "Kein Kommentar" daraus. Nach 15 Uhr hieß es dann über den großen Verteiler: "Christian Krug übernimmt zum 1. Oktober 2014 die Stern-Chefredaktion"."
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Stichwörter: Gruner und Jahr

Internet

In der FAZ beschreibt Fridtjof Küchemann, wie amerikanische Unternehmen mit europäischen Kundendaten handeln und damit das Safe-Harbor-Abkommen unterlaufen. Der Tagesspiegel dokumentiert, wie Amazon seinen Preiskampf mit Bonnier begründet. In der Welt beschwert sich Hans Zippert wortreich bei Amazon über sein schlechtes Ranking.
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