20.06.2016. Führt von den Fresken in Schloss Rodenegg zum Knottenkino in Vöran: Andreas Hapkemeyers Kunstführer durch Südtirol.
Vor ein paar Jahren entdeckte ich völlig ahnungslos eines der wichtigsten Kunstdenkmäler Europas:
Schloss Rodenegg, unweit von Brixen in Südtirol. Nichts Besonderes. Es ist eine mittelalterliche Burg. Die Sensation freilich ist nicht mal ein halbes Jahrhundert alt. 1972 wurde unter späterem Verputz ein
Freskenzyklus zum Iwein-Epos von Hartmann von Aue entdeckt. Er soll zwischen 1200 und 1230 entstanden sein. Die Kenner packen jetzt schon die Koffer, um sich das anzusehen. Den anderen sei gesagt: Aus dem Mittelalter hat sich fast nur sakrale Kunst erhalten. Das hat unser Bild von einer ganz der Religion gewidmeten Epoche geprägt. Dass damals aber nicht nur Kirchen und Klöster Kunst und Kultur zeigten und produzierten, wird einem auf den Wänden des Schloss Rodenegg in der Gemeinde Rodeneck sehr eindrücklich vorgeführt. Es sollen die ältesten
profanen Wandmalereien des deutschsprachigen Raumes sein. Wer einmal auf dieser Burg war, der wird sich nicht mehr vorstellen können, dass die Wände all der Burgen, die er auf Klassenfahrten oder heute als Tourist besichtigt hat, unbemalt gewesen sein sollen. Natürlich werden auch die Geschichten erzählt haben von Helden und von Liebe.
Ausschnitt aus den Iwein-Fresken in Schloss RodeneggVor mir liegt ein kleiner Kunstführer durch
Südtirol. Er hat auch ein paar Seiten über Schloss Rodenegg. Er lässt auch den nicht allein, der auf dem Bozener
Siegesplatz steht und klärt ihn auf über dieses von Paolo Rossi 1938 geschaffene Ensemble. Eine faschistische Propaganda-Inszenierung - das sieht man sofort. Aber Autor Andreas Hapkemeyer hat einen
Blick fürs Detail. Zum Beispiel sieht man an der Inschrift des Gebäudes des Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) zwischen dem N und dem P eine Lücke. Da stand einmal das
F für fascista.
Auf einem anderen Gebäude wurde die ganze Inschrift entfernt. Sie stammte von
Horaz. Der hatte den Kaiser Augustus mit der Sonne verglichen. Das gefiel Mussolini und seinem Propagandaapparat so gut, dass sie es übernahmen. Mussolini als der neue Augustus. Das geschah 1943. Am 2. Juni 1946 stimmten 12.718.641 (54,27 Prozent) in einem Referendum - erstmals durften auch Frauen wählen - für die Republik.
Das Knottnkino in Vöran. Foto: Hubert Berberich (HubiB) - Eigenes Werk, CC BY 3.0 / WikipediaHapkemeyer weist außerdem auf Installationen hin, an denen auch der historisch und kulturell weniger interessierte Zeitgenosse seinen Spaß haben wird: das
Knottnkino. Im Jahr 2000 stellte der Schmied und Künstler Franz Messner 30 wetterfeste Klappstühle aus Stahl und Kastanienholz auf den
Rotsteinkogel. "Von hier aus hat man einen weiten Blick über das Etschtal ("von der Etsch bis an den Belt") und auf die sich dahinter erhebenden Berge." Knottn ist das Südtiroler Wort für
Fels. Wer sich in einen dieser Stühle setzt, der sieht die Felsen und die über sie hinwegziehenden Wolken wie in einem Cinemascope-Kino. Life ist eben doch am größten.
Andreas Hapkemeyer: Erlebnis Kunst in Südtirol - Von Fratzen, Fresken und Fassaden, Fotos von René Riller, Folio Verlag, Wien - Bozen 2016, 112 Seiten, mehr als 270 s/w und farbige Abbildungen, dazu Grafiken, 19,90 Euro.