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Katz und Maus ums Copyright

Von Rüdiger Wischenbart
19.04.2004. Die Beste-Bücher-im-Multipack-Kampagne der Süddeutschen Zeitung zeigt, dass sich auch in den etablierten Medien das Verhältnis zum geistigen Eigentum wandelt. Und den nächsten Schritt geht Danger Mouse.
Was haben der im Augenblick viel gepriesene Erfolg der Beste-Bücher-im-Multipack -Kampagne der Süddeutschen Zeitung, die angedrohte Klagenkampagne nun auch der deutschen Musikindustrie und die drastische Verschärfung der europäischen Copyright-Gesetze miteinander zu tun?

Natürlich erst einmal gar nichts. Denn erstens hat die Süddeutsche die Rechte an den guten Büchern redlich erworben, zweitens spielen Raubkopien im Buchhandel zumindest in unseren gemäßigten Breiten so gut wie keine Rolle, und drittens ist es doch wunderbar, wenn 50 Buchtitel mit hunderttausender Auflagen das stagnierende Buchgeschäft mit positiven Nachrichten und Umsätzen frühlingshaft schmücken.

Bloß, die Realität ist ein gutes Stück komplizierter.

Der Kampf der Musikindustrie - und hinter ihr, der Europäischen Kommission - ist ja keine Polizeiaktion gegen jugendliche Eierdiebe, auch wenn dies manchmal so aussehen mag, wie in den USA - und offenbar bald auch in Europa - Computernetzwerke von Universitäten und Studentenheimen, mit Klagewellen konfrontiert, sich genötigt sehen, die digitalen Identitäten ihrer Benutzer preiszugeben, weil die jungen Leute illegal Musikstücke tauschen.

Es geht vielmehr um strategische Gewinne und Verluste von Terrain:

Hat geistiges Eigentum einen Wert (und somit einen entsprechenden, erheblichen Preis)? Oder ließe sich auch eine Welt vorstellen, in der gute Musik (und andere kulturelle Produkte) viel freimütiger vergeben werden - und die Urheber, also Musiker, Autoren, Komponisten, dennoch auf ihre Kosten kommen können.

Die Süddeutsche freut sich über ihr gelungenes Stück und verkündet, dass alle 50 Titel ihrer Bibliothek wohl bald in sechsstelliger Auflage verkauft werden könnten. Das Geschäft läuft über alle verfügbaren Kanäle - direkt ab Zeitung, über Zeitungskioske, und über die großen Buchhandelsketten wie Hugendubel (der sich ebenso freut) oder über den Internet Händler Amazon. Und entsprechend arbeit man bereits an Nachfolgekampagnen mit CDs und DVDs (und merkt schnippisch dazu an, bis dahin würde dann wohl auch die Konkurrenz - vom Spiegel bis zur FAZ - aufgewacht und mit ähnlichen Ideen angetreten sein).

Bei Amazon liegen nun etwa Günter Grass' "Katz und Maus" in der Süddeutschen Beipack-Ausgabe um 4,90 Euro auf Platz 39 der Verkaufshitliste (gegenüber Platz 4.467 für die normale dtv Taschenbuchausgabe um sieben Euro). Der "Große Gatsby" hat es sogar auf Platz 14 geschafft (und liegt in der alten Diogenes Ausgabe, um 8,90 Euro, auf Platz 8.042).

Die meisten kleineren Buchhändler finden die Sache wohl weniger witzig, denn der bejubelte Umsatz geht, wie schon weiland bei Harry Potter, weitgehend an ihnen vorüber. (Und wer erinnert sich noch, dass der Börsenverein des deutschen Buchhandels einmal den Slogan erfunden hat: "Bücher haben feste Preise" - und dies nicht nur als merkantile, sondern auch als starke kulturelle Aussage verstand?)

