Virtualienmarkt

Ende der Zwischenzeit

Von Robin Meyer-Lucht
20.10.2004. Das Wachstum lahmt und man ahnt: Beim Online-Journalismus wird alles wohl auf Jahre mehr oder weniger so bleiben, wie es jetzt schon ist.
Die Zwischenzeit des deutschen Online-Journalismus begann irgendwann im Jahr 2002. Es war die Zeit, als die kommerzielle Euphorie zwar schon lange dahin war, aber rasch wachsende Nutzerzahlen ein besseres Morgen verhießen. Es war die Zeit, als zwar schon erkennbar war, welche Nachrichtensites auf aussichtsreichen und aussichtlosen Plätzen positioniert waren, aber sich niemand so recht aus dem wachsenden Markt mit seinen noch unklaren Konturen und Ausmaßen zurückziehen wollte. Es war die Zeit des Abwartens, des Ausharrens, der hohen strategischen Einsätze und der verzögerten Konsolidierung. Es war die Zeit, in der Online-Journalismus eher beobachtet, als kritisiert wurde. Es war die Zeit, als Online-Journalismus zwar kein ständiges Experiment mehr war, aber auch noch keine Routine. In der Zwischenzeit war Online-Journalismus ein Format mit karger Gegenwart und ungeklärten Zukunftsaussichten.

Diese Zwischenzeit ging 2004 zu Ende. Um das zu merken, braucht man gar nicht auf die Zahlen zu schauen, sondern kann den Stimmungswandel allein schon an der Zunahme hämischer Attacken von Print-Journalisten ablesen. Erst drosch Stefan Niggemeier in der FAS auf die Netzeitung ein (hier) (1). Dann mäkelte Peter Littger in Cicero, dass Spiegel Online ja eigentlich so boulevardesk wie die Bild-Zeitung sei (September-Ausgabe; nicht online). Und schließlich durfte Manfred Bissinger in der Süddeutschen Zeitung von der "Verluderung der Sprache" im Netz schreiben, wo Journalisten, "schnell, unbedacht und wenig reflektiert ihre Zeilen in die Tastatur hacken" (SZ vom 7. September, nicht online). All diese Texte wurden in dem Bewusstsein geschrieben, dass der Online-Journalismus seine große Zukunft verloren hat und sich nun im Jetzt für seine derzeitige Struktur zu rechtfertigen habe.

Das Ende der Zwischenzeit ist auch daran erkennbar, dass sich die schlecht platzierten Anbieter langsam in Form von E-Paper aus dem breiten Internet zurückziehen und die Marktführer so langsam die Karten auf den Tisch legen. So hat Spiegel Online nun in Cicero verraten, dass die jährlichen Einnahmen der Site bei rund 3,5 Millionen und die jährlichen Kosten bei rund 5 Millionen Euro liegen würden. Damit zeigt sich ganz konkret, wie gering die finanzielle Ausstattung des Online-Journalismus ist. Ein Jahr Spiegel Online kostet grob überschlagen so viel wie anderthalb Ausgaben des gedruckten Spiegel. Ernüchternd ist auch, wie gering damit der Anteil der journalistischen Anbieter am deutschen Online-Werbemarkt sein muss, der sich ohne Suchmaschinen-Werbung immerhin auf rund 250 Millionen Euro beläuft. Es wäre wohl schon viel, wenn ihr Anteil 15 Prozent betragen würde.

Das klarste Zeichen für das Ende der Zwischenzeit aber ist, dass im Jahr 2004 die Wachstumsraten der Nutzung von Nachrichtensites auf ein einstelliges Niveau abgesunken sind. Laut der jüngsten Umfrage aus Allensbach ACTA verloren Angebote, wie Sueddeutsche.de, Focus.de oder Bild.de, sogar erstmals Nutzer gegenüber dem Vorjahr. Auch Spiegel Online konnte sich lediglich geringfügig von 1,5 auf 1,6 Millionen Leser pro Woche steigern. Bei den "Visits" der IVW steigerten sich die Top-12-Narichtensites von Januar bis September 2004 noch gerade einmal um 2,5 Prozent; Spiegel Online immerhin noch um rund 10 Prozent. In den vergangen Jahren waren hier Steigerungsraten von 30 Prozent und mehr keine Seltenheit. Das Wachstum der Online-Werbung war schon im letzten Jahr unter die 10-Prozent-Marke gefallen. Derzeit misst Nielsen Media Research hier eine Stagnation (vgl. hier).

