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Das Glück ist ein scheues Vögelchen

Von Rüdiger Wischenbart
20.04.2002. Wie fragil die Dinosaurier der Kulturindustrie sind: Leo Kirch ist nicht der einzige Mogul, den das Glück verlässt. Auch Jean-Marie Messier muss kämpfen.
Das Glück, weiß man in Wien, ist ein Vogerl, und ein scheues Vögelchen überdies. Das weiß insbesondere, wer mit Kultur versucht sein Glück zu machen.

Es gehört gewissermaßen zur Geschäftskultur beim Geschäft mit der Kultur, dass die Launen des Publikums - und damit die Rendite - so schwer vorhersehbar sind.

Deshalb umgibt jene, denen es gelingt, die Vögelchen immer wieder zum Trällern zu bewegen, eine Reputation, in welcher der Visionär und das Ungeheuer als nahe Verwandte auftreten.

So sind von jeher in der allgemeinen Vorstellung der Verleger, der seine Autoren lockt und mit ihnen ringt (also streitet, wenn nicht - natürlich nur in den Legenden - sie übers Ohr haut), und noch mehr der Hollywood-Produzent, der auf halber Strecke zwischen Glamour und Chicago-Gangstertum sein undurchsichtiges Geschäft betreibt. Aber, einmal ehrlich, viel mehr als ein kurzes Aufflackern der Aufmerksamkeit des breiten Publikums galt diesen Bossen kaum - ganz im Gegensatz zu ihren Stars.

Das ist nun anders geworden. Es kann kein Zufall sein, dass, nahezu zeitgleich in Deutschland und in Frankreich, der Stern von zwei Vogelfängern von besonderem Talent zu verglühen droht und die Geschichte alle Umstehenden über Wochen regelrecht in Atem hält.

Dabei könnten die beiden, aufs erste wenigstens, unterschiedlicher nicht sein.

In München zeigt sich der eine in christlicher Demut und sagt angesichts seines zerfallenden Lebenswerks, Gott habe es gegeben, und nun nehme er es eben wieder weg (was auch nahe legt, wie barock in Bayern das Leben spielt).

Zwischen Paris und New York lässt sich der andere selbstverliebt als "Jean-Marie Messier - Maitre du Monde", also als Herrscher der Welt, titulieren, ganz im Einklang mit der französischen Tradition der intimen Nähe zwischen Kultur, Nation und Macht.

Beide, der Deutsche Leo Kirch und der Franzose Jean-Marie Messier, als Chef von Vivendi Universal, dem zweitgrößten Kultur- und Medienkonzern der Welt, teilen eine Überzeugung, nämlich dass kulturelle Güter aller Art, also Bücher und Filme, Pop-Musik und TV-Information, so viel gemeinsam haben, dass sich aus ihrer Kombination ein globales, riesiges Geschäft machen lässt.

Leo Kirch hat sein Geschäft geduldig und zäh über Jahrzehnte aufgebaut. Er agiert, wenn irgend möglich, zurückgezogen. Sein Reichtum lagert in Speichern a la Dagobert Duck in Form haushoher Stapel von Filmspulen in Aluminiumschachteln.

Jean Marie Messier hingegen hat in einem unglaublichen Furor innerhalb weniger Jahre die Bausteine für seine Vision zusammengekauft. Vivendi ist nun Frankreichs größter Verlag und weltweit der größte Anbieter von Bildungsmaterialien; es ist Frankreichs wichtigster Finanzier für Filme und in Los Angeles und New York. Messier ist Herr über ein Hollywoodstudio und einen der fünf großen Musikkonzerne der Welt (nämlich Universal). Er selbst liebt es, sich als Napoleon der Medien zu inszenieren.

Leo Kirch hat, sein deutsches Publikum fest im Auge, auf Fußball und Autorennen gesetzt, Jean Marie Messier mit Grandeur auf die Eroberung von Hollywood.

Kirch wollte sein Publikum möglichst exklusiv besitzen, denn nichts anderes ist die Voraussetzung für Bezahl-Fernsehen nach dem Modell von Premiere.

Vivendi Universal hingegen will erst einmal alle Inhalte, alle Kanäle und alle Künstler besitzen und ist bereit, dafür auch Unsummen zu bezahlen in der Annahme, dass sich all das am Ende mit gutem Profit wieder verkaufen lässt.

Das Ergebnis allerdings ist vorerst vor allem ein Schuldenberg, der beide Modelle zu erdrücken droht.

Der gemeinsame Kipp-Punkt aber, der die beiden Spieler wie die beiden Seiten einer Münze untrennbar verbindet, ist ein ganz anderer.

Es ist der feste Glaube, dass sich, dank Globalisierung und Digitalisierung, dank hungrigem Publikum auf fünf Kontinenten und tausend Programmen und Kanälen, ganze Schwärme von Vögelchen festhalten und im Gleichklang dazu bewegen lassen, ihren Gesang anzustimmen.

Das Problem ist nur, dass sich Erfolge beim Publikum, Enthusiasmus für ein Buch, einen Song, einen Film, so schwer erzwingen lassen. Und der Erfolg eines Romans sagt über den Erfolg seiner Verfilmung wenig aus. Nur der Preis für die Rechte zur Verfilmung, das Honorar für Autor, Regisseur und die Gagenklasse der Stars steigen jeweils mit Gewissheit an. Und die Notwendigkeit weiterer Expansion nimmt zu.

So potenzieren Herr Kirch und Monsieur Messier nur ihre Risiken, während ihr Erfolg wie ein scheues Vögelchen sich so schwer festhalten und bewahren lässt.

Die große Überraschung jedoch angesichts der Pleite von Leo Kirch und, vielleicht schon bald bei Vivendi Universal, beim Sturz des Visionärs oder zumindest beim brutalen Abbruch des Höhenflugs, ist zu sehen, wie fragil diese Dinosaurier der Kulturindustrie sind.