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Ungeliebte PC-Gebühr

Warum die ARD auf die Diskussion zur PC-Gebühr verschnupft reagiert. Von Robin Meyer-Lucht
16.10.2006. Diese Woche fällt die Entscheidung der Ministerpräsidenten über die PC-Gebühr. Sie könnte auch eine Debatte über die zunehmend diffuse Legitimationsgrundlage und mediokren Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen anstoßen.
Vor einem Monat, am 15. September, kam es zu einem gereizten medienpolitischen Schlagabtausch auf der ganz großen Bühne: Bild spottete halbseitig, die ARD habe das Internet "als sprudelnde neue Quelle für neue Zwangsgebühren" entdeckt und wolle nun auch bei der Generation iPod "abkassieren". Die ARD reagierte noch am gleichen Tag mit einem wenig ausgewogenen, fast grantigen Beitrag in der Tagesschau. Darin behauptet sie, die Gebührpflicht für Internet-PCs sei allein eine Initiative der Länderparlamente und es gehe lediglich um "Radioprogamme aus dem Internet".

Keine der Behauptungen beider Seiten trifft den Kern des Konflikts oder ist sachlich korrekt. Die ARD macht sich sehr wohl auch für die Gebührenpflicht von Internet-PCs stark. Sie tut dies jedoch nicht des Geldes wegen, sondern zunächst einmal aus Prinzip. Die Länderparlamente wiederum haben der ARD diese Debatte lediglich zur Unzeit beschert.

Diese Woche wollen die Ministerpräsidenten endgültig über eine Gebührpflicht für "neuartige Rundfunkempfangsgeräte" vulgo Computer entscheiden. Eine weitere Aussetzung der im Gesetz bereits verankerten Pflicht ist praktisch unmöglich. Sie müsste von 16 Länderparlamenten beschlossen werden. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen die Aufregung über die Gebühr möglichst klein halten. Sie haben daher vorgeschlagen, statt der vollen Gebühr von 17,03 Euro lediglich den für Radio-Geräte üblichen Satz von 5,52 Euro zu verlangen.

Mit der "PC-Gebühr" bricht auf der Ebene des Gebührenrechts der bislang über Formelkompromisse beruhigte Konflikt um die Grenzen des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags erneut auf. Auf der Ebene des Angebots gilt bislang die von Medienpolitik und Privatwirtschaft erzwungene Selbstverpflichtung der Öffentlich-Rechlichtlichen, ihren "programmbegleitenden" Online-Aufwand auf 0,75 Prozent ihrer Ausgaben zu begrenzen. Was genau die Begründung für diese Begrenzung ist, sagt niemand sehr laut. Vor allem nicht die Medienpolitik. Klar ist hingegen die Konsequenz: Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen ein bisschen Internet machen, es handelt sich aber um keine vollwertige dritte Programmsäule neben Radio und TV.

Diese medienpolitische Hängepartie wird nun durch das Rundfunkgebührenrecht durchgeschüttelt. Denn das Internet ist zwar keine vollwertige Programmsäule der Öffentlich-Rechtlichen, inzwischen aber ein vollwertiges Medium zur Übertragung von Rundfunk im Sinne des Gebührenrechts. Der PC wird juristisch zum Rundfunkempfangsgerät, wenn er sich zum "nicht zeitversetzten" Empfang audiovisueller Inhalte eignet. Damit eröffnet das Gebührenrecht den Öffentlich-Rechtlichen eigentlich eine zweite Chance auf die juristische Selbstbeauftragung in Sachen Internet. Doch statt dies selbst- und sendungsbewusst voranzutreiben, ist den Öffentlich-Rechtlichen die Diskussion um die PC-Gebühr spürbar unangenehm. Sie reagieren abwehrend, merkwürdig verschnupft.

Dafür gibt es im Kern zwei Gründe:

1. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen eine Diskussion über die Grenzen des Mediensystems Rundfunk und damit über ihre mit zunehmend mit tradierten Formeln beschworene Legitimation vermeiden.

Die Öffentlich-Rechtlichen verschanzen sich in Legitimationsfragen hinter dem Schild von Verfassungsgerichtsurteilen. Hermann Eicher, Leiter der öffentlich-rechtlichen Arbeitsgruppe Gebührenrecht, benutzt gegenüber dem Perlentaucher die aus Karlsruhe bekannten Formeln: Der Rundfunk sei eine "immanente Plattform der öffentlichen Meinungsbildung", bei der "die Vielfalt aller Meinungsrichtungen angemessen zu Wort" kommen müsse. Wegen der "Knappheit der Übertragungskapazitäten" und der "enormen Kosten" müsse Rundfunk reguliert werden, um Meinungsvielfalt zu sichern. Die "Unmittelbarkeit von Ton und Bild" habe zudem eine "starke, unmittelbar und suggestiv wirkende Einflussmöglichkeit auf den Rezipienten", die nicht allein in privatwirtschaftlichen Händen liegen dürfe.

Der Wucht dieser Verfassungsrichtersprüche kann, zur Freude der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die kleinteilige, auf 16 Länderparlamente verteilte bundesdeutsche Medienpolitik nicht die Stirn bieten. Doch die dahin schmelzende Relevanz dieser häufig über 20 Jahre alten Argumente ist offensichtlich. Eine semiotisch-ökonomische Sonderstellung des Rundfunks lässt sich möglicherweise gerade noch für die klassischen Verbreitungswege begründen, ganz sicher aber nicht für das Internet. Ohne medientechnische Sonderstellung aber stellt sich die Frage nach dem Kern der Gebührenpflicht neu.

2. Die Öffentlich-Rechtlichen möchten nicht über ihre bislang mediokren Online-Angebote besprechen. Sie möchten sich nicht der Frage stellen, inwieweit es ihnen gelingt, ihren Programmauftrag online einzulösen.

