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Eine Portion Schnörkellosigkeit, bitte

Welt Kompakt ist erst der Anfang: Der No-Frills-Journalismus kommt. Von Robin Meyer-Lucht
18.06.2004. Mit der Welt Kompakt lässt sich auch der Springer Verlag von der Tabloiditis anstecken. Aber leider bleibt sie auf dem halben Wege zwischen der alten Welt und einer Gratiszeitung stecken.
Seit einiger Zeit fährt ein Rätsel durch Berlin. Es wird in schwarzweißen Smart-Roadstern durch die Stadt kutschiert. Hinter dem Steuer sitzen junge Menschen, die zumeist so wirken, als ob sie gerne in House-Clubs gehen, wenig Zeitung lesen und nicht wissen, wer Jürgen Habermas ist. Im kleinen Kofferraum haben sie einige Exemplare von Deutschlands erster "Unterwegszeitung" dabei: Welt Kompakt ist eine 32-seitige Tabloid-Ausgabe mit zumeist gekürzten Artikeln aus der Welt. Das Rätsel lautet: Was soll das alles? Ist das das neue "Land der Ideen" (Horst Köhler)? Und was verspricht sich der Axel Springer Verlag davon?

Die jüngste Tabloiditis kommt bekanntlich aus England, wo der Independent im letzten Jahr seine Auflage durch Miniaturisierung um rund ein Achtel steigern konnte. Auch der Schweizer Blick musste nach einer "Abstimmung am Kiosk" feststellen, dass seine Leser lieber vertikal als horizontal gefaltet lesen. Diese Zeitungen haben schlicht ihre Verpackung verkleinert. Die Welt hat weit mehr vor: Welt Kompakt ist eine andere Zeitung mit einer völlig anderen Anmutung. Sie ist der Versuch, mit den Ressourcen der Welt ein neues Zeitungsgenre zu erschließen. Sie ist ein Seismograph für das innere Beben in der deutschen Tageszeitungslandschaft.

Hinter den Fassaden der deutschen Tageszeitungsverlage müssen sich kaum vorstellbare Dramen abspielen. In den letzten vier Jahren ist der Anzeigenumsatz um über zwei Milliarden Euro, also um fast ein Drittel, geschrumpft (mehr hier). Zwei M-i-l-l-i-a-r-d-e-n Euro: Damit könnte man mindestens 30.000 Redakteure bezahlen oder 100.000 Smart-Roadsters kaufen. Die Ressourcen für die Mediengattung Tageszeitung schmelzen dahin, das jahrzehntelang wohl austarierte Gefüge gerät ins Wanken. Das System sortiert sich neu. Bei der Rollensuche im Mediengefüge werden neue Positionen entdeckt.

Wenn man sich die Struktur der Tageszeitungen in Deutschland anschaut, dann fällt auf, dass ein Segment fehlt: Bislang gibt es grob gesagt drei Genres: Qualitäts-, Boulevard- und Regionalzeitungen. Jeder dieser Tageszeitungstypen ist auf seine Weise ein spezialisiertes Angebot: Die Inhalte werden entweder sehr aufwändig, wie im Qualitäts- und Boulevardjournalismus, oder mittelaufwändig/regionalisiert, wie in den Regionalblättern, aufbereitet. Was fehlt, ist das überregionale undifferenzierte Billig-Angebot: der No-Frills-Journalismus.

Der Print-Journalismus ist in Bewegung geraden, weil er in der Krise und im Medienwandel weiter ökonomisiert wird. Neben den Anzeigenkunden gewinnen die Leser an Einfluss. Sie werden mächtiger, weil sie immer mehr elektronische Auswahl- und Ausweichmöglichkeiten haben und bei sinkenden Anzeigeneinnahmen die Vertriebserlöse wichtiger werden. Der Journalismus muss stärker noch als zuvor aufs Publikum schielen. Dies führt nicht zu einem durchgängigen Qualitätsverlust, aber zu einer Polarisierung. Der Journalismus polarisiert sich zwischen dem einfachen und dem aufwändigen Produkt, zwischen der schnellen Nachricht und der interpretierenden Einordnung, zwischen Kosten- und Meinungsführerschaft. Dieser Prozess ist im wettbewerbsintensiveren Internet längst zu beobachten: Paradigmatisch stehen für diese beiden Ansätze Netzeitung und Spiegel Online.

Der eigentliche Ort des No-Frills-Journalismus sind die Gratis-Tageszeitungen, die in vielen Ländern Europas längst zu den auflagenstärksten Titeln gehören. Dieser Journalismus ist nicht nur günstiger - die Leser empfinden diesen wenig bearbeiteten, rohen Agenturjournalismus auch als weniger aufdringlich. Sie haben den Eindruck, sich schnell, übersichtlich und weniger redaktionell gelenkt zu informieren. No-Frills-Journalismus vermittelt das Gefühl einer größeren Lesersouveränität. Man mag beklagen, dass die Leser den Ritualen des Nachrichten-Journalismus oder ihrem Geiz gepaart mit mangelnder Urteilsfähigkeit erliegen. Aber: Glaubt man ernsthaft, dass alle Leser der Bild sich wirklich dieses marktschreierische Auftreten wünschen? Natürlich nicht.

Gratis-Tageszeitungen sind Ausdruck von Ökonomisierung und Segmentierung des Tageszeitungs-Genres. Neben die Frühstückszeitungen tritt die Unterwegs-Zeitung für junge Singles.

Der Billig-Journalismus wird auch nach Deutschland kommen. Der erste Versuch, 20 minuten in Köln, konnte nur mit viel Geld und Klagen abgewehrt werden. Der erneuten Gründung einer Gratis- oder Günstig-Tageszeitung steht außer dem Kartell der Platzhirsche kaum etwas im Wege. Der Holtzbrinck-Verlag testet in der Lausitz mit 20 cent (Website) seine Version des No-Frills-Journalismus. Eine verbesserte Version von 20 cent, bundesweit eingeführt, könnte den Springer-Goldesel Bild erheblich schwächen. Mit dieser Welt light rüstet sich der Verlag daher schon einmal für Abwehrschlachten und versucht eine Art Qualitätssegment des No-Frills-Journalismus zu besetzten, das der Bild nicht schadet. Zugleich probt er eine Repositionierung der Welt. Im schrumpfenden Zeitungsmarkt macht es immer weniger Sinn, die Welt als konservative Qualitätstageszeitung neben der FAZ zu platzieren.

Welt Kompakt ist letztlich auf dem halben Weg zwischen der alten Welt und einer Gratiszeitung stecken geblieben. Es ist ein unentschiedenes Produkt, dass so wohl kaum breite Leserschaften finden wird. Es ist eine Zeitung, die man beim Imbiss liegen lässt, weil man sie bei einem Falafel lesen kann. Es ist eine Zeitung, die einen nicht überwältigt oder bedrängt, die aber auch nicht satt macht. Warum man dafür 50 Cent bezahlen soll, weiß nur der Verlag. Derzeit verkauft sich die Zeitung offenbar vor allem durch Gratis-Gutscheine - es ist eben eine Gratis-Zeitung, die keine sein will.

Welt Kompakt ist ein spannendes Rätsel und man sollte den Verlag wohl für seine Experimentierfreude loben. Ganz angekommen ist Springer allerdings noch immer nicht im Internet-Zeitalter. Einen Tag, nachdem der Titel der Testpublikation bei Spiegel Online zu lesen war, sicherte sich ein Unternehmer aus Rheinland-Pfalz die Domain welt-kompakt.de.