Virtualienmarkt

Innovation Phono Collect

Von Robin Meyer-Lucht
03.02.2004. Während uns die nächste Welle von Internet-Anwendungen aus den USA erreicht, wurschteln Teile der hiesigen Internetwirtschaft zaghaft und in Toll-Collect-Manier vor sich hin. Was helfen da Kanzler-Runden?
Das Internet stabilisiert sich zusehends um einen Kanon sattsam eingeschwungener Ideen und Geschäftskonzepte. Dieser Kanon lautet verkürzt gesagt: Ebay, Amazon, Yahoo, Google, E-Mail/Hotmail und Filesharing. Manchmal hat man den Eindruck, als würde sich eine erste Staubschicht auf dieses Internet legen und vielen scheint es schwer zu fallen, sich neue erfolgreiche Anwendungen vorzustellen.

Doch aus den Vereinigten Staaten werden dieses Jahr zwei weitere Anwendungen nach Europa kommen, die beste Aussichten zur Aufnahme in den Kanon der großen Applikationen haben: Der Online-Musikladen iTunes und der Bezahlservice PayPal.

Mit iTunes hat Apple gute Chancen, sich langfristig als einer der global führenden Online-Musikhändler zu etablieren. Der im vergangenen Jahr gestartete und sattsam gefeierte Dienst bot zudem als erster eine umfassende Auswahl, das 99-Cent-pro-Song-Preismodell und ein nicht ganz so restriktives Rechtemanagement wie seine Vorgänger. Musikindustrie oder Handel fehlt es dagegen bislang an Kraft und Können, eine ähnlich einfache und bekannte Applikation zu entwickeln.

In Deutschland geriet das Konkurrenzprodukt "PhonoLine" unterdessen zu einer Art "Phono Collect". Auch bei der vierten Übergabe durch die Deutsche Telekom habe die Download-Plattform noch erhebliche Mängel aufgewiesen, so Heise Online. Ursprünglich sollte der Dienst im Oktober vergangenen Jahres starten. Wie Toll Collect leidet auch PhonoLine augenscheinlich daran, dass die Projektpartner die Plattform mit eigenen Interessen überfrachten. So wollte die Deutsche Telekom wohl, wie schon beim wenig nutzerfreundlichen Testballon popfile, den Dienst nutzen, um den hauseigenen Bezahlservice T-Pay flächendeckend einzuführen.

PayPal ist hierzulande noch weitgehend unbekannt. Das System erlaubt es, im Internet Geld einfach, nahezu kostenlos und ohne Verzögerung wie eine E-Mail zu verschicken. Der Dienst setzt versiert auf den technischen Optionen des Netzes auf und gibt Kostenvorteile zu einem erheblichen Teil an seine Nutzer weiter. Die Site ist zugleich eine Goldgrube für seine Besitzer. Das Geschäftsmodell tendiert zum natürlichen Monopol und man kann den Nutzern ganz unauffällig ein wenig Geld abzweigen. Ein europäisches Konkurrenz-Angebot zu dem Dienst, der bereits über 40 Millionen Konten verwaltet, gibt es offenbar gar nicht.

PayPal gehört seit Oktober 2002 zum Ebay-Konzern. Der Dienst ergänzt die Auktions-Plattform sehr gut. Zudem kann Ebay so nun seine Vorherrschaft im Auktionsmarkt auch auf den Online-Zahlungsverkehr ausweiten.

Bei iTunes und PayPal lässt sich sehr gut mitverfolgen, wie amerikanische Firmen ihre Dominanz in einem Feld auf neue ausdehnen. Um einen Kern aus IT- und Applikationen-Kompetenz entstehen neue Anwendungen und werden Märkte besetzt. In Deutschland hat die Medienindustrie dagegen ihren Versuch, zur Internet-Medienindustrie zu werden, bis auf das journalistische Kerngeschäft weitgehend aufgegeben. Nur ganz selten noch wagt es ein klassisches Medienhaus, eigene Applikationen zu entwickeln. Wer aber von Algorithmen nichts wissen will, kommt im Internet nicht weit.

Dabei war vieles, was um das Jahr 2000 angeschoben wurde, einfach auch zu mittelmäßig und zu unentschlossen. Niemand braucht "auch ganz gute" Suchmaschinen oder "auch ganz gute" MP3-Player. Auf den Ausprobiermodus folgte hierzulande nur selten der engagierte Global-Durchsetzungsmodus.

Die US-Amerikaner erweisen sich mal wieder als die besseren Medien-Kapitalisten. Im Land der schamlosen Marktwirtschaft und der guten Laune wird aus neuer Medientechnik eher ein Geschäft. Technologische Potenziale werden strategischer analysiert und nachhaltiger durchgesetzt. Die neoliberalisierten Deutschen gerieten dafür im Jahr 2000 in einen extragroßen Taumel, auf den eine bis heute andauernde Technologie-Zaghaftigkeit folgte.

Falls der Kanzler sein Irgendwas-ist-fuer-alle-dabei-Thema "Innovation" weitertreiben wollen sollte, könnte die Situation bei den Internet-Applikationen für Endkunden vielleicht als Lehrstück dienen. Irgendwo auf dem Weg ist da irgendein Vorsprung, irgendeine analytisch versierte Entschlossenheit irgendwie verloren gegangen oder war nie da.

Innovation ist aber nicht nur Management-, sondern auch Medienaufgabe. Langsam hat man genug Selbstversicherungsartikel gelesen, in denen steht, was für tolle und profitable Firmen Amazon und Ebay sind. Die kritische Suche nach Weiterentwicklungen könnte wieder anfangen. Zu einem guten Journalismus gehört dabei auch, ein Modell zu haben, wie sich Innovationen durchsetzen, um auch die richtigen hochzuschreiben. Diesen Punkt bitte in die nächste Kanzler-Rede aufnehmen.