Die öffentlich-rechtlichen Internetangebote sind häufig blass und glanzlos geblieben (mehr hier). Sie bieten viel journalistische Pflicht, wenig Herausragendes. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenangebote tun sich im Wettbewerb um Deutungshoheit und Reichweiten schwer. Mehrere Landesmedienreferenten bemängelten kürzlich, wie Spiegel Online schadenfroh zitiert, dass meinungsbildende öffentlich-rechtliche Online-Angebote "nicht, nicht in ausreichendem Umfang oder hinreichender Qualität" vorhanden seien. Hierzu passt auch, dass bislang kein nationales öffentlich-rechtliches Nachrichtenangebot einen Grimme Online Award erhalten hat.

Die Finanzausstattung der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote ist dabei so gering nicht. So kann die ARD im aktuellen Jahr laut offizieller Finanzplanung über 42,4 Millionen Euro für ihre Online-Auftritte (hier die offizielllen Zahlen in einem pdf-Dokument) ausgeben. Damit verfügt sie über etwa ebenso viele Mittel wie alle journalistischen deutschen Online-Nachrichtengangeboten zusammen. Als Problem erweist sich die föderale Struktur der ARD: Weil die Anstalten das Gros der Online-Mittel für ihre Regionalangebote beanspruchen, bleibt für Tagesschau.de lediglich 4,2 Millionen Euro.

Mit dem Internet wird für die Nutzer nun spürbar, dass Gebührenpflicht nicht durch konkrete Nutzung öffentlich-rechtlicher Angebote entsteht, sondern durch potenzielle Nutzung irgendwelcher Rundfunkangebote. Die Erkennbarkeit dieses Grundprinzips des Dualen Rundfunksystems haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten in den alten Medien durch Massenangebote tunlichst vermieden. Hierzu haben sie ein Doppelpassspiel zwischen Legitimationsgrundlage und Gebührenakzeptanz entwickelt. Die Gebührenakzeptanz wird durch hohe Einschaltquoten gesichert, die von den öffentlich-rechtlichen Programmplanern häufig wie "ein tägliches Plebiszit über die Berechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" ( so Jens Jessen in der Zeit) zelebriert werden. Für die Legitimation wurden einige Hochkultur- und Politikinseln im Programm belassen. In einem sich differenzierenden Mediensystem wird der Apparat durch diesen Spagat immer stärker überfordert.

Im Internet kann sich das öffentlich-rechtliche System derzeit weder durch Quote noch durch Relevanz legitimieren. Der Grund liegt nur zum Teil in einem nur für öffentlich-rechtliche Verhältnisse sehr kleinen Online-Etat. Der Grund liegt vielmehr in einer schleppenden, wenig inspirierten Online-Programmentwicklung, die letztlich auf eine mangelnde Kultur der Programmqualität der Öffentlich-Rechtlichen in den klassischen Medien verweist. Öffentlich-rechtliche Online-Angebote etwa in Großbritannien und Österreich spielen auch deshalb eine viel wichtigere Rolle, weil sie auf mehr Wendigkeit, aber auch mehr Wertorientierung beruhen. Das Bundesverfassungsgericht träumte einst von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Angebote für Demokratie und Kultur der Bundesrepublik "unerlässlich" seien. Doch als "Quoten-Idioten" (Jessen) haben zu viele öffentlich-rechtliche Programmplaner verlernt, was Qualität und Originalität im Sinne dieses eigentlichen Programmauftrags bedeutet.

Wie also weiter ARD? Gefragt, was er eigentlich unter Rundfunk im Internet verstehe, gibt Hermann Eicher, der Leiter der öffentlich-rechtlichen Arbeitsgruppe Gebührenrecht und zugleich SWR-Justiziar, dem Perlentaucher eine hochinteressante und -brisante Antwort: "Stellt man auf den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff ab, sind alle Internet-Angebote Rundfunk, die die für Rundfunk typische Relevanz für die Meinungsbildung innehaben." Mit anderen Worten: Eicher definiert hier den Kern des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags als plattformübergreifende "Meinungsbildung".

Einerseits ist unschwer erkennbar, dass die Öffentlich-Rechtlichen hier eine Art Freifahrtschein gegenüber einer schwächelnden Medienpolitik zu lösen versuchen. "Meinungsbildung" kann wie "Grundversorgung" alles umfassen und stellt potenziell von jeder Einschränkung frei. Andererseits kann das Konstrukt "Meinungsbildung" einen Anfangspunkt für einen neu interpretierten Qualitätsauftrag bieten. Die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender kann eigentlich nur lauten, sich als Qualitätsanbieter zu profilieren, gerne auch mit relevanter Reichweite.

Ein Legitimationsdiskurs, wonach es die Öffentlich-Rechtlichen schlicht aus Tradition und als Regulativ privatwirtschaftlicher Übertreibungen gibt, würde bei Politik und Bevölkerung auf einen breiten Konsens stoßen. Letztlich ist dies der Kern der Idee einer Mediengebühr von 10 Euro, wie sie Grüne und FDP angeregt haben. Mit einer solchen Abgabe würden die Öffentlich-Rechtlichen zu einer Art Qualitätsregulativ im digital-elektronischen Medienuniversum erklärt werden. Eine Traumaufgabe, mit der neben mehr Qualitätsorientierung und mehr Wandlungsfähigkeit aber auch mehr Effizienz und mehr Bescheidenheit verbunden sein muss. Letzteres jedoch fällt der öffentlich-rechtlichen Journalismus-Bürokratie, die zu häufig Selbstgerechtigkeit mit Selbstverwaltung verwechselt, so schwer. Darüber will sie lieber nicht reden. Dann schon lieber über die PC-Gebühr.