20.11.2018. Ermunterte uns, aus unserer selbstverschuldeten Lähmung auszubrechen: Joseph Beuys' Theateraktion "Titus/Iphigenie", auf Fotos festgehalten von Abisag Tüllmann.
Auf dem Frankfurter Theaterfestival Experimenta 3 führte am 29. Mai 1969
Joseph Beuys im Theater am Turm seine Aktion "Titus Andronicus/Iphigenie" auf. Die Fotografin
Abisag Tüllmann (1935-1996) dokumentierte und hinterließ sie dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst. Der Kurator Mario Kramer hat sie jetzt im Verlag Schirmer/Mosel herausgebracht. Zusammen mit den betreffenden Auszügen aus einem Bericht Peter Handkes in
Die Zeit vom 13. Juni 1969 (hier kostenlos
zu lesen, aber man muss sich registrieren).
Ich möchte auf die Aktion von Beuys und die Fotos hier nicht eingehen, sondern nur ein paar Sätze aus
Handkes Artikel zitieren. Sie lassen sich als eine Analyse unserer aktuellen Situation lesen: "Nach einiger Zeit sah man, dass sich nichts mehr ereignen würde… Man ertappte sich dabei, dass man unwillig wurde, weil die Aktionen sich wiederholten. Aber dieser Unwille blieb ganz unergiebig, man wusste auch, dass es jetzt
auf einen selber ankam, wollte man stumpfsinnig den ganzen Abend unwillig sein? Man musste sich jedenfalls entschließen, man musste Arbeit leisten. Die Zuschauer aber blieben stumpf in sich hocken und ließen es bei ihrer
selbstverschuldeten Lähmung bewenden. Statt zu arbeiten, versuchten es einige mit dem reaktionären Zwischenrufrepertoire. Als die Textstelle kam: 'Hängt ihn auf!' wurde geklatscht. Kaum jemand unter den Zuschauern wusste etwas mit sich anzufangen. Man kam nicht darauf, dass es an jedem einzelnen Zuschauer selber lag, statt unproduktiv und
faul sich zu langweilen, sich zu einer Arbeit zu entschließen. Aus der Langeweile aber ergab sich jener erbärmliche, fahrige Aktionismus, das Gebrüll und Geflegel, welches einige mit der erstrebten Beteiligung des Zuschauers verwechseln, während es in Wahrheit nichts als ein Reflex ist."
Joseph Beuys: Titus/Iphigenie, Photographien von Abisag Tüllmann, Schirmer/Mosel, München 2018, 120 Seiten, 46 Duotone-Tafeln, 49,80 Euro.