Vorgeblättert

Ahmadou Kourouma: Der letzte Fürst. Teil 2

14.09.2004.
Eine Hyäne, die es eilig hatte. Der Himmel war hoch und weit, abgesehen von der Seite zum Meer hin, wo einzelne aufdringliche Wolken in Bewegung gerieten und zu einem Gewitter zusammenfanden. Verbastardet, verwirrend, widerlich, der Übergang zwischen den Jahreszeiten, der in diesem Land Sonnen und Regengüsse vermischte.
Hinter einer Grünanlage bog er ab und eilte die Hauptstraße im Beamtenviertel hinauf. Allah sei gepriesen! Da war es, sein Ziel! Trotzdem traf Fama zu spät ein. Das war unangenehm, denn nun würde er in aller Öffentlichkeit die Affronts und Zornesausbrüche ins Gesicht geschleudert bekommen, die eine Schlange in die Pluderhose befördern: unmöglich, sich zu setzen oder hinzustellen, hin und her zu gehen oder es sich bequem zu machen.
Nun war er da. Die Diola verdeckten ein Stück von der unteren Partie des Hauses mit den Pfeilern davor: weiße, blaue, grüne, gelbe Bubus*, kurz, Bubus aller Farben blähten sich, Arme fuhren empor, das Palaver war in vollem Gang. Ein Haufen Menschen für den siebten Tag des beerdigten Ibrahima! Ein schneller Blick. Zu zählen und zu erkennen waren Nasen und Ohren aus allen Vierteln, aus allen Berufssparten. Fama grüßte - und mit welch breitem Lächeln! -, baute sich mit seinem großen Körper zwischen den Pfeilern auf, raffte seinen Bubu, bückte sich und setzte sich auf ein Eckchen Matte. Der Griot, ein steinalter und klappriger Mann, der in höchsten Tönen schrie und Kommentare von sich gab, bemerkte darauf: "Der Fürst von Horodugu, der letzte legitime Spross der Dumbuya, gesellt sich zu uns ? ein wenig spät."
Spöttische Blicke erhoben sich, ein spöttisches Lächeln erschien auf den Gesichtern. Was soll?s, ein Fürst und fast ein Bettler, das ist unter allen Sonnen grotesk. Aber Fama ließ sich in seinem Zorn nicht dazu hinreißen, diese Versammlung von Lästermäulern, diese Bastarde von Hundesöhnen zu beschimpfen. Der Griot fuhr fort und sagte etwas, das in anderer Hinsicht unangenehm war: "Ein wenig spät, das ist nicht schlimm, die Gepflogenheiten und Rechte großer Familien wurden immer respektiert; die Dumbuya wurden nie achtlos übergangen. Die Fürsten von Horodugu wurden immer den Keita gleichgestellt."
Fama forderte den Griot auf, seine Worte zu wiederholen. Der zögerte. Wer kein Malinke ist, kann nicht wissen, worum es ging: Im vorliegenden Fall war das Gesagte ein Affront, ein Affront, der einen aus der Haut platzen ließ. Wer hatte die Dumbuya mit den Keita auf die gleiche Stufe gestellt? Die Keita sind Könige von Wassulu und haben als Totem das Flusspferd und nicht den Panther.
Mit fester Stimme, voll Zorn und Entrüstung verlangte Fama noch einmal von dem Griot, er solle seine Worte wiederholen. Der erging sich in endlosen Rechtfertigungen: Symbolisch, alles war symbolisch bei den Zeremonien, und dabei sollte man es bewenden lassen. Eine Schmach, eine sehr tiefe Schmach für Brauch und Religion, dass so mancher Alter in dieser Stadt einzig von dem lebte, was bei den Riten verteilt wurde. Kurz, ein Haufen verdammter Dummheiten, wonach ihn niemand gefragt hatte. Bastard von einem Griot! Es gibt keinen wirklichen Griot mehr, die echten sind mit den großen Kriegsherren aus der Zeit vor der Eroberung durch die Tubab** ausgestorben. Fama musste auf der Stelle beweisen, dass es noch Männer gab, die solche Bastardereien keinesfalls dulden. Wer den Furz des Frechlings riecht und diskret darüber hinwegsieht, gibt zu erkennen, dass er keine Nase hat.