Gravierender aber ist wohl die Verschiebung auf dem (symbolischen) kulturellen Terrain:

Was bedeutet es, wenn Bücher (oder Musikstücke oder Filme) zu zunehmend symbolischen Preisen als Gadgets und Marketingvehikel angeboten werden? Wenn die traditionellen - exklusiven - Vertriebskanäle in einer Vielfalt von Vitrinen zunehmend austauschbar, also ersetzbar werden? Wenn rasch auch die Exklusivität der Klassiker - also Namen wie Grass, Kundera, etc. - als "Marken" vorgeführt werden?

Und was bedeutet es, wenn gleichzeitig ein Copyright, das aus dem alten Geist der Einzigartigkeit und Exklusivität stammt, über all diese kunterbunte, auseinander fliegende Warenwelt gespannt wird und, bei sehr realer Strafandrohung, dem Publikum weiszumachen versucht, dieses Urheberrecht sei zu vorderst ein Schutz der Kultur?

Hier sammelt sich erheblicher kultureller wie branchenpolitischer Sprengstoff an.

Jene, die von den Rändern der Cyberkulturszene her das Treiben im kulturellen Mittelfeld beobachten, poltern dagegen regelmäßig und lautstark. Das neue, verschärfte Copyright Gesetz, heißt es dann etwa in Telepolis, sei "unnötig wie ein Kropf").

Schwerer als das Donnern aber wiegt wohl der Hinweis, hier werde "die Entfremdung der 'Generation Copy' vorangetrieben.

Den medialen Gewohnheiten dieser Generation kommt zwar das Best-of der Süddeutschen gewiss entgegen. Und auch Autoren, die zu Marken werden, sind ihnen gewiss nicht fremd. Doch ebenso klar ist, dass sich bald ein - um im Jargon der verschiedenen Strategen zu bleiben - "Zielkonflikt" einstellt, der nicht einfach aufzulösen sein wird:

In einem kulturellen Produktumfeld, das im Rhythmus von Beipackangeboten und Kombimarketing schwingt, wird es zunehmend schwierig sein zu argumentieren, dass Kultur einen besonderen Stellenwert - gegenüber der Unterhaltung - einnimmt, folglich der besonderen Förderung und Schutzbestimmungen wie etwa fester Preise bedarf, oder dass Buchhändler und Buchverlage feinere Kulturindustrien vertreten würden als die verschiedenen Akteure der Popkultur, von der Hitparade bis zu Hollywood.

Freilich, eine kulturelle Wüste zieht dies alles nicht zwangsläufig nach sich. Ein schönes Beispiel für die Verwandtschaft zwischen künstlerischer Innovation, dem freizügigen Bezug zur (und dem Borgen von der) Tradition liefern Projekte wie das "Grey Album". Dabei handelt es sich um den - urheberrechtlich freilich illegalen - Remix eines bislang kaum bekannten DJ Brian Burton alias Danger Mouse. Der verwob unlängst das "White Album" der Beatles mit dem "Black Album" von Jay Z zum "besten Beatles Album seit 34 Jahren" (Der Standard). Er wurde natürlich von den Musikkonzernen, denen die Rechte an den Originalen gehören, postwendend verklagt. Doch unter HipHop Freunden war Danger Mouse rasch ein Star - wegen der Musik, nicht der Klage. Das Marketing hat also beispielhaft funktioniert. Zu finden ist das Werk auf der Website illegal-art.org , die nicht zufällig neben ausgesuchten Beispielen von Musik und Videos auch eine gute Auswahl theoretischer Artikel zum Thema Copyleft (als Alternative zum Copyright) zusammengestellt hat.

Oder anders gesagt: Es ist gewiss schön - für die finanzklamme Süddeutsche, und für viele Leser auch - , wenn viele billige Bücher gekauft werden. Für die Lesekultur bringt das vermutlich mehr als viele wohlmeinende Bücherpublikumspreise und Weltbuchtage zusammen. Aber es bringt auch jenen Zoff zu Tage, der in den sonst in den Debatten um die kulturelle wie wirtschaftliche Besitzstandsbewahrung tunlichst vermieden wird. Mit Klagen - solchen über den Verfall, und den anderen, vor Gericht - wird die Sache schwer beizukommen sein.