Dabei wurde eigentlich schon so viel erreicht: 5 Millionen Bundesbürger zwischen 14 und 65 Jahren informieren sich laut ACTA täglich im Netz über das aktuelle Geschehen. Man müsste annehmen, das es ein leichtes Wäre, dafür die erforderlichen Ressourcen einzusammeln. Doch von den 5. Millionen Lesern informieren sich nur 0,25 Millionen ausschließlich im Netz. Das Internet ist noch immer ein Zusatzmedium. Für die Nutzer ist es damit zumeist "nice to have". Die Werbeindustrie bemängelt die geringe exklusive und absolute Reichweite. Denn das Internet ist weiter klar das kleinste der journalistischen Massenmedien: Im Fernsehen informieren sich täglich 34 Millionen über das aktuelle Geschehen, in der Zeitung 26 Millionen, im Radio 18 Millionen Bei Lesern und bei Werbern steckt das Netz weiter zwischen allen Stühlen fest.

Nun, wo sich das Wachstum vorerst verlangsamt, scheinen sich die mittelfristigen Konturen der typischen Nutzung, des Angebots und der Anbieterschaft von Online-Journalismus abzuzeichnen: Alles wird auf Jahre wohl mehr oder weniger so bleiben, wie es jetzt schon ist. Das nun langsame Wachstum wird in den kommenden Jahren gerade dafür ausreichen, ein paar führende Anbieter über die Gewinnschwelle zu führen. Viel Platz für Phantasie, Qualitätsoffensiven und Experimente ist da nicht. Auf dem Online-Journalismus setzt sich langsam Staub ab.

Zum Glück ist das Ende der Zwischenzeit nicht der Schlusspunkt der Entwicklung: Irgendwann werden tolle neue Endgeräte und tolle Kabellostechniken die alten Zuwachsraten zurückbringen. Es wird alles besser. Bloß nicht gleich morgen.

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(1) Zum Artikel der FAS über die Netzeitung erreichte uns folgender Leserbrief von Michael Angele, Redakteur des "Altpapiers" in der Netzeitung:

"Liebe Perlentaucher-Redaktion,

in dem interessanten Artikel von Robin Meyer-Lucht über den Zustand des Online-Journalismus wird ein Artikel von Stefan Niggemeier verlinkt, der laut Quellennachweis in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.07.2004, Nr. 27 / Seite 27 unter dem Titel 'Die Zukunft ist gestern' erschienen ist und bekanntlich den Streit mit der Netzeitung ausgelöst hat. Allerdings ist der Artikel, der heute im Web zirkuliert, nicht identisch mit dem damals printmedial veröffentlichten.

Ich mische mich normalerweise in solche Dinge nicht ein, aber - weil es mich als Autor des 'Altpapiers' direkt etwas angeht: hier zwei Stellen, die mich damals wirklich geärgert haben und die heute fehlen:

- Die Aussage eines 'früheren Kollegen' 'Da wird mit Tagelöhnern Journalismus simuliert'.

- Ebenso die Aussage 'Die 'Altpapier'-Autoren werden, im Gegensatz zu neueren Netzeitungsmitarbeitern, ordentlich bezahlt'.

Weitere Änderungen betreffen die Nachtschichten, die Nachrichtendienste, kurzum: alle Stellen, die im dem Artikel von Gerichts wegen geändert werden mussten. Ich will nicht pedantisch scheinen, aber als Philologe gefragt: bedürfte das Dokument nicht des Kommentars? (auch das ein Problem des Online-Journalismus...) Sprich: könnte man nicht kurz an den Link anfügen, dass es sich hier um eine revidierte Fassung handelt?

Mit den besten Grüßen,
Ihr Michael Angele