Virtualienmarkt

Achtzig Prozent Gut: Moses, der iPad und ich.

Fußnoten eines Ungläubigen Von Rüdiger Wischenbart
09.02.2010. Plötzlich ist die universale digitale Weltbühne nur noch von diversen Kaisern mit ihren Allmachtsansprüchen besetzt, und Steve Jobs führt die Truppen der Gegenreformation. Für alle anderen bleibt nur noch Platz in den Ritzen.
Der Geschwurbel-Smog hat sich noch immer nicht verzogen, aber bei so viel Nebelwerferei wie rund um den Auftritt des Steve-Jobs-Hiob mit der Mosestafel vor seltsamerweise japanisch anmutender Banzai-Sonne (so anspielungsreich ironisch nur vom Economist porträtiert) gibt es eine Chance, ein bisschen Klarheit zu schaffen, nämlich zurückzufinden zu den ganz einfachen Fragen: Worum geht es? Was wird das noch alles? Wo bleibe ich dabei?

Natürlich hab ich mir eine volle Dröhnung iPad-Artikel reingezogen und gelernt, das sei die Lösung des Problems der Verlage, oder doch nur eine Fernbedienung, seine wahre Stärke liege in den Unzulänglichkeiten (weil wir uns endlich auf eine Anwendung - das Lesen! - konzentrieren sollen, und nur Nerds oder Piraten Mediendateien über Speicherkarten oder USB tauschen wollten). Und immer wieder als Coda: Die Tafel sieht so hübsch aus. Amen.

Aber mich beschäftigt anderes. Eine Zeit lang, so etwa zwanzig Jahre, sah es aus, als begleite die Geschichte der Digitalisierung der Welt ein historisch durchaus vertrautes Gerangel: Die ursprünglich einmal mehr aus militärischen Überlegungen geborene Revolution der digitalen Netzwerke gab es, auf allen Ebenen, in zwei Grundmustern: Hier als proprietäre, um Dominanz und Verfügungsmacht kämpfende zentralistische Ansätze (Modell Microsoft), dort als offene, leicht chaotische, sich dafür der permanenten Revolution verschreibende zentrumslose Schwarmtruppe agierend. Natürlich gewinnt irgendwie immer das wohlgeordnete kaiserliche Heer, aber das verhindert nicht den Fortbestand der wuselnd drängenden innovativen wie sympathischen Kräfte in den Ritzen und an den Rändern. In China funktioniert dieses Wechselspiel von Konfuzius, dem staatstragenden Weisen, gegen daoistische Zauberer seit zweieinhalb tausend Jahren.

Bloß, irgendwas scheint da, nicht in China, sondern im Westen, ernsthaft in Schieflage geraten zu sein. Denn plötzlich ist die universale digitale Weltbühne nur noch von diversen Kaisern und deren Truppen voll von Allmachtsansprüchen besetzt - und kein Platz bleibt mehr für die anderen.

Ich bin ohnmächtig staunender Zeuge von wenigstens vier totalen Ansprüchen, die sich um die Dominanz der Marktplätze und, mehr noch, um die Deutungshoheit in der Welt prügeln, mit unterschiedlichen Mitteln, deren Verwüstungsmacht jedoch ein einheitlich schreckliches Level erreicht.

Google organisiert bekanntlich das "Wissen der Welt" in zentralen Serverfarmen und hat mit seinem genialen Businessmodell des "Free" - das sich von den Konsumenten damit preislich nicht mehr unterbieten lässt - einem nuancierten, Preise und Werte immer neu aushandelnden Warenverkehr schon arg zugesetzt.

Amazon hat irgendwie als Handelshaus den Long Tail genial neu erfunden. Schon immer hat der größte Händler am Basar zwar ermöglicht, dass sich auch viele andere rund um den Marktplatz ansiedeln können, aber am Ende selbst das beste Geschäft gemacht, weil die erfolgreichen Lieferanten noch erfolgreicher und am Ende die Preise diktiert. Bloß Amazon rückt sich zusehends in eine Position, dass abseits eines Oligopols aus wenigen Firmen, die die Vertriebskanäle kontrollieren, sich zwar viele Millionen - mehr denn je zuvor - am Warenverkehr beteiligen. Aber ein gutes Geschäft ist das für die meisten der Vielen nicht mehr.

Apple hat mit iPod und iTunes die Ansätze von Google und Amazon gebündelt, jedoch nimmt es - ähnlich wie in der fast vergessenen, alten Welt das katholische Haus Weltbild aus Augsburg - die Konsumenten bei der Hand, die sich beinahe wie eine verlorene Herde auf all den Wiesen mit so unendlich vielen leckeren Angeboten verstreut hätten. Steve Jobs versammelt die Herde indessen um sich, organisiert rund um die Marke den wahren Glauben, und verspricht Erlösung und ein gutes Leben.

