Virtualienmarkt

Das Imperium antwortet nicht

Von Rüdiger Wischenbart
05.09.2003. Mit der Kultur ist es gerade so wie mit dem Sozialgeld. Darum kümmert sich ein Amt. Doch Vater Staat hat gar kein Geld mehr.
Jetzt haben wir uns ein paar Jahre lang so schön die Köpfe über die Privatisierung von Kunst und Kultur heiß geredet, den Aufbau der Medienkonzerne und die Konzentration auf den Märkten kommentiert, über Sponsorenkultur debattiert, Stiftungsgesetze reformiert, davor sogar neue - digitale - Kulturlandschaften phantasiert. Doch wenn es ans Eingemachte geht, landen wir wieder bei Muttern, respektive bei Vater Staat und seinen Schmalztöpfen.

Der deutsche Bundestag konstituiert in diesen Tagen eine Enquetekommission zum Thema "Kultur in Deutschland". Man will endlich wissen, was Sache ist, denn dass mit der Kultur im Lande alles drunter und drüber geht, ist nicht mehr zu übersehen.

Die größeren Städte als vorrangige Träger der wichtigsten Kultureinrichtungen - Museen, Sammlungen, aber auch Kunsthallen, Preisstiftungen, Theater, Opern - sind allesamt pleite und streichen Zug um Zug ihre Zuständigkeiten zusammen. Frankfurt am Main hatte erst vollmundig angekündigt, Kulturhauptstadt Europas werden zu wollen (und hatte gerade erste legendäre Träger seiner Stadtkultur wie Ballettdirektor William Forsythe vergrätzt), um dann wenig später die Kandidatur wieder mutlos zu streichen. In Köln und Hamburg ist das Kulturstreit-Kleinklein längst Alltag, in Berlin die Misere Gewohnheit geworden. In der politischen Diskussion um die Medienkultur ist unklar, ob die Vielfalt am maroden Zeitungsmarkt - etwa in Berlin - eher durch ein bisschen mehr Monopol oder durch ein stärkeres Oligopol oder gar nicht zu retten sei.

Indessen haben viele "Corporate"-Sponsoren über der Wirtschaftskrise der vergangenen zwei Jahre ihre Engagements drastisch zusammengestrichen, riskieren ihr nunmehr karges Geld kaum noch für Unbekanntes oder nicht Erprobtes, sondern fördern überwiegend Mainstream und marketingtaugliche Events. Die Apotheose gelang jüngst der süßen Kraft-Brause Red Bull, die bei den Salzburger Festspielen zur Eröffnung eines neuen Hangars für die private Fliegersammlung des Firmeneigners den Komponisten und einstigen Neuerer Karl Heinz Stockhausen mit einem Helikopterballett und vielen Promis aus nah und fern (von Supermodell Naomi Campbell bis DJ Ötzi) zu "vernetzen" verstand.

Wo aber kulturelle Infrastrukturen, also die Grundversorgung mit kulturellen Gütern zusammenbricht - so wie in Kalifornien oder in New York die Stromversorgung ausfällt - bleibt als einzige Adresse für Regressansprüche nur, völlig altmodisch, Vater Staat.

Das ist doch bemerkenswert. In die Privatisierung der Kultur hat sich ein Systemfehler eingeschlichen. Das sollte gerade auch (uns) allen zu denken geben, die sich über die Auswirkungen des Digitalen ins kulturelle Gefüge Gedanken machen.

Bei all den Anstößen und Umstößen durch Vernetzung und Medialisierung, durch Globalisierung und Lokalisierung hat sich im Kern des - bürgerlichen - Gefüges, auf dem unser kulturelles Leben nun mal aufbaut, wenig verändert. Die Grundlagen für dieses kulturelle Leben, von der musischen Bildung und der Ausbildung der Wahrnehmung über die Pflege der tragenden Institutionen, also der Museen, Bibliotheken, Akademien, Theater, Opernhäuser und Festivals und so weiter bis zur ethischen Richtlinienkompetenz ("was braucht es, um die bestehende Vielfalt zu halten und zu verbreitern") blieb eine unbedankte Angelegenheit der öffentlichen Hand, und es macht erst einmal wenig Unterschied, ob da im einzelnen eine Kommune, ein Land oder der Bund gemeint sind.

Mit der Kultur ist es gerade so wie mit dem Sozialgeld. Darum kümmert sich ein Amt. Doch Papa Staat - das alte Imperium - antwortet nicht mehr. Stattdessen wird ein knapper Aktenvermerk ausgeschickt: "Es gibt kein Geld."

Die Sackgasse ist indes nicht typisch deutsch. In Österreich, einem Land, das nicht unwesentlich aus seinem kulturellen Status heraus floriert und immer noch über üppige öffentliche Geldmittel verfügt, kürzen die größten Museen neuerdings reihenweise Projekte und appellieren, eben erst in die wirtschaftliche Unabhängigkeit entlassen, zur Überbrückung der Not erneut an den Staat. Das Kunsthistorische Museum gibt ein eben erst neu am Ausstellungsmarkt eingeführtes Palais in bester Innenstadtlage auf. Die weltberühmte Sammlung Albertina eröffnete nach jahrelanger Schließung und Renovierung mit vollmundigen Perspektiven und verschob nur wenige Wochen danach gleich zwei bereits angekündigte Ausstellungen wegen Mangel an Barem.

"Du glückliches Österreich" mögen sich darüber französische Kollegen zuflüstern, nachdem nahezu die gesamte Sommer-Festival-Saison den Streiks zum Opfer fiel, die eine unausgegorene Reform von Arbeitsgesetzen ausgelöst hatte. Eher nebenbei wollte man einen tiefgrauen kulturellen Arbeitsmarkt reformieren, der zur Regel gemacht hatte, dass Künstler und kulturelle Hilfskräfte regel- und routinemäßig als Arbeitslose gemeldet wurden um auftragsschwache Monate zu überbrücken. Erst über den Ausstand wurde klar, dass viele der wichtigsten kulturellen Produktionen nur noch durch Selbstausbeutung und Systembetrug realisierbar sind.

Für all diese Klagen ist der Staat - die öffentliche Hand - der einzig richtige Adressat, aber er ist auch ein schrecklich naiver, hilfreicher Empfänger, der nicht weiß, wie ihm geschieht.

Die Einberufung der "Enquetekommission" des deutschen Bundestages wurde in den Medien teils ignoriert, teils pflichtschuldigst gescholten als vorhersehbar zwecklose Übung.

Wer aber bitte, wenn nicht das Parlament, sollte analysieren und diskutieren, wenn die Kultur als Kitt der Gesellschaft sich vor unseren Augen und in unseren Augen neu formt, neu ordnet, digital, global, mit Geld, und auch ohne! Kein Markt kann ohne gute Marktordnung prosperieren. Schon gar nicht die Kultur.

Vater Staat (und Mutter Land und Stadt), bitte melden!