Fama stand auf und donnerte los, dass das Gebäude erzitterte. Der klapprige Griot, völlig verunsichert, wusste nicht, von welchem Wind er sich treiben lassen sollte. Er bat die Dasitzenden zuzuhören, die Ohren aufzusperren, um den gekränkten und verunglimpften Sohn der Dumbuya zu vernehmen, dessen Totem der Panther, ja, der selbst ein Panther ist und der seine Wut und seinen Ingrimm nicht länger verbergen kann. Er rief Fama zu: "Wahres Blut eines Kriegsherrn, sprich ein wahres und gewichtiges Wort, sag, was dir einen Stachel versetzt hat! Erkläre, was du für deine Schande hältst! Speie deine Vorwürfe hier vor uns aus!"
Durch die Verwirrung des Griots kühn geworden, kannte Fama keine Grenzen mehr. Er hatte die Redegewalt, auf seiner Seite war das Recht, um ihn herum saßen die Runde der Zuhörer. Sagt mir, was konnte er sich als guter Malinke mehr wünschen? Aus seiner Kehle brach Panthergebrüll hervor, er wechselte den Platz, rückte seine Kappe zurecht, streifte die Ärmel seines Bubus herab, plusterte sich so auf, dass man ihn von jeder Ecke aus sah, und stürzte sich in das Palaver. Der Griot rekapitulierte. Fama brüllte und brüllte immer lauter, aber ? Verfluchter Griot! Verfluchter Husten! Ein heimtückischer, heftiger Hustenanfall verstopfte dem Griot die Kehle, zwang ihn, sich zu bücken und aus voller Lunge auszuspucken und bremste Fama in seinem Elan. Der letzte Dumbuya empfand nicht das leiseste Mitgefühl mit dem Griot, er ließ nicht locker, im Gegenteil, er senkte den Kopf, um zu überlegen und neue Sprichwörter hervorzukramen, und in diesem Bemühen verlor er seine Umgebung aus dem Blick. Wie konnte er sie übersehen? Die Leute waren müde; von all den Zurschaustellungen, all den Reden, die Fama bei jeder Zusammenkunft vom Stapel ließ, wo schwarz nicht schwarz und weiß nicht weiß war, hatten sie die Nase voll. Man hörte Bubus und Matten knistern, die Versammelten verzogen das Gesicht, alle sprachen aufeinander ein, wobei sie heftig mit den Armen ruderten. Immer Fama, immer Gekrittel, immer war irgendetwas! Die Leute hatten es satt. Möge man dafür sorgen, dass er sich hinsetzt!
Der Griot hatte sich von seinem Hustenanfall erholt, aber ein wenig zu spät. Unruhe hatte sich breit gemacht. Fama sah und hörte nichts, und er redete, redete mit Stimmgewalt und im Überschwang, er wedelte mit den Zweigen eines Kapokbaums, schnappte nach Sprichwörtern und quetschte sie aus und verdrehte die Lippen. Erregt und benebelt, konnte er nicht erkennen, dass es die Zuhörer vor Ungeduld kribbelte, als hätte ein Heer Wanderameisen sie angefallen, bald streckten sie ihre Beine, bald zogen sie sie an, ihre Hände wanderten von den Hüften an die Bärte und von den Bärten in die Taschen. Er wurde die Wut nicht gewahr, welche die Gesichter verzerrte und verdüsterte, vernahm nicht Worte wie "Ach, der Tag neigt sich, Schluss mit der Bastarderei!", die ihnen entfuhren. Er hatte die Redegewalt.
Auf einmal erschallte aus der Versammlung die Aufforderung: "Setz dich auf deinen Hintern und halt die Klappe! Unsere Ohren sind es müde, weiter deine Sprüche anzuhören!"
Das hatte ein kleiner Dicker gerufen, der wie ein Stumpf aussah, Hals und Arme, Fäuste und Schultern eines Ringkämpfers, steinhartes Gesicht, der sich wie eine wild gewordene Grille erregte. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu Famas Höhe aufzuschließen. "Du weißt nicht, was Schande heißt, und die Schande ist das Schlimmste", fügte er laut schnaufend hinzu. Befremden und Unruhe, ein Lärm, als würde eine Büffelherde in den Wald einbrechen. Der klapprige Griot gab sich die größte Mühe, den Wind zu besänftigen, den Fama blies, vergebens.
