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Literarischer Hegemon

Von Rüdiger Wischenbart
15.03.2006. Als der französische Medienriese Hachette vor kurzem die Buchsparte von Time Warner übernommen hat, sind patriotische Abwehrreflexe in den USA ausgeblieben. Weil Europa ohnehin schon den globalen Buchmarkt dominiert.
Europa ist die Weltmacht in Sachen Buch! So hätte die Schlagzeile unlängst lauten können - die zum Glück nirgendwo erschienen ist -, als die nächste Übernahme eines US amerikanischen Großverlags durch einen europäischen - diesmal sogar einen französischen - Verlags- und Waffenkonzern angekündigt worden ist.

Doch während die drohende Übernahme von sechs großen amerikanischen Häfen durch "Dubai Ports World" in Washington als eine feindliche Übernahme amerikanischer Schlüsselinteressen wahrgenommen wurde und letztlich sogar gegen das grüne Licht aus dem Weißen Haus am breiten politischen Widerstand gescheitert ist, krähte kein patriotischer Hahn, als der französische Medien- und Waffenkonzern Lagardere / Hachette die schon länger zum Verkauf angebotene Buchsparte von Time Warner übernahm.

Immerhin 537,5 Millionen Dollar legt Lagardere nun auf den Tisch, und die International Herald Tribune notierte, dass hier ausnahmsweise eine Feder mehr wog als eine Langstreckenrakete - zugegeben eine anschauliche, wenngleich auch überzogene Metapher für den Strategiewechsel des am europäischen Rüstungskonsortium EADS maßgeblich beteiligten Konzerns Lagardere, der aller militärischen Konjunkturen zum Trotz zunehmend sein Medienstandbein ausbaut und dabei ausgerechnet aufs althergebrachte Buch setzt.

Seit 1998 der deutsche Bertelsmann Konzern durch die Übernahme von Random House zum größten amerikanischen Publikumsverlag gewachsen ist, hat Europa mächtig zugelangt in der Welthauptstadt des Buches, in New York. Die nahezu zeitgleiche Einkaufstour des biederen Hauses Holtzbrinck aus Stuttgart hatte damals noch Reporter von Vanity Fair zu einer ausholenden Analyse der familiengeschichtlichen Verwicklungen deutscher Verlage im Dritten Reich provoziert. Später gab es dann gerade noch in der New York Times ein ätzendes, wenngleich folgenloses Porträt des Random House Statthalters Peter Olson - der vom Times Square aus auch die deutschen Buchverlage von Bertelsmann regiert, darunter Goldmann, DVA, Heyne oder Luchterhand. Seit Bernhard Schlinks USA-Bestseller "Der Vorleser" aber sind "books from Germany" wieder gute Bücher und gelten neuerdings, mit Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt", sogar als frei von allem sauertöpfischen Schwermut der 'Krauts?.

Solch eine Karriere Europas als globaler Buchmacht schafft ein seltsames Bild, umso mehr als die überwiegende Mehrzahl der internationalen Bestseller mehr denn je von US amerikanischen Autoren dominiert wird und der amerikanische Markt wie eh und je zu erst einmal auf sich selbst fokussiert ist - so sehr, dass die Einladung der deutschen Kanzlerin Merkel an Präsident Bush für einen Auftritt der USA als Gastland zur Frankfurter Buchmesse selbst den amerikanischen Fachmedien nur ein paar skeptische Zeilen wert war.

Dennoch, gerade auch wichtige Literaturverlage in den USA schicken ihre Bilanzen an Headquarters in Europa - Random House nach Gütersloh, Farrar Strauss & Giroux oder St. Martin?s Press nach Stuttgart, Penguin nach London, ganz zu schweigen von den Bereichen Fachbuch und Wissenschaft. Springer ging unlängst von Bertelsmann an eine gemischte britisch-internationale Investorengruppe. Reed Elsevier - mit Gewinnen von gut 33 Prozent, die eine Menge kontroverser Debatten in Wissenschaftszirkeln entfachten - ist ein holländisch-britisch-amerikanisches Konsortium. Mit VNU und Wolters Kluwer sind zwei weitere europäische Konzerne weltweit führend im Geschäft. Schulbücher von England über Südafrika, Indien, Australien bis Russland und Zentraleuropa sind eng verwoben mit Pearson Education, deren Leiterin der Rechte- und Lizenzabteilung eine Doyenne der Branche ist, deren Rat auch die Europäische Kommission gerne nachfragt. Pearson Education und Penguin sind gemeinsam etwa so groß wie Random House plus die Buchclubs von Bertelsmann.

Kurzum, es ist hier von tatsächlichen Schwergewichten die Rede. Das Buch ist eine zunehmend europäische Sache. Die besondere Pikanterie dabei ist: Die Klage über die Bedrohung des Buches ist ebenso eine europäische Domäne.

Maßgebliche Repräsentanten der europäischen Buchkultur - vom Präsidenten der französische Nationalbibliothek über verschiedenste Verbände bis zu einflussreichen Politikern - reiben sich seit gut einem Jahr an der Suchmaschine Google und dessen Buch-Projekten mit dem Vorwurf, hier würde ein amerikanischer - und zudem branchenfremder - Informationskonzern die Vielfalt in den Wissensgesellschaften monopolisieren.

So hat sich der internationale Buchmarkt zwischen dies- und jenseits des Atlantiks auf eine eigenartige Art und Weise ausgemendelt. Das 'Buch? mit dem großen kulturellen 'B? schipperte, nach langem Hin und Her, zurück nach Europa, wohin es offenbar als eine in seiner kulturellen Vielfalt ein wenig schwierige Materie besser passt.

Das kleine 'b? jedoch, die 'bestseller?, als Verwertungskern für eine dramatisch wachsende Vielfalt an Verwertungsmöglichkeiten für 'intellectual property rights? - vom Buch zum Seller zum Film zum Game - ist ein genuines Treibmittel im multimedialen Power-Viereck zwischen New York (Verlage), Los Angeles (Film), Seattle (Amazon) und Mountain View (Google).

Das vergleichsweise geringe Interesse an der Übernahme von Warner Books durch Hachette ist natürlich bedauerlich, wenngleich ironisch nachvollziehbar. Wer interessiert sich schon im vergleichsweise weltlichen Europa für Bücher wie "101 Things You Should Do Before Going to Heaven?.

Wenn in diesen Tagen in Leipzig in zahlreichen Gesprächsrunden zur europäischen Literatur (und wohl auch in europäischen Lobbyisten-Gremien zu Google Book Search, dessen europäischem Gegenstück Quareo (mehr) und dem deutschen Pendant Büchersuche Online) die Debattenbeiträge und die Interessensbekundungen hoch gehen, dann wäre, neben den Punkten, die ohnehin auf der Tagesordnung stehen, auch dies eine zentrale Frage: Was tun jene europäischen Konzerne, die das "Buch" weltweit zu einem großen Teil kontrollieren, für das innovative und vielfältige Gespräch rund um die Kultur und das Buch? Anders formuliert: Was tun die europäischen Buchkonzerne für das europäische Buch?