Vom Nachttisch geräumt

Das Monster Verlag

Von Arno Widmann
16.07.2019. Es gibt in Deutschland sicher keinen Autor, der so viel vom Buch versteht wie Hans Magnus Enzensberger. Nachlesen kann man das in Tobias Amslingers "Verlagsautorschaft".
Dem Buch ist ein sehr sprechendes Zitat vorangestellt. Am 6. Mai 1959 schrieb Hans Magnus Enzensberger an Siegfried Unseld: "So ein Verlag ist eben doch ein Monster, aber wir werden schon damit fertigwerden, mit dem Monster, und zusehen, dass es gedeiht, ohne uns aufzufressen." So schreibt Hans der Große an Siegfried, den Drachentöter.

Ich habe keine Ahnung, was für ein Mann Siegfried Unseld im Jahre 1959 war. Ich weiß also nicht, wie viel von diesem frühen Unseld das Monster Verlag auffraß. Enzensberger jedenfalls ließ sich nicht vom Verlag auffressen. Allerdings wollte er ja nicht Verleger, sondern Autor sein. "Verlagsautorschaft" nennt Tobias Amslinger, Leiter des Max-Frisch-Archivs in Zürich sein Buch über das Verhältnis Enzensbergers zum Suhrkamp-Verlag. Es ist eine Seite der Enzensbergerschen Produktivität, die man immer wieder vergisst, wenn man ein neues Buch von ihm in Händen hält. Enzensberger schreibt nicht nur, er übersetzt, er arbeitet als Lektor, entwirft und leitet Buchreihen und Zeitschriften, er kümmert sich um Klappentexte und um die Schrifttypen und die Art des Papiers. Er macht auch aus seinen Hörspielen und Funkessays Bücher.

Es gibt in Deutschland sicher keinen Autor, der so viel vom Buch versteht wie Hans Magnus Enzensberger. Das schließt dessen Auftreten auf dem Markt mit ein. Amslinger schreibt: "Die große Wirkmächtigkeit des Suhrkamp-Verlages in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts resultierte nicht zuletzt daraus, dass Unseld und seine Mitarbeiter ein großes Talent darin besaßen, gerade nicht unabhängig von ihren Autoren zu sein. Im Gegenteil: Das Verlagsprogramm folgte keinem klaren 'Masterplan', sondern setzte sich maßgeblich auf Grund der Hinweise und Beiträge von Autoren, die in Rollen von Lektoren, Beratern und Scouts schlüpften, zusammen."

Martin Walser konkurrierte, was seinen Einfluss auf das Suhrkamp-Programm und mehr noch auf Siegfried Unseld anging, gewaltig mit Enzensberger. Amslinger schildert, wie Enzensberger verhindert, dass ein von Walser empfohlenes Manuskript bei Suhrkamp erscheint. Enzensberger macht das sehr geschickt. Er lobt den Autor, wendet aber ein, dass der Text noch voller Fehler stecke. Sechs Wochen müsse das Lektorat sicher noch dransetzen, um das Manuskript druckfertig zu machen. Diese Zeit habe man nicht. Ein Autor, der davon ausgehe, dass die anderen die Arbeit machen, sei keiner.

Von einer Anna-Achmatowa-Ausgabe im Suhrkamp-Verlag riet Enzensberger ab. Er tat das nach der Lektüre einer Übersetzung von Gedichten einer der bedeutendsten russischen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts ins Französische. Die Fragwürdigkeit dieses Verfahrens verschwieg er nicht. Russisch lernte Enzensberger erst Jahre später. Von seiner zweiten Frau.

Einer der schwersten Konflikte zwischen Enzensberger und Unseld war der um die Zeitschrift Kursbuch. Die war Unseld zu radikal. Besonderen Anstoß nahm er an den Kursbögen, die in vielen Wohngemeinschaftsküchen hingen. Als Walter Boehlich, Lektor des Suhrkamp-Verlages, auf einem dieser Kursbögen höchst beredt vom Ende der bürgerlichen Literaturkritik sprach, trennte sich Unseld vom Kursbuch. Mit welchen Argumenten und in welchen Schritten kann man detailliert bei Amslinger nachlesen. Vielleicht könnte Karlheinz Braun, der damals den Suhrkamp-Verlag verließ und den Theaterverlag gründete, noch ein paar Details nachschieben. In seinen sehr lesenswerten Memoiren stehen darüber nur ein paar Zeilen.

Tobias Amslinger: Verlagsautorschaft - Enzensberger und Suhrkamp, Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 427 Seiten,  29,90 Euro