Mit iPod, iPhone und nun iPad dürfen wir alles, und sogar beinahe glücklich sein - nur nicht zurück ins Paradies, denn wir müssen unsere Bücher, Videos und Musik fortan von iTunes runterladen. Wenn eine "App" wie die populäre eBook-Software Stanza ermöglicht, das alles auch einfach mit Freunden per USB auszutauschen, dann verfügt Apple's "Steve" als oberster Herr über alle "Apps", dass diese Funktion abgeschaltet wird.

In wenigstens achtzig Prozent aller Medienkonsumentenfälle spielt das auch gar keine besondere Rolle. Denn ich bekomme via iTunes fast alles, und die verschiedenen iDingse sind hübscher, intelligenter und cooler als irgendeine andere Königin im ganzen Land.

Es geht jedoch um die verbleibenden zwanzig Prozent.

Die vierte Kraft, die Gutes will, und Böses schafft, ist nämlich der postmoderne Staat. Auch diesem Staat stünde das Motto von Google, "Don't be evil" gut an, und sehr viele seiner Vertreter unterschrieben es sofort!

Bloß, in der täglichen Organisation und Durchsetzung des Nicht-Bösen meinen sie, immer wieder, hier und dort, um des Guten Willen reinhauen zu müssen: Dann werden Personendaten zusammengeführt und, wegen der Kinderpornografieprävention, bürgerliche Freiheiten ein bisschen enger interpretiert, Filter definiert und Urheberrechte - natürlich zum Schutze der Urheber - noch strenger und umfassender geschützt. Ohne Unterschiedliches gleichzumachen ist doch einmal mehr zu sagen: Es sind die gleichen Filterstrategien und Routereinstellungen und IP-Adressnachweise aus den gleichen IT-Häusern, die hier und in China und sonst wo technisch wie strukturell die sehr ähnlich angelegten Grenzen ziehen zwischen den guten 80 und den verdächtigen 20 Prozent.

Für wenigstens achtzig Prozent aller Menschen ist das auch kein Problem. Denn sie bewegen sich in aller Regel innerhalb der Grenzen dieses Nicht-Bösen.

Es gab jedoch gute Gründe - und übrigens nicht nur moralische, sondern auch praktische -, wegen der verbleibenden zwanzig die Aufklärung und die Menschenrechte hervorzubringen. Denn Gesellschaften haben gelernt, den Wert von Abweichungen und unscharfen Grenzen zwischen dem Guten und dem Bösen zu schätzen. Das aber gerät vor unseren Augen plötzlich wieder in Vergessenheit.

Ziemlich am Beginn der digitalen Revolution, 1994, hat der italienische Zeichenkundige Umberto Eco wunderbar hellsichtig erkannt, dass im damals heißesten Match, zwischen Microsoft und Mac, die alten Fronten des Glaubens neu auferstanden waren:

"The fact is that the world is divided between users of the Macintosh computer and users of MS-DOS compatible computers. I am firmly of the opinion that the Macintosh is Catholic and that DOS is Protestant. Indeed, the Macintosh is counterreformist and has been influenced by the "ratio studiorum" of the Jesuits. It is cheerful, friendly, conciliatory, it tells the faithful how they must proceed step by step to reach - if not the Kingdom of Heaven - the moment in which their document is printed. It is catechistic: the essence of revelation is dealt with via simple formulae and sumptuous icons. Everyone has a right to salvation."

Ich bin mit 20 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Was wir heute jedoch erleben, sind offenbar die auf das Schisma folgenden unglaublichen Brutalitäten des Dreißigjährigen Krieges, als die beiden Glaubensrichtungen zum Treibsatz für Feldzüge um die Vormacht im Abendland geworden waren. Für die meisten Zeitgenossen bedeutete dies damals vor allem einen Kampf zwischen Angst und Schrecken, bei dem kaum ein Leben oder Gut heil geblieben ist.

Im Ernst, es wäre hoch an der Zeit, zwischen den totalen Medienweltträumen der digitalen Gründerzeitmagnaten - ob sie nun Steve, Sergej, Jeff oder Bill heißen - und den staatlichen Kontrollfetischisten wo auch immer zurück in die banale Welt zu steuern, mit ihren Träumen und Widerspenstigkeiten, mit ihren Risiken und immer neu zu verhandelnden, fragilen Balancen.

Im Kern ist diese Glosse deshalb auch ein striktes Plädoyer für kleinliche Gesten und gegen Heilsversprechungen. Ich werde mir kein iPad zulegen, wenn es keine USB-Öffnung hat, werde meinen Google-Verkehr aufmerksam kontrollieren, Amazon, so praktisch es ist, beargwöhnen - und vor allem auch weiterhin keine Partei wählen, die Sicherheitserwägungen oder Klienteninteressen über den Persönlichkeitsschutz stellt.

www.booklab.info