Virtualienmarkt

Das E-Book kommt, aber wer braucht einen Kindle?

10.02.2009. Amazon hat den neuen Kindle vorgestellt - aber braucht man überhaupt ein eigenes Lesegreät oder reicht nicht das Mobiltelefon? Und was wird ein elektronisches Buch kosten?
Allmählich mausert sich das Gerangel ums elektronische Lesen zum spannendsten Henne-Ei Rennen der jüngeren Mediengeschichte - und nicht einmal die Hauptakteure scheinen sehr präzise Vorstellungen zu haben, was dabei die Spielregeln sind. Noch krasser: Im Augenblick tobt die heftigste Territorialschlacht um die Frage, welches Spielfeld überhaupt umkämpft sein wird.

Montag dieser Woche hat Amazon nun in der ehrwürdigen New Yorker Morgan Library die nächste Version seines Lesegeräts Kindle vorgestellt. Die Inszenierung sollte gewiss ähnlich Wellen schlagen wie die kultigen Auftritte eines Steve Jobs, als der mit iPod und iTunes die Musikindustrie überrannte.



Schon aufgrund der ersten Fotos und Echos darf man in diesem Punkt wohl gelassen abwinken. Glamour sieht anders aus. Das Gerät, das in allen Details den vorab gestreuten Gerüchten entspricht - nur noch so dick wie ein Bleistift, verbessertes Display auf der Basis von E-Ink, Download über Amazons eigenes, nur in den USA verfügbares Wireless Netz, Features für Randnotizen, Downloads oder Mailfunktionen, als einzige wirkliche Neuerung, die Möglichkeit, sich die Texte vorlesen zu lassen. Und das Design - ätzt der New Yorker Branchenjournalist und Meinungsmacher Michael Cader in seinem Newsletter Publishers Lunch - das Design habe wohl wiederum Jeff Bezos' Schwager in seiner kargen Freizeit gebastelt.

Mit dem Kindle 2.0 hat Amazon also ganz auf eine schlichte, robuste Henne gesetzt, das rechte Nutztier für all die in ihrem Leseverhalten stockkonservative und ganz und gar langweilige Zielgruppe der Bücher-Vielleser.

Nur Tage vor der Kindle 2.0-Präsentation hatten aber auch die Verfechter des Eis ihre großen Auftritte. Vielleicht, hört man immer deutlicher, geht es nämlich beim E-Book gar nicht ums Kästchen, weil nur wenige sich noch ein elektronisches Gerät anschaffen wollen, um es neben Notebook und Multifunktionstelefon in die Tasche zu packen.

Vielleicht geht es vielmehr um den möglichst einfachen und allgegenwärtigen Zugang zu den unterschiedlichsten Inhalten. Das wäre das "Ei".

Und auch hier ist Amazon aktiv - wenn auch nicht federführend. Vorigen Donnerstag gab es die Ankündigung, wonach die immerhin schon 230.000 für das Kindle verfügbaren Buchtitel plus Zeitungen, Zeitschriften und Blogs im Abo demnächst auch für ausgewählte Mobiltelefone verfügbar sein würden.

Dies ist natürlich auch das Spielfeld, auf dem Google und Apple hochaktiv sind. Google kündigte ebenfalls am Donnerstag der Vorwoche an, man wolle anderthalb Millionen rechtefreie Bücher auf Handys verfügbar machen. Von Apple wiederum hört man immer neue Wasserstandmeldungen, wonach unterschiedlichste Lesesoftware für das iPhone rasch zum Renner avanciert sei.

Amazon hat als Buchhändler den Vorteil, etwa den Großteil der aktuellen Bestseller zur digitalen Verbreitung verfügbar zu haben, mehrheitlich zum günstigen Einheitstarif von 9,99 Dollar was gegenüber der Printausgabe einem Rabatt zwischen 20 und 60 Prozent entspricht.

Was gleich die nächste - und vielleicht die entscheidende - Gefechtslinie markiert: Was werden und was dürfen elektronische Bücher im Download kosten?

In Deutschland kämpft die Branche hartnäckig um die Beibehaltung des festen Ladenpreises und um gleiche (oder fast gleiche) Preise für elektronische und gedruckte Ausgaben. In anderen Ländern, etwa in Spanien, wird bereits mit Diskontpreisen um die 5 Euro fürs digitale Buch experimentiert. Manche amerikanische Verlage wie Harper Collins liebäugeln mit Kombi-Angeboten, wo dem Käufer des gedruckten Buches gegen einen kleinen Aufschlag die digitale Version mitgeliefert werden kann.

Vor allem aber wirft dies auch die Frage auf, ob sich digitale Ausgaben nicht, wie Taschenbuch oder Hörbuch zuvor, sehr rasch als eigenständiges Format etablieren werden - und dies mit eigenständigen Preisstrukturen.

Warum, lässt sich dann gleich weiter fragen, sollen dann nicht neue Akteure auftreten, die es etwa den Zeitungen mit ihren sensationell erfolgreichen Beipack-Buchserien nachmachen. Diese Serientitel hatten sehr rasch alle bis dahin bestehenden Preislimits unterlaufen. Wir erinnern uns, die "Süddeutsche Bibliothek" kostete pro Band mit 5 Euro gerade einmal die Hälfte eines Taschenbuchs. Ob sich da ein Buchpreis für digitale Titel durchdrücken lässt, der pro Band so viel kostet wie einen ganzen Monat zu telefonieren?

Noch ist unklar, wann es das Kindle auch in Europa geben wird. Aber es scheint ebenso klar, dass auch in Europa mehr und mehr Inhalte digital vertrieben und genutzt - also auch gelesen - werden. Da könnte es durchaus sein, dass sich eine interessante kulturelle Zweiteilung ergibt, mit dem US Lesemarkt als überwiegend Hennen-Land, und Europa als Ei-Territorium, wo der andere Umgang insbesondere mit Mobiltelefonen und SMS auch einen anderen Lesezugang entwickelt. Es bleibt spannend.

Rüdiger Wischenbart