"Bamba!" (so hieß der Herausforderer), "Bamba!", krächzte er, "kühlen Sie Ihr Herz!"
Doch wie hätte Bamba, der wieder auf dem Boden hockte, die Kauwerkzeuge wie ein Raubtier gefletscht, Ellenbogen, Schultern und Kopf in Drohhaltung, die Säbelschnäblerschreie des Griots hören sollen? Fama ebenso wenig. Der bebte, stampfte, fluchte: Bamba, der Hundesohn, zeigte zu viel Kühnheit! Er musste ihn schmähen, ihn sich packen, ihn beißen. Fama ging auf den Beleidiger los. Zwei Schritte nur noch! Fama hatte die zwei Schritte nicht getan. Der kleine Stumpen von Bamba war schon wie ein Tänzer auf ihn zugesprungen und wie ein Raubtier vor seinen Füßen in Lauerstellung gegangen. An den Zipfeln ihrer Bubus bekamen sie sich zu fassen. Der Griot verdrückte sich, das Gebrüll wurde stärker, alles sprang auf, zog und zerrte, Bubus rissen und hingen in Fetzen herunter. Fama raffte seinen Bubu zusammen und setzte sich etwas zu hastig auf die Matte. Zwei kräftige Burschen - es bedurfte zweier stämmiger Burschen - zogen Bamba zurück, schleiften ihn über den Boden, Schritt für Schritt, bis zu seinem Platz. Als die beiden Antagonisten saßen, setzten sich auch alle anderen wieder auf ihre Matten.
Fama entschuldigte sich. Der älteste Mann, der bei der Zeremonie zugegen war, bat Fama im Namen aller Muslime um Vergebung. Fama sei im Recht, entschied er. Die Wahrheit, sie muss nun einmal ausgesprochen werden, mag sie auch noch so hart sein, denn sie rötet die Augen, bricht sie aber nicht. Zum Schluss billigte der Alte Fama eine Entschädigung zu: ein paar Banknoten und noch einige Kolanüsse. Klar, dass dieser alles zurückwies. Einzig und allein für seine Ehre habe er gekämpft. Man glaubte ihm nicht. Der Alte gab nicht nach. Fama strich die Entschädigung ein und dachte eine Weile bekümmert an die Bastardisierung der Malinke und an den Verfall der Bräuche. Der Schatten des Verstorbenen würde den Manen mitteilen, dass die Malinke unter den Sonnen der Unabhängigkeiten ihren Fürsten seiner Würde beraubten und sogar ohrfeigten. O, ihr Manen der Vorfahren, Manen von Moriba, dem Gründer der Dynastie, es war Zeit, höchste Zeit, sich des Schicksals des letzten legitimen Dumbuya in Mitleid anzunehmen!
Die Feierlichkeit ging weiter. Die einen gaben, die anderen nahmen; ein jeder wiederholte die Lobreden auf den Bestatteten: Menschlichkeit, Glaube, Gastfreundschaft. Ein Nachbar erinnerte sich gar, dass der Bestattete ihm eines Nachts eine Unterhose und eine Pagne*** gebracht hatte - die seiner Frau (der Frau des Nachbarn, um genau zu sein). Der Wind hatte beide Teile fortgetragen und unter das Bett des Bestatteten geweht. Die Wirkung ließ nicht auf sich warten: Die Gesichter entspannten sich, Lachsalven erschollen aus dem Palaver. Nur Fama lachte nicht darüber. Selbst mit den Banknoten in der Tasche und dem Ehrgefühl im Herzen, im Recht zu sein, war sein Zorn nicht verraucht und schwelte weiter in ihm.
Verbastardete Bastarderei! Er, er, Fama, der Abkömmling der Dumbuya! Verspottet, provoziert, beleidigt - und von wem? Von dem Sohn eines Sklaven. Er wandte sich um. Bamba schürzte verächtlich die Lippen, kniff sie zusammen, rollte seine großen Augen, seine Nasenflügel bebten wie bei einem Pferd im Galopp. Er war stark, ausgestattet mit kräftigen, gelenkigen Gliedmaßen, und Fama fragte sich, ob er nicht zu alt war, um ihn zum Kampf herauszufordern.
      Aber er, Fama, hatte die guten Angewohnheiten beibehalten. Ein richtiger Mann trennt sich nicht von seiner Waffe. Er betastete seine Tasche; dort befand sich das Messer, lang genug, um dem Hundesohn das Gedärm herauszuziehen. Sollte Bamba nur kommen, noch einmal anfangen, dann würde er erleben, dass die Hyäne, selbst wenn sie zahnlos ist, dem Ziegenbock in ihrem Maul doch keinen Fluchtweg lässt.
Lautes Lachen. Fama spitzte die Ohren. Er hatte recht daran getan, seine Wut nicht herunterzuschlucken, nicht zu verzeihen. Der Eselssohn von einem Griot mischte giftige Anspielungen unter die Lobreden auf den Bestatteten: In welcher Beziehung stand der zu den Abkömmlingen der großen Kriegerfamilien, die sich mit Betteln, Zank, Streit und Schande prostituierten? Ein Hundesohn und nicht einer aus der Kaste! Die echten Griots, die letzten Griots aus der Kaste sind mit den großen Hauptleuten Samorys zu Grabe getragen worden. Der Schwätzer hier konnte weder singen noch reden noch zuhören. Doch der Griot fuhr fort, er wechselte sogar den Platz und ließ sich hinter einem Pfeiler nieder. Einem Unverschämten seines Kalibers galt ein Pfeiler als eine ebensolche Trennlinie wie ein Fluss oder ein Gebirge. Von dort aus ließ er seinem Schandmaul freien Lauf und verlor jedes Maß: Die Nachfahren der großen Krieger (Fama war gemeint) lebten von Lüge und Bettelei (wiederum war Fama gemeint), wahre Nachfahren der großen Anführer (immer noch Fama) hatten die Würde gegen Geierfedern eingetauscht und folgten der Spur eines außergewöhnlichen Ereignisses wie Geburt, Hochzeit oder Tod, um von einer Feier zur anderen zu wandern. Fama raffte seinen Bubu und wollte antworten, doch dann zögerte er. Der Mangel an Reaktionsvermögen kam dem Verdammten von einem Griot wie gerufen, mit der Befriedigung eines Bambara, der sich in den Kreis der Tamtams wirft, erging er sich in den gröbsten Gemeinheiten.
Nein, das war zu viel! Fama erhob sich und fuhr dazwischen: "O, ihr Muslime, verzeiht! Muslime, hört mich an!"
Unmöglich, noch ein weiteres Wort zu sagen. Eine Meute brünstiger Hunde: Sämtliche Dasitzenden, die verdammten Malinke, die sich Muslime nannten, heulten auf, bleckten die Zähne und spien Beschimpfungen aus, da gab es kein Halten mehr.
Erniedrigt angesichts von Schimpf und Schande, wie konnte er da noch bleiben? Übrigens gab es nichts zu bedauern, die Feier war zu einer Hetzjagd hundsköpfiger Paviane ausgeartet. Lassen wir die Affen sich also beißen und am Schwanz ziehen. Er stürzte zum Ausgang. Zwei Männer rannten ihm nach, um ihn zurückzuhalten. Er schlug wie wild um sich, beschimpfte sie beide als Bastarde von Hundesöhnen und verschwand.
Amüsiertes Gelächter, Stoßseufzer der Erleichterung - darauf beschränkten sich die Reaktionen auf den so geräuschvollen wie endgültigen Abgang. Fama würde sich zu den nächsten Feierlichkeiten wie zu allen übrigen der Malinke in der Hauptstadt einfinden, das wusste jeder. Denn wo hat man je die Hyäne die Umgebung von Friedhöfen und den Geier den Hinterhof der Häuser meiden sehen? Klar war auch, dass Fama nichts Gutes im Sinn führte und es darauf anlegte, Anstoß zu erregen. Denn bei welcher Zusammenkunft hätte der Kampfhund wohl seine Art, bar jeder Scham sich hinzusetzen, aufgegeben?
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* langes Gewand
** westafrikanische Bezeichnung für Europäer
*** das um Hüften und Oberkörper gewickelte Tuch

Teil 3
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