Vom Nachttisch geräumt

Wer kennt schon Lektoren?

Von Arno Widmann
10.02.2020. Sammelte Macramé-Eulen, Plastikbeutel und Autoren: die Erinnerungen des Lektors Robert Gottlieb.
Der 1931 in New York geborene Robert Gottlieb war und ist einer der bekanntesten Lektoren der Welt. Wer kennt schon Lektoren? fragen Sie zu Recht. Also: In dieser wenig bekannten Spezies gehört Gottlieb zu den berühmtesten Exemplaren. Gottlieb war Cheflektor bei Simon & Schuster und Alfred A. Knopf. 15 Jahre lang war er Chefredakteur des New Yorker. Er lektorierte Romane von u.a. John Cheever, Salman Rushdie, John Gardner, Len Deighton, John le Carré, Ray Bradbury, Elia Kazan, Michael Crichton, Mordecai Richler und Toni Morrison. Dazu kamen Sachbücher von Barbara Tuchman, Jessica Mitford, Antonia Fraser, Lauren Bacall, Liv Ullmann, Sidney Poitier, John Lennon, Paul Simon, Bob Dylan und Bruno Bettelheim. 2016 veröffentlichte er seine Autobiografie. In der steht, dass er für V.S. Naipaul zwar eine Weile zuständig gewesen war, dass der aber ein Lektorat abgelehnt, es aber auch nicht nötig gehabt habe. Das ist einer der ganz raren Fälle in der Selbsterlebensbeschreibung des Robert Gottlieb. Daneben arbeitete er auch viele Jahre lang als Vorstandsmitglied des New York City Ballet. Er sammelte Macramé-Eulen und Plastikbeutel der 50er Jahre, über die er auch ein Buch schrieb.

Ein sehr, sehr vielseitiger Mann. Entsprechend interessant ist das mit Anekdoten vollgestopfte Buch. Leider, soweit ich sehe, noch nicht ins Deutsche übersetzt. Es ist ein Blick in das amerikanische literarische Leben seit den 70er Jahren. Ein Blick von sehr weit oben bis hinunter in die freilich oft extrem lukrative Ratgeber-Ecke. Joseph Heller ist seine Entdeckung, Toni Morrison eine Freundin.

Robert Gottlieb berichtet aus Zeiten, in denen die englische Zensur, sie wurde erst 1968 abgeschafft, noch Sartres "Geschlossene Gesellschaft" verbot. Was bedeutete, dass das Stück zu einem Supererfolg in von Theaterclubs organisierten geschlossenen Vorführungen wurde. Es gibt eine Reihe von Stellen, an denen einem deutlich wird, wie gewaltig sich die Welt in den letzten fünfzig Jahren verändert hat. Die Jüngeren wundern sich darüber nicht. Für sie liegen schon die neunziger Jahre in fernster Vergangenheit. Die Alten können das sofort begreifen, wenn sie sich daran erinnern, dass 50 Jahre vor ihrer Geburt Deutschland noch eine Monarchie war.

Wer Besserwisserei nicht erträgt, der wird das Buch nicht lesen können. Gottliebs Beruf war es, den oben genannten Autoren zu zeigen, wie sie bessere Autoren werden konnten. Man betrachtet seine Eingriffe, von denen er voller Stolz berichtet, mit zunehmendem Argwohn. Katharine Graham (1917 - 2001) war nicht nur die Verlegerin der Washington Post. Ihr Vater war der erste Präsident der Weltbank gewesen. Bei den Parties ihrer Mutter lernte die junge Frau Menschen wie Alfred Einstein und Thomas Mann kennen. Gottlieb erzählt, er habe die Passagen gestrichen, die sich mit den Versuchen "einer Europäischen Kommission beschäftigten, sie zur Mitarbeit zu bewegen". Gibt es, gab es eine Europäische Kommission? Es gab die von Willy Brandt geleitete Nord-Süd-Kommission. Die war eine Erfindung Robert McNamaras, eines engen Freundes von Katharine Graham. Ist die gemeint?

Über Michael Crichton, einen der erfolgreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts, bemerkt Gottlieb, wahrscheinlich zu Recht, er sei kein guter Autor gewesen. Crichton habe sich nicht für Menschen interessiert sondern für Technik. Gottlieb schreibt, man hätte versuchen können, Crichtons Charaktere in "Andromeda" zu Menschen zu machen. Gottlieb entschied sich für das umgekehrte Verfahren: so wenig Menschen wie möglich. Die Arbeit mit Crichton sei wie eine Ping-Pong-Partie gewesen. So schnell folgten Manuskript, Korrekturen und neue Version aufeinander. Ganz anders war das mit Doris Lessing. Sie hörte ihm aufmerksam zu und machte dann nichts. Sie hasste Kommata und das Überarbeiten ihrer Texte. Gottlieb liebte Kommata und das Korrigieren.

Der weltweite Erfolg des Shere Hite Report zur weiblichen Sexualität lag vor Gottliebs Einsatz. Er war erst beim zweiten Band über die männliche Sexualität involviert. Gottlieb arbeitete auch mit Denis Johnson, William Gaddis, Katharine Hepburn, Susan Sontag und Bill Clinton. Jetzt hätte ich beinahe Bob Dylan zu erwähnen vergessen. Über jeden dieser Autoren gibt es ein paar Zeilen, manchmal eine Seite, selten mehr. Zu oft kaum mehr als intelligentes Namedropping. Weniger wäre mehr gewesen. Wer lektorierte Gottlieb?

Robert Gottlieb, Avid Reader: A Life, Farrar, Straus & Giroux , New York 2016, 352 Seiten, 18 Dollar.