Virtualienmarkt

Der Fisch in der Badewanne

Von Rüdiger Wischenbart
Medienkonzerne würden Information im Netz gern verkaufen, aber sie werden es kaum schaffen - denn das Netz funktioniert wie ein Dorf.
Wie funktioniert die neue Informationsökonomie? Warum können wir die Zeitung am Internet immer noch gratis lesen? Und: wird das morgen auch noch so sein?

Ich denke, ja. Denn Information läuft längst wieder wie der Tratsch im Dorf. Es bleibt jedoch ungewiss, ob dies eine gute Nachricht ist. Gemeinhin gilt, dass Information längst eine Ware sei, und eine wichtige Ware überdies. Mit Informationen wird gehandelt. Informationen sind das Gold, zu dessen Schürfung sich in jüngster Zeit ganze Industriezweige mit globalen Konzernen herausgebildet haben. Dennoch sind Berge ebenso wertvoller wie aktueller Informationen - wie etwa die Zeitungen im Internet - zumindest für uns Endverbraucher gratis verfügbar, während gleichzeitig mancher Informationskonzern unter den fehlenden Einnahmen ächzt und stöhnt. Eine seltsam verkehrte Welt.

Dieser Tage kam mein achtjähriger Sohn von einem Spaziergang mit einem lebenden Fisch nach Hause. Ein Fischer hatte ihm ein Rotauge geschenkt. Nach einer gewissen Schrecksekunde wurde beschlossen, dass der Überraschungsgast für die Dauer der Schulferien zwischen Badewanne und Regentonne bleiben darf. Die nötigen Informationen zur artgerechten Haltung und Fütterung besorgte unser Sohn Stück um Stück selbst, wiederum beim Fischer, also gratis. Es wurde, wegen der paar Tage, nicht gleich Fachliteratur herangeschafft.

In einem Dorf ist eine Menge an unterschiedlichen Informationen nahezu frei verfügbar. Dies geschieht, wie jeder weiß, nicht aus Nachbarschaftsliebe, sondern weil der Tausch von Informationen die Leute miteinander verbindet - vernetzt -, aber auch, weil auf diese Weise Hierarchien dargestellt werden. Nicht jeder sagt jedem, was er weiß oder was der andere gerade dringend braucht.

Über die Vergabe von Informationen wird oft genug Macht ausgeübt. Darauf beruht nicht zuletzt die Macht mancher Bilder. In diesen friedlosen Ostertagen ging das Bild von Palästinenserpräsident Jassir Arafat um die Welt, wie er im Kerzenlicht in seinen von der Außenwelt abgeschnittenen Büroräumen den israelischen Panzern standhält.

Es ist wenig plausibel, dass, allem Chaos der dramatischen Situation zum Trotz, nicht dennoch ein Notstromaggregat übrig blieb, zumindest zum Betrieb von Arafats Satellitentelefon. (Und irgendwie gelangte ja auch das Foto an die Außenwelt). Das stärkste Signal jedenfalls war für die Beteiligten offenbar ein Bild von einer scheinbar vergangenen Welt, mit Kerzenlicht und ohne Strom.

Solche Informationen, die uns Tag für Tag helfen sollen, uns in einer unübersichtlichen Welt zu orientieren, machen aber nur Sinn, wenn sie frei zugänglich und für den Endverbraucher weitgehend kostenfrei sind. Sie müssen potenziell allgegenwärtig sein, so wie das allgegenwärtige Fernsehen, das sie transportiert.

Informationen sind eine zumindest eigenartige Ware. Gregory Bateson, ein vielseitiger Wissenschaftler, der sich unter anderem für Erkenntnistheorie interessierte, hat Information einmal definiert als "einen Unterschied, der einen Unterschied macht". Bateson wollte mit dieser Einsicht auf die andere Grundlage für den Wert von Informationen aufmerksam machen, auf ihre soziale, politische und somit auch kulturelle Komponente.

In Deutschland könnte Batesons kluge Einsicht helfen, im Verwirrspiel um das Medienimperium von Leo Kirch die Orientierung zu bewahren. Leo Kirch scheiterte bei dem Versuch, ausgerechnet hochwertige gemeinschaftsstiftende Information für ein breitestmögliches Publikum - von der Bundesliga bis zur Formel 1 - künftig ausschließlich als Ware zu behandeln und nur noch einem zahlungswilligen Publikum anzubieten.Ironischerweise buhlen nun mit Berlusconi und Rupert Murdoch ausgerechnet zwei Medienmagnaten um sein Erbe, die beide den Wert von Informationen ebenso stark wirtschaftlich wie auch als politisches Einflussmittel ansehen. Und Kirch selbst hat, in der Erfolgs- und Expansionsphase, seinen Medienkonzern noch ganz ähnlich politisch - und nicht nur als Cash cow - gesehen.

Auf eine paradoxe Art ähnelt die Informationsökonomie heute, dank Internet und Globalisierung, wieder stark dem Beziehungsgeflecht in einem Dorf.Alle Häuser und ihre Bewohner leben auf engem Raum. Die Wege zwischen ihnen sind kurz. Die Beziehungen und Wechselwirkungen jedoch sind unübersichtlich und haben häufig einen doppelten Boden.

Damit das ganze allerdings funktioniert und zusammenhält, braucht es eine Menge von Informationen, die frei für alle verfügbar sind, so wie am Schwarzen Brett zwischen Kirche und Gemeindeamt. Darauf baut die Bedeutung der Dorfkultur auf.

Denn die Kultur, also etwa Ansehen und Status, wer wer ist und wo dazugehört, zählen manchmal mehr als Geld und Besitz. Wer Informationen bekommt und einbezogen wird, und wer hingegen ausgeschlossen wird, das unterliegt Gesetzen, die für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar sind.Und noch eine Analogie zwischen Medienwelt und Dorf drängt sich natürlich auf: Manch ein Bauer ist längst nicht mehr der wahre Besitzer seines Hofes, sondern nur noch der Schuldner der verschiedenen Sparkassen im Dorf.