Vom Nachttisch geräumt

Die rheinische Minimal Art

Von Arno Widmann
17.08.2017. Stefan Gronert zeigt, in welch vertrauter Tradition der Lakonismus die Düsseldorfer Fotoschule um die Bechers stand.
Mir gehen die meditativen Fähigkeiten ab, die nötig sind, um sich für die Serien von Wassertürmen und Gasbehältern von Fördertürmen und Hochöfen von Bernd und Hilla Becher zu begeistern. Ich blicke völlig fasziniert auf die Industrielandschaft Knutange in Lothringen, ein beeindruckendes Schwarz-Weiß-Foto der beiden aus dem Jahre 1971. Ich kann mir auch noch die nächste Industrielandschaft ansehen, aber bei Nummer vier oder spätestens fünf steige ich aus. Ich würde jetzt gerne die Unterschiede untersuchen. Aber darum geht es den Fotografen, das ist mein laienhafter Eindruck, gerade nicht.

Die Serien existieren nicht um der kleinen Unterschiede, sondern um der großen Eintönigkeit willen. Während ich das schreibe, fällt mir Philip Glas ein. Einer der Meister der Minimal Music. Ein Gewebe des scheinbar Immergleichen, in dem aber dank unmerklicher Übergänge immer wieder überraschend Neues zu hören ist. Vielleicht verstehen meine Ohren sich besser auf Meditation als die Augen. Die Bechers waren die Begründer der Düsseldorfer Fotoschule, der Stefan Gronert einen prächtigen Band gewidmet hat. Der reicht von Kühltürmen und Gasbehältern von 1963 - nein, die allerfrüheste Aufnahme ist ein einsames Fachwerkhaus aus dem Jahre 1961 - bis zu einem Aluminiumspeicher, fotografiert von Jörg Sasse im Jahre 2008. Der Band erschien nämlich bereits 2009 und liegt jetzt in einer Neuauflage vor. Es fehlen also zum Beispiel Andreas Gurskys Ozeanbilder oder Thomas Ruffs Sterne.


Andreas Gursky, 99 cent. 1999

Aber erinnern wir lieber an die großartigen Sachen, die man in diesem Band sehen kann. Da ist Andreas Gurskys "99 Cent" von 1999. Ein Blick auf die Unendlichkeit der Regalwelt eines Billiganbieters oder die bis zur Decke hochgezogenen Haken, an denen die Bergleute, bevor sie in den Schacht fahren, ihre Kleider aufhängen. "Hamm Bergwerk Ost 2008" heißt das Foto. Die Revolution der Bechers war nicht nur die minimal art ihrer Ästhetik, es war auch die Entdeckung von Industriearchitektur und Industrielandschaft. Die Revolution dagegen und darin waren Candida Höfers Bibliotheken und Axel Hüttes riesige Landschaftsbilder. Ich mag davon besonders seine "Olympic Peninsula I", Washington USA, 2004, eine Waldinnenansicht, die etwas Vorweltliches hat.


Axel Hütte, Olympic Peninsula I, 2004

Thomas Struths
Museumsbilder setzen die verbürgt große Kunst in Beziehung zum Betrachter und wir sind als Betrachter von beidem zwar nicht mit im Bild, aber wir erweitern den dargestellten Zoom automatisch um uns. Wir schaffen sein Bild betrachtend uns ein Bild, in dem wir vorkommen. Seine Bilder schaffen wir um in solche von uns. Sie nehmen uns auf.

Meilenweit weg von den Bechers und doch ihnen ganz nah ist Elger Essers Stadtansicht des französischen Gien aus dem Jahre 1997. Ein romantisches Bild. Aber gleichzeitig stehen die Häuser am Fluss nebeneinander wie sie es in Merians "Topographia Germaniae" aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht etwa in Düsseldorf, aber doch zum Beispiel in Schwäbisch Hall tun. Und mit einem Male sehe ich, in einer wie alten und vertrauten Tradition der Lakonismus der Bechers stand. Stefan Gronert - seit 2016 ist er Kurator für Fotografie und Medienkunst am Sprengel Museum in Hannover - beendet seinen großen einführenden Essay mit den Bemerkungen: "Die Geschichte der Düsseldorfer Fotoschule ist trotz des überraschenden Todes von Bernd Becher im Jahre 2007 (Hilla Becher starb 2015) noch nicht beendet. Denn in dem Maße, in dem die Bechers mit ihrem Werk zur künstlerischen Emanzipation der Fotographie (nicht nur in Deutschland) beigetragen haben, hat die Strenge ihres Ansatzes die Emanzipation ihrer Schüler gleichsam herausgefordert, die seitdem neue Dimensionen des Bildes eröffnet haben…"

Stefan Gronert: Die Düsseldorfer Fotoschule, Schirmer/Mosel, München 2017, 320 Seiten, 332 Abbildungen, davon 163 ganzseitige Farb- und Duotone-Tafeln, 68 Euro