Virtualienmarkt

Die Öffentlich-Rechtlichen und das Internet: Zweite Folge

Von Robin Meyer-Lucht
26.09.2007. Der Virtualienmarkt hat zusammen mit Lesern eine Liste mit Argumenten zu Pro & Contra eines verstärkten öffentlich-rechtlichen Engagements im Internet zusammengestellt. Hier ist das Ergebnis.
Am 22. August erschien an dieser Stelle ein Text zu einem der zentralen - man konnte es ahnen, aber in dieser Intensität nicht absehen - Reizthemen der derzeitigen Medienpolitik: dem Pro & Contra für ein verstärktes öffentlich-rechtliches Engagement im Internet. Der Text mündete in eine Liste mit sechzehn Argumenten - verbunden mit dem Aufruf an die Leser, weitere Argumente beizutragen.

Nachdem jahrelang über das Zusammenwachsen aller Medien im Internet nur geschrieben wurde, zeichnet sich diese Konvergenz nun tatsächlich ab. Es kommt zum Gerangel um die digitale Zukunft der Institutionen der analogen Medienordnung. Das Experiment, in diesem Umfeld eine Argumentliste kooperativ mit Lesern zu vervollständigen, ging auf. Ein Dutzend E-Mails erhielt der Autor. Das eine oder andere Argument bekam er auch nur mündlich gesteckt. Medienpolitik ist ein diskretes Feld.

Die allererste Mail-Reaktion auf den Artikel kam von Hans-Peter Kraus. Kraus, der unter gebuehren-igel.de eine Initiative gegen die PC-Gebühr betreibt, schlug gleich acht zusätzliche Kontra-Argumente vor, von denen zwei besonders hervorstachen: Erstens sei es falsch, im Internet vom Modell eines dualen Systems auszugehen, weil dort neben öffentlich-rechtlichen und privatkommerziellen Anbietern auch zahlreiche andere nichtkommerzielle, zivilgesellschaftliche Institutionen, wie etwa Universitäten oder Stiftungen, an der Meinungsbildung mitwirken würden. Zweitens habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben, dass es keine öffentlich-rechtlichen Zeitungen geben solle. Die Meinungsvielfalt im Internet gehe noch über die Printwelt hinaus. Wie könne da eine öffentlich-rechtliche Komponente gefragt sein?

Mathias Knauer aus der Schweiz betonte in seiner E-Mail dagegen, wie wichtig für Nutzer angesichts knapper Zeitbudgets eine Nachrichtenauswahl unter "nicht merkantilen Motiven" sei. Knauer erinnerte damit indirekt erneut an die von Jürgen Habermas in diesem Essay artikulierten Zweifel an einer uneingeschränkten Konsumentensouveränität in Sachen politischer Journalismus: Der Leser wisse keinesfalls schon immer vollständig vorher, was er wolle, sondern seine Vorlieben würden durch das Angebot auch geprägt. Daher bedürfe es eines gesellschaftlich verantwortungsvollen, nicht allein marktwirtschaftlich organisierten Sendungsbewusstseins.

Ein weiteres Pro-Argument, das mehrfach in Einsendungen genannt wurde, besteht in der Funktion der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Gegengewicht zu privater Medienmacht und als Garant für eine Kontinuität der Politik-Vermittlung. Zudem sei gerade im Umfeld zunehmend von PR geprägter Online-Information die "Leuchtturmfunktion" der öffentlich-rechtlichen Anbieter besonders wichtig.

Ein durch jüngste Aktualisierung erheblich gestärktes Argument für ein öffentlich-rechtliches Online-Engagement ist das Urteil des Verfassungsgerichts vom 11. September 2007. Die Richter wiesen erneut auf die Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hin. Sie betonten, dass seine Funktion im digitalen Umfeld noch wichtiger sei - ohne allerdings eine genaue Begründung dafür zu liefern. Die aus Artikel 5 GG abgeleitete Verpflichtung des Gesetzgebers, ein nichtkommerzielles Regulativ zu schaffen, erstrecke sich, so die Richter, auch auf das Internet. Eine restriktive Einschränkung der öffentlich-rechtlichen Online-Aktivitäten, so lässt sich das Urteil interpretieren, würde Karlsruhe wohl für verfassungswidrig erklären.

Fasst man die alte Liste und die neuen Argumente zusammen, kommt man auf eine Sammlung von insgesamt 22 Argumenten: 11 Pro und 11 Contra. Auch dies kann nur eine vorläufige Liste sein. Zu Details einer möglichen öffentlich-rechtlichen Beauftragung für das Internets vermag sie nur wenig beitragen. Sie vermag aber das Spektrum möglicher Argumentationslinien im Grundsatz zu skizzieren. Die im Dialog mit den Lesern neu hinzugekommen Argumente sind rot gekennzeichnet.


Pro:

1. Die privaten Online-Nachrichtenangebote neigen zunehmend zur Überdrehtheit und einem Journalismus des Spektakels. Im Kampf um Reichweiten und Seitenabrufzahlen opfern sie die Standards einer seriösen Berichterstattung. Die öffentlich-rechtlichen Angebote sind als Regulativ und Alternative sind hier dringend erforderlich. Das unaufgeregte Angebot von tagesschau.de zeigt schon heute, das öffentlich-rechtliche Angebote im Netz dringend erforderlich sind.

2. Die Öffentlich-Rechtlichen bieten wirksamen Schutz gegen eine zu starke private Medienmacht. Die wenigen Akteure der privaten Medienwirtschaft besitzen bereits heute eine starke Meinungsmacht. Zukünftig können sie diese möglicherweise ausbauen oder rein profitorientierte Investoren an ihre Stelle treten.

3. Das Internet bietet den öffentlich-rechtlichen Anbietern eine hervorragende technische Infrastruktur, um mittels individualisierter Abruf-Angebote die Nachhaltigkeit ihrer Programm zu steigern. Ihren Programmauftrag können sie so viel besser nachkommen.

4. Die öffentlich-rechtliche Kernidee, wonach es wünschenswerte Inhalte gibt, die von ökonomischen Marktmechanismen allein nicht zur Verfügung gestellt werden, hat weiterhin hohe Gültigkeit. Eine rein privatwirtschaftliche Organisation des Mediensystems ist nicht wünschenswert. Zumindest in allen neu hinzukommenden journalistisch geprägten Medien sollten sich die öffentlich-rechtlichen Anbieter engagieren dürfen.

5. Die Ware politische Kommunikation stellt die Präferenzen ihrer Nutzer zugleich auf den Prüfstand und transformiert sie. Daher ist es wichtig, dass es Anbieter gibt, die sich nicht merkantil, sondern vor allem normgeleitet verhalten. Im Eigeninteresse an einem diskursiv vitalen Klima muss der Gesetzgeber hier besondere Rahmenbedingungen schaffen.

6. Zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehört unbestritten die Erstellung und Verbreitung von TV- und Radio-Programmen. Das Internet etabliert sich als Distributionsweg für derartige Inhalte - folglich kann man den öffentlich-rechtlichen Anbietern den Zugang hier nicht verwehren. Wenn PCs rundfunkgebührenpflichtig, sollen sie auch weite Teile des Programms empfangen können.

7. Werbung im Netz nervt. Inhalte und Konsum stehen so immer direkt nebeneinander. Werbefreie Angebote aber sind nur über Gebührenfinanzierung möglich.

8. Im Internet gibt es eine Vielzahl neuer PR-Akteure, die ihr Kommunikationsinteresse mit dem Gewand von Journalismus und objektiver Information tarnen. In diesem Informationswust ist die "Leuchtturmfunktion" der öffentlich-rechtlichen Anstalten dringend erforderlich.

9. Da Rundfunkgebühren von allen gezahlt werden, muss folglich zukünftig auch im Internet ein Programm für alle gemacht werden. Eine Festlegung der öffentlich-rechtlichen Anbieter allein auf Qualitätsprogramme würde sie übermäßig einschränken.

10. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine Integrationsaufgabe, die er nur durch das Erreichen großer Bevölkerungsgruppen wahrzunehmen vermag. Als Summe aus Nischenprogrammen ist eine solche Funktion nicht denkbar. Es ist daher auch nicht abzulehnen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach Quote strebt.

11. Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst unmissverständlich klar gemacht, dass nur eine angemessene öffentlich-rechtliche Präsenz im Internet die verfassungsrechtlich gebotene Pluralität der Medienordnung zu sichern vermag.


Kontra:

1. Ein zentraler Teil der öffentlich-rechtlichen Legitimation, der mangelnde Qualitätswettbewerb aufgrund eines eingeschränkten Frequenzspektrums, entfällt im Internet. Es besteht kein technisch begrenzter Zugang zu Senderfunktionen mehr, der zu einem Marktdefizit führt.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat auch festgestellt, dass es für öffentlich-rechtliche Zeitungen keine verfassungsrechtliche Grundlage gibt. Das Gericht sollte anerkennen, dass das Internet mit seiner Anbietervielfalt und seiner weiterhin stark textjournalistischen Ausrichtung mindestens ebenso sehr dem Presse- wie dem Rundfunkumfeld ähnelt.

3. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben ihren Programmauftrag in den letzten Jahren über weite Strecken stark vernachlässigt und sich weitgehend - Quote vor Qualität - wie private Rundfunkanstalten verhalten. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten nutzen die Gebührenfinanzierung nicht ausreichend, um sich von der Quote unabhängig zu machen, sondern sehen in der Privatwirtschaft eine Konkurrenz um Aufmerksamkeit und damit mittelbar um die Höhe zukünftiger Gebührenerhöhungen.

4. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten greifen in den publizistischen Wettbewerb stark privilegiert ein. Sie nutzen ihre Finanzstärke zum Teil, um die Privatwirtschaft aus dem Markt zu drängen. Ein solches Verhalten muss im Internet im Interesse der vorhandenen Anbieter und eines sinnvollen Ressourceneinsatzes verhindert werden. Die Anstalten sollten ihr Gebührenprivileg nach dem Subsidiaritätsprinzip vor allem für gesellschaftlich gewünschte Angebote einsetzen, die sich nicht über den Markt refinanzieren lassen.

5. Den öffentlich-rechtlichen Anstalten fehlen wirksame Institutionen und Mechanismen, die sie verbindlich auf ihren Qualitätsauftrag fokussieren. Es fehlt eine Management-Kultur, ihre Produktivität und die Erfüllung ihres Programmauftrags effizient zu reflektieren sowie Strukturen infrage zu stellen. Die bislang von den Anstalten veröffentlichen Leitlinien der Programmgestaltung sind Dokumente der Rechtfertigung, nicht der Reflexion.

6. Im Internet kann es gar kein duales System geben: Neben öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Anbietern gibt es eine Vielzahl von unkommerziellen, zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie Institutionen, Stiftungen oder Universitäten, die ebenfalls wertvolle aktualitätsbezogen-politische Information kostenfrei verbreiten. Die Notwendigkeit für ein öffentlich-rechtliches Regulativ im Netz ist damit deutlich geringer ausgeprägt als in den klassischen Medien.

7. Die bisherigen Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Anbieter lassen für die Expansion nichts Gutes ahnen. Für bereits jetzt rund 50 Millionen Euro produzieren die öffentlich-rechtlichen Anbieter zu wenig meinungsbildende Angebote und zu viel Durchschnitts-Journalismus.

8. Der im Kern normative oder gar paternalistische Ansatz des öffentlich-rechtlichen Systems, wonach der Mediennutzer nicht immer genau wisse, was gut für ihn ist, muss jedem Internetnutzer anachronistisch erscheinen.

9. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mögen sich auf ihre formaljuristische Staatsferne berufen, unbestritten sind sie aber verstrickt in die Interessen von Parteien und Regierungsinstitutionen. Sie bieten der etablierten politischen Elite vor allem einen gesicherten Zugang zur Öffentlichkeit. Dabei bleibt Kritikfähigkeit auf der Strecke.

10. Öffentliches Geld für wertvolle Inhalte im Internet solle es weiterhin geben - nur sollten mit der Bereitstellung nicht allein die öffentlich-rechtlichen Anstalten beauftragt werden, um das bisher bestehende bilaterale Monopol zwischen Politik und Anstalten aufzubrechen. Ein Teil des Geldes sollte, ähnlich wie bei Kulturförderung, über Ausschreibungen an unabhängige Anbieter vergeben werden.

11. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten legen bislang wenig Wert darauf, die Öffentlichkeit in die Diskussion um ihre Rolle im Internet einzubeziehen. Dies müsste der erste Schritt zu einem stärkeren öffentlich-rechtlichen Engagement in diesem Medium sein.

Robin Meyer